Heiligabend, 12.30 Uhr. Mitten im Reisetrubel erklingt im Frankfurter Hauptbahnhof „Oh du fröhliche“. In der Bahnhofshalle vor den Gleisen wird Gottesdienst gefeiert. Gut 100 bis 200 Leute kommen jedes Jahr. Unter ihnen sind Reisende, die in Frankfurt umsteigen und während ihrer Wartezeit dazustoßen. Für andere, zum Beispiel für obdachlose Menschen, ist der Gottesdienstbesuch am Bahnhof ein festes Ritual.
Die Leute kommen zu uns, weil sie sonst nicht wissen, wo sie an Weihnachten hin sollen.
„Die Leute kommen zu uns, weil sie sonst nicht wissen, wo sie an Weihnachten hin sollen. Manche reisen sogar aus Limburg oder Fulda an“, erzählt Leif Murawski, Mitarbeiter der Frankfurter Bahnhofsmission.
Seit 32 Jahren arbeitet der 53-Jährige als Sozialhelfer in der Frankfurter Bahnhofsmission. Angefangen hat er als Zivildienstleistender, war danach viele Jahre ehrenamtlich aktiv. Heute ist er einer von neun hauptamtlichen Mitarbeitenden. 30 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer engagieren sich ebenfalls dort.
In der Nacht verwandelt sich die Bahnhofsmission in einen Schutzraum für Reisende oder für Opfer von häuslicher Gewalt. Ein kleiner Raum ist als Notübernachtungszimmer mit einem Stockbett hergerichtet. Reicht das nicht aus, gibt es noch Luftmatratzen. „Letzte Nacht hat dort eine Frau aus Somalia mit ihren beiden kleinen Kindern übernachtet“, berichtet er.
Mitten in der Nacht habe sie vor der Tür gestanden, in Deutschland wolle sie Asyl beantragen. Der Kollege aus dem Nachtdienst habe einen Dolmetscher per Video zugeschaltet und der Frau erklärt, wie sie am nächsten Tag nach Gießen zur zentralen Erstaufnahmestelle für Asylsuchende kommt.
Wer mehrere Sprachen kann, ist bei der Bahnhofsmission klar im Vorteil. Murawski hat unter anderem Slawistik studiert und kann sich auf Russisch verständigen, etwa mit Flüchtlingen aus der Ukraine. Auch Polnisch spricht er, auf Tschechisch und Slowakisch improvisiert er. Gerade lernt er nebenbei ein bisschen Rumänisch. Er könne schon auf Rumänisch sagen:
Wir haben heute keine Socken.
Ob es morgen welche gibt, hänge davon ab, ob welche gespendet werden. Auch Fahrkarten werden oft von Spenden bezahlt, wenn das Sozialamt nicht einspringt.
Nach dem Heiligabendgottesdienst im Bahnhof geht die Feier in den Räumen der Bahnhofsmission an Gleis 1 weiter. Bis zu 50 Leute kämen, so viel wie drinnen Platz ist, berichtet Murawski. Sie essen gespendete Plätzchen und anderes Weihnachtsgebäck, singen Weihnachtslieder und spielen Spiele. Weihnachten, hat Murawski erlebt, sei ein schwieriger Tag für die Besucher.
„Die Menschen auf der Straße werden daran erinnert, dass sie mal ein besseres Leben hatten“, sagt er. Die Stimmung vor Ort sei dennoch heiter. „Einmal hat eine obdachlose Person ihre Mundharmonika ausgepackt und die Weihnachtslieder darauf begleitet. Ein andermal hat eine ehrenamtliche Helferin ihr Akkordeon mitgebracht.“
Zu den obdachlosen Besuchern kommen Reisende dazu, die Heiligabend am Bahnhof feststecken. „Das passiert jedes Jahr. Entweder weil ein Zug oder Flug ausfällt, oder weil etwas anderes nicht geklappt hat“, sagt Murawski. „Sie feiern dann mit den anderen Besuchern mit“, hat er erlebt.