Nachhaltig Shoppen

Sozialkaufhäuser helfen nicht nur bei Armut

Blick von oben in ein Kirchenschiff, das gefüllt ist mit Regalen und Kleiderständern.
epd/Kay Michalak

Bei „Tisch und Teller“ kaufen Menschen ein, egal ob sie viel oder wenig Geld haben. Das Sozialkaufhaus ist nachhaltig und beliebt. Trotzdem droht das Aus.

Frau steht in einer Halle mti gebrauchten Waren.
Renate Haller
Peggy Hoffmann leitet das Diakonische Werk Main-Taunus, das Träger des Sozialkaufhauses „Tisch und Teller“ ist.

Bücher, Tassen, Kristallkaraffen, Schränke und ganze Sitzlandschaften. Auf rund 800 Quadratmetern bietet „Tisch und Teller“ nahezu alles, was im Haushalt und zum Wohnen gebraucht wird. Ein breites Bett mit elektrisch verstellbarem Lattenrost ist ebenso dabei, wie das kleine Beistelltischchen aus dunklem Holz.

„Tisch und Teller“ ist ein Sozialkaufhaus in Flörsheim im hessischen Main-Taunus-Kreis. Hier gibt es gebrauchte Ware, Menschen mit geringem Einkommen bekommen einen Nachlass. „Das soziale und nachhaltige Kaufhaus im Main-Taunus-Kreis“ lautet deshalb der Zusatz hinter dem Namen.

Dem Sozialkaufhaus droht die Schließung im kommenden Frühling. Über eine Millionen Euro wurde in den vergangenen Jahren in das Kaufhaus investiert. Die Situation beim Bund, der Kirche und der Kommune hat sich verändert. „Tisch und Teller“ kann nicht weiter bezuschusst werden. „Wenn wir einen oder mehrere verlässliche Partner finden, die „Tisch und Teller“ jährlich mit 150.000 Euro unterstützten würden, dann könnten wir das Sozialkaufhaus weiterleben lassen“, sagt Peggy Hoffmann. Sie ist die Leiterin von „Tisch und Teller“.

Preise steigen, Armut nimmt zu

Steigende Preise und eine wachsende Zahl Geflüchteter sorgen dafür, dass immer mehr Menschen auf günstige Einkaufsgelegenheiten angewiesen sind. „Wir merken, dass mehr los ist“, sagt Peggy Hoffmann, Leiterin des Diakonischen Werks Main-Taunus, das gemeinsam mit dem Main-Taunus-Kreis Träger von „Tisch und Teller“ ist.

Alles ist gespendet

Rabatt für Menschen mti wenig Geld

„Tisch und Teller“ verkauft Hausrat, Möbel, Spiele und Bücher, die Menschen gespendet haben. Wer wenig Geld hat, bekommt einen Rabatt.

Liebigstraße 5, Flörsheim

Geöffnet: Montag bis Freitag 10 – 18 Uhr, Samstag 10 – 14 Uhr

Telefon 06145 / 545 220

www.tisch-teller.de

Personal am Limit

Mit dem Plus an Kundschaft ist die Einrichtung nicht allein: Im Sommer etwa meldete der in einer Kirche beheimatete „Marktplatz der Begegnung“ in Bremen stark wachsende Nachfrage, die dazu führe, dass das Personal am Limit arbeite. Das Sozialkaufhaus der Diakonie Dortmund „Jacke wie Hose“ meldete bereits im Mai „leere Regale“ und bat um Sachspenden.

Wie viele Sozialkaufhäuser es genau gibt, ist nicht erfasst. Zu finden sind sie in vielen großen Städten, aber auch in kleineren, wie etwa in Kaiserslautern. Dort gibt es das „Second-Hand-Warenhaus Schatzkiste“, das sich in ökumenischer Trägerschaft befindet.

Nachhaltig spielt große Rolle

Sozialkaufhäuser gibt es in zunehmender Zahl seit Mitte der 1990er Jahre. Meist in Trägerschaft von Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege begannen sie, gebrauchte und gespendete Waren günstig an Menschen mit wenig Geld zu verkaufen. Der Markt sei seit 2010 „massiv“ gewachsen, sagte Ralf Hoburg, Professor für Sozialwirtschaft und Sozialmanagement in Hannover, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Hoburg sieht Potenzial in den Läden. „Sozialkaufhäuser sind Teil einer sozialen Konsum- und Einkaufsgesellschaft aller Schichten, in der Aspekte der Wiederverwendung und damit der Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielen“, betont er. Gerade die Insolvenz klassischer Kaufhäuser biete Chancen. „Sozialkaufhäuser könnten mit innovativen Laden-Konzepten leer gewordene Orte in den Innenstädten besetzen, Läden und Wohnraum kombinieren und damit Arbeitsplätze und Begegnungsräume in einer sozialen Stadt von morgen entwickeln.“

Neu und billig zieht nicht mehr

Auch Volker Knöll sieht eine „hohe Relevanz“ dieser besonderen Kaufhäuser. Früher hätten die Leute nach dem Motto „Hauptsache neu und billig“ eingekauft, heute solle der Einkauf nachhaltig sein. „Diesen Gedanken haben die Sozialkaufhäuser in ihrer DNA“, betont der Geschäftsführer der „Regionale Diakonische Werke in Hessen und Nassau gGmbH“.

Nachhaltig einkaufen im Gemeindehaus

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist für Knöll die Gemeinwesenarbeit: „Sozialkaufhäuser können sich zu Treffpunkten entwickeln.“ Viele Menschen suchten Kontakte und wollten sich austauschen. Auch bei „Tisch und Teller“ sei das zu beobachten. Die Diakonie überlege deshalb, mehr Geschäfte einzurichten. Im Blick hat Volker Knöll dabei auch Gemeindehäuser, die nicht mehr gebraucht werden. Darin einen Ort zu etablieren, an dem nachhaltig und sozial gehandelt werde und an dem Menschen zusammenkommen, sei besser als sie leer stehen zu lassen.

Mann im schwarzen Tisch steht vor einer Kasse.
Renate Haller
Markus Trettin steht bei „Tisch und Teller“ an der Kasse. Dort gibt es auch Kunden und Kundinnen, die nur auf einen Plausch vorbeikommen.

Bei Armut gibt es Rabatt

Wer ein niedriges Einkommen nachweisen kann, bekommt in Flörsheimer Sozialkaufhaus eine Kundenkarte und 25 Prozent Rabatt auf alle Waren. Seit der Eröffnung 2009 seien 5.500 Kundenkarten ausgestellt worden, sagt Peggy Hoffmann. Allerdings kann in dem Laden auch einkaufen, wer gut verdient. „Ein Kaufhaus nur für Sozialhilfeempfänger ist stigmatisierend“, erklärt Hoffmann. Wer es betritt, sei klar als Hilfsempfänger zu erkennen. Bei „Tisch und Teller“ dürfen deshalb alle einkaufen, aber nicht alle bekommen den Rabatt.

Sammlerobjekte hinter Glas

Wer die Halle am Rande von Flörsheim betritt, taucht ein in eine bunte Warenwelt. Keine neuen Dinge, aber alle gut erhalten. Gleich links hinter dem Eingang stehen Vitrinen mit zierlichen Porzellanfiguren. Oftmals seien hier hinter Glas Sammlerobjekte zu finden, die etwas teurer sind, erklärt Hoffmann die besondere Präsentation.

Schnäppchen machen und plauschen

An der Kasse steht Markus Trettin. Er kennt Kundinnen, die nur kommen, um nach einer bestimmten Tasse oder einer Schüssel suchen, die zu ihrem eigenen Service passt. „Einige kommen regelmäßig, ich wünsche ihnen immer viel Glück“, erzählt der 39-Jährige gut gelaunt. Und er kennt auch den Teil der Kundschaft, der nur vorbeikommt, um einen Plausch zu halten. „Das sind immer nette Unterhaltungen“, sagt er. „Wir überlegen deshalb, hier ein kleines Café zu eröffnen“, verrät Peggy Hoffmann

Älterer Herr repariert Fahrrad.
Renate Haller
Wolfgang Schwarz leitet die Fahrradwerkstatt im Sozialkaufhaus.

Abfall vermeiden

In der großen Halle folgen gut bestückte Abteilungen für Bücher, Spiele und Haushaltswaren aller Art. In der Ecke für die Bücher steht eine Couch. Bei den Möbeln stehen ganze Sitzlandschaften, Schränke und Regale. Vertreten ist alles von Eiche rustikal bis modern.

„Was hier steht, wäre ansonsten alles im Sperrmüll gelandet“, so Hoffmann. „Wir helfen, Abfall zu vermeiden.“

Zum Wegwerfen zu schade

„Wir haben viel zu viel“, sagt Rita Lupo. Die Dame aus Raunheim ist vorbeigekommen und hat ein paar Taschen und Schuhspanner gebracht. „Wir sind umgezogen und mussten vieles aussortieren.“ In den vergangenen Wochen habe sie deshalb „sicher 20 Kartons“ mit allerlei Haushaltswaren gebracht. „Zum Wegwerfen sind die Dinge noch viel zu gut. Hier erfüllen sie einen guten Zweck.“

Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose

Der gute Zweck bezieht sich neben den sozialen Preisen und der Vermeidung von Abfall auf einen weiteren Aspekt, den viele Sozialkaufhäuser bieten: die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und den Versuch, sie langfristig in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Davon profitiert im Fall von „Tisch und Teller“ auch das Sozialkaufhaus selbst. Sieben der aktuell 13 Beschäftigten haben über eines der Beschäftigungsprogramme angefangen und sind nun fest angestellt beim Diakonischen Werk Main-Taunus.

 Wolfgang Schwarz ist einer von ihnen. Er leitet die integrierte Fahrradwerkstatt. „Wir reparieren alles, außer E-Bikes“, sagt er und deutete auf einen Oldtimer, den er gerade in Schuss gebracht hat. Das Rad der Marke „Miele“ ist Baujahr 1951 und voll einsatzfähig. Daneben steht ein modernes blaues Mountainbike, auch das generalüberholt. „Im Moment mache ich nur Reparaturen“, erklärt der 60-Jährige. Im Frühjahr und Sommer verkauft er auch viele Räder.

Silbernes Schild auf grünem Fahrrad-Schutzblech.
Renate Haller
Auch das Firmenemblem des Fahrrad-Oldtimers prangt noch auf dem Schutzblech über dem Vorderrad.

Schwarz, gelernter Kfz-Mechaniker und Mechaniker im Heizungs- und Lüftungsbau, war lange arbeitslos. 2016 startete er bei „Tisch und Teller“ mit finanzieller Unterstützung durch das Jobcenter. Als die Maßnahme nach einem Jahr beendet war, blieb er und arbeitete zwei Jahre als Ehrenamtlicher weiter. Seit 2019 gehört er zum Kreis der Festangestellten. „Die Arbeit passt für mich wunderbar“, sagt er.

Ehrenamt statt gar nichts machen

Peter Kopp steht an einem großen Tisch in einem anderen Bereich der Halle. Hier kommt an, was andere spenden. Kopp ist für CD‘s, DVD‘s und Schallplatten zuständig. „Ich sortiere und prüfe die Sachen, dann preise ich sie aus“, beschreibt er seinen Job. Kopp lebt von staatlicher Unterstützung und arbeitet ehrenamtlich 15 Stunden pro Woche im Sozialkaufhaus. Vorher habe er lange gar nichts gemacht.

Shoppingtour im Sozialkaufhaus

Zwischen Deko-Artikeln stöbert gerade Elena Volk. Die junge Frau hat ihre Mutter dabei und ihr Baby. Den besonderen Laden habe sie im Internet entdeckt. Sie liebt Flohmärkte und weiß, dass viele Dinge zu schade sind zum Wegwerfen. „Ich habe schon tolle Sachen gefunden“, sagt sie. Für Elena Volk ist dieser Vormittag wie eine kleine Shoppingtour, halt nur in einem anderen Umfeld, erzählt sie und freut sich „wie riesig das hier ist“.