Gesellschaft

Reservistenausbildung: „Wenn es sein muss, schieße ich auch“

Stefan tritt mit Plattenträger, Gewehr und in Uniform aus einer Tür
Pascal Alius

Stefan hat als junger Mann den Wehrdienst verweigert. Jetzt lässt er sich bei der Bundeswehr zum Reservisten ausbilden. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

von Pascal Alius

Stefan trägt normalerweise Anzug und nicht Flecktarn. Der 36-Jährige arbeitet als Wirtschaftsinformatiker bei einer Bank. Es ist die zweite Märzwoche und gestern hielt Stefan zum ersten Mal in seinem Leben ein Sturmgewehr in der Hand. Heute liegt er schon auf einer Bastmatte im kalten Gras, das Gewehr im Anschlag in Richtung einer Hauswand. Doch geschossen wird nicht. An diesem Nachmittag lernt Stefan erst einmal, wie er das Gewehr beim Schießen hält, wie er es zerlegt und auf seine Sicherheit überprüft. Er nimmt mit 27 anderen Rekruten an einem 24-tägigen Crashkurs teil. Anschließend ist er Reservist der Bundeswehr im Heimatschutz.

Wehrdienst verweigert und trotzdem Reservist werden?

Und das, obwohl er vor rund 20 Jahren den Wehrdienst verweigert hat. „Als Jugendlicher konnte ich es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, zur Waffe zu greifen“, sagt Stefan. Heute sieht er das anders: „Ich denke weniger an mich und mehr an die Gesellschaft. Deshalb möchte ich mich auch für ein demokratisches Deutschland einsetzen.“ Das liege an seinem Alter und seiner Lebenserfahrung.

Zerlegtes Sturmgewehr G 36 der Bundeswehr
Pascal Alius
Reservisten müssen lernen, wie sie ein Gewehr auseinander und zusammen bauen

Wie steht es um die Bundeswehr?

  • seit Beginn des Ukrainekriegs 2022 rüstet die Bundeswehr auf.
  • Die Bundesregierung hat der Bundeswehr 2022 100 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
  • 2025 lockerte das Parlament die Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben.
  • Die Ausgaben für Militär in Deutschland sind von 2023 auf 2024 um 23 % auf 80 Milliarden Euro gestiegen.

Vom Ausbilder statt von der Frau geweckt

Stefan lebt mit seiner Frau in Sprendlingen. Für die Ausbildung zieht er ins rheinland-pfälzische Hinterland, in die Kaserne Lager Aulenbach bei Baumholder. Dort teilt er sich eine Stube mit sechs anderen Rekruten. Um 5.15 Uhr wecken die Ausbilder sie. An das militärische Leben muss sich Stefan erst noch gewöhnen. „Wenn mich sonst jemand weckt, dann meine Frau“, sagt er. und lacht. Nach dem Frühstück geht es weiter mit Unterricht und Übungen. An manchen Tagen endet das Ausbildungsprogramm erst um 20 Uhr. „Urlaub ist das hier nicht“, sagt Stefan. „Diese Kommandos und der militärische Ton sind neu für mich. Aber ich hätte mehr Drill erwartet.“

Mehr Menschen wollen Reservisten werden

Die Ausbildung für „Ungediente“, also Menschen, die keinen Wehrdienst geleistet haben, gibt es in Rheinland-Pfalz seit 2019. Das Landeskommando Rheinland-Pfalz kann maximal 50 Rekruten pro Jahr ausbilden, für 2026 gibt es jedoch 80 Bewerbungen. Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges schnellt die Zahl an Bewerber*innen für die Reservistenausbildung nach oben.

Stefan mit Gewehr, Rucksack und Flecktarn vor einem Kasernengebäude
Pascal Alius
Stefan hat lange die Wehrpflicht verweigert, trotzdem wird er jetzt Reservist

Das lernen Reservisten

Die Reservisten-Ausbildung in Rheinland-Pfalz besteht aus zwei Modulen mit je 12 Tagen. Dabei lernen die Reservisten:

  • militärische Umgangsformen
  • politische Bildung
  • Rechtliches zum Auftrag der Bundeswehr
  • Rechtliches zum Waffengebrauch
  • die praktische Ausbildung am Gewehr und der Pistole
  • eine Sanitätsausbildung zum Ersthelfer.

So wird man Reservist

Um zur Reservistenausbildung zugelassen zu werden, müssen die Bewerber einen Gesundheitscheck, einen Computertest sowie ein psychologisches Gespräch überstehen und werden durch den Militärischen Abschirmdienst überprüft. „Niemand ist hier, weil er sich als schießwütiger Bengel ausleben möchte“, sagt Ausbilder Marc. Kritik gibt es am Aufnahmeprozess anderer Landeskommandos: von zu viel Bürokratie, langen Wartezeiten und einem intransparenten Bewerbungs- und Aufnahmeprozess schreibt das ZDF. Ob es sich dabei um mehr als nur Einzelfälle handelt, lässt sich nicht sagen.

Neben einem Sporttest, inklusive 100m Kleiderschwimmen in Uniform, steht auch die Ausbildung an der Waffe auf dem Programm. Heute stehen die angehenden Reservisten in einer langen Reihe vor der Waffenkammer. Einer nach dem anderen geht hinein, ruft seine Nummer, kommt mit einem Sturmgewehr wieder heraus und stellt sich erneut in Reih und Glied auf. Dafür, dass es erst das zweite Mal ist, hält Stefan sein Gewehr schon sehr sicher in den Händen.

Wenn es sein muss, dann schieße ich auch.

Er ergänzt: „Man hat schon ordentlich Respekt davor. Das ist kein Spielzeug, sondern eine Waffe. Dessen muss man sich bewusst sein.“

An einer Übungsstation erklärt der Ausbilder Schritt für Schritt, wie die Rekruten eine Sicherheitsüberprüfung ihrer Waffe durchzuführen haben. Stefan legt sein Gewehr dabei verkehrt herum auf die Bastmatte, der Patronenauswurf ist verdeckt. Energisch kommt ein Ausbilder herbeigeeilt, kniet sich nieder und dreht das Gewehr unwirsch auf die richtige Seite. „So nicht!“ Ein anderer Ausbilder warnt die Rekruten: „Steckt auf keinen Fall die Mündung in die Erde.“ Das könnte beim Schießen den Lauf des Gewehrs sprengen.

Der harte Umgangston sei nötig, um die Konzentration aufrechtzuerhalten, sagt Ausbilder Marc. „Bei der Waffenausbildung können sie sich keine Ablenkung leisten. Wenn jemand abschweift oder müde wird, braucht es eine klare Ansage.“ Und im Gefecht sei es so laut, dass ohne eine gewisse Lautstärke kein Befehl zu verstehen sei. Auch benötige es klare Strukturen. „Wir haben da keine Zeit, um erst mal eine Besprechung abzuhalten“, sagt Marc.

So werden Reservisten eigesetzt

18 bis 24 Tage üben die Reservisten normalerweise im Jahr. Währenddessen bekommen sie ihr Gehalt von der Bundeswehr. Die Heimatschützer üben zum Beispiel, wie ein Kraftwerk verteidigt wird und helfen im Rahmen der Amtshilfe beim Kampf gegen den Borkenkäfer oder bei Naturkatastrophen wie dem Ahrtal-Hochwasser.

„Kriegstauglich“ ist Stefan nach der Ausbildung noch nicht. Das werden die Teilnehmenden an der Grundausbildung erst durch weitere Übungen in der Reserve. So kommen sie auf das Level eines Soldaten, der Wehrdienst geleistet hat. „Bei der Ausbildung Ungedienter geht es erst mal nur um die grundlegenden militärischen Basics“, sagt Gruppenführer Marc. Er arbeitet sonst als Steuer- und Wirtschaftsberater. Denn auch alle Ausbilder sind selbst Reservisten.

Stefan hat sich für die Ausbildung entschieden, nachdem ihm ein Bekannter davon erzählt hatte. Der Krieg in der Ukraine habe ihn darin bestärkt. „Wir müssen unsere Freiheit, unsere Verfassung, unsere Werte verteidigen können.“ Letztlich auch die Menschenwürde, sagt er.

Die Waffe hält er für ein geeignetes Mittel, genau das zu tun. Das Bild der Bundeswehr habe sich in seinem Umfeld positiv verändert. Immer mehr Menschen würden verstehen, wie wichtig Verteidigung sein könne. Lange Zeit hätten die meisten gedacht: „Wir haben doch Frieden. Da brauchen wir keine Armee.“ Als junger Mann habe er ebenfalls so gedacht, heute nicht mehr.

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