von Susanne Schmidt-Lüer
„Wenn jemand schläft, sollte man ihn nicht ansprechen.“ Luise Pötzschke beherzigt das bei ihren Rundgängen durch den Frankfurter Flughafen. Seit Juli verstärkt die examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin – so seit einigen Jahren der neue Titel für das Berufsbild der Krankenschwester – das Team der sogenannten Aufsuchenden Sozialarbeit am Flughafen (ASF) des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach.
Vor der Corona-Pandemie lebten rund 60 Frauen und Männer am Flughafen, während der Hochphase der Pandemie kamen viele Hilfsbedürftige hinzu, denn hier finden sie ein Dach über dem Kopf, kostenlose Toiletten und Waschräume.
Während der Lockdown-Phasen war dies für viele essentiell. Weil sich deutlich mehr wohnungslose Menschen am Flughafen aufhielten als vor der Pandemie, beantragte die Diakonie Hessen Gelder aus dem Projekt „Hilfe für Obdachlose in der Corona-Krise“ bei der Stiftung Flughafen Frankfurt/Main für die Region, um die Aufsuchende Sozialarbeit zu unterstützen.
„Niemand soll durchs Netz fallen“, sagt Stefan Gillich, Leiter der Abteilung Existenzsicherung, Armutspolitik und Gemeinwesen bei der Diakonie Hessen. 15.000 Euro stellte die Stiftung für das Pilotprojekt mit einer Krankenpflegefachkraft und für Material zur Verfügung.
Immer mehr wohnungslose Menschen leiden unter psychischen Erkrankungen.
„Wir sind sehr froh über diese großzügige Spende, mit der ein Vorzeige-Projekt finanziert wird, das weit über die Grenzen Frankfurts hinaus wirkt.
Die Verknüpfung von sozialer Arbeit und fachlichen Kenntnissen in der Pflege und Psychiatrie ist dringend geboten. Immer mehr wohnungslose Menschen leiden unter psychischen und körperlichen Erkrankungen“, sagt Michael Frase, Leiter des Diakonischen Werkes für Frankfurt und Offenbach.
Stefan Gillich von der Diakonie Hessen sagt: „Häufig leben am Frankfurter Flughafen Menschen, denen die coronabedingten Einschränkungen und Regeln, aber auch die Angst vor Ansteckung den Zugang zu Hilfsangeboten praktisch unmöglich gemacht haben – all dies bedeutet eine Überforderung, auf die sie nur mit Rückzug reagieren können. Hier setzt das neue Projekt an.“
Immer mittwochs und freitags ist Krankenschwester Luise Pötzschke jeweils fünf Stunden im Flughafen unterwegs. Erfahrungen in der Arbeit mit wohnungslosen Frauen sammelte sie bereits als Yogatherapeutin im 17 Ost – Tagestreff für Frauen der Diakonie Frankfurt und Offenbach, seit 2020 ist sie dort als Sozialarbeiterin fest angestellt.
„Sie schaffte es in kürzester Zeit, professionelle Beziehungen aufzubauen, die Leute verbinden Positives mit einer Krankenschwester, sie wissen, sie kann ihnen helfen“, sagt Sozialarbeiterin Kristina Wessel. Zusammen mit ihrer Kollegin Malgorzata Zambron bildet sie das Team der ASF.
Eine der beiden begleitet Luise Pötzschke immer auf ihren Runden: „Das Eis war schnell gebrochen, denn die Klient:innen kennen die beiden Sozialarbeiterinnen der Diakonie und halten viel von ihnen,“ sagt Luise Pötzschke lächelnd.
In ihrem Medizin-Rucksack hat sie stets ein Blutdruckmessgerät dabei, sie bestimmt den Blutzuckerwert, versorgt Wunden mit Salben und Verbänden, soweit dies medizinisch vertretbar ist. Häufig erkennt sie dann auch weitere Krankheiten. Und sie führt viele Gespräche.
„Oft haben obdachlose Menschen niemanden, der ihnen zuhört, es tut ihnen gut, sich die Dinge von der Seele zu reden.“ Medikamente gibt Pötzschke keine heraus, auch wenn sie öfter danach gefragt wird: „Medikamente sind Arztsache, ich grenze mein Behandlungsspektrum klar ab.“
Oft haben obdachlose Menschen niemanden, der ihnen zuhört.
Bei ihren Einsätzen behandelt sie im Schnitt drei Patient:innen. Nach zehn Jahren als Krankenschwester in der Psychiatrie kennt sie die Krankheitsbilder von Menschen mit Psychosen, Persönlichkeitsstörungen und Depressionen. Sie weiß, dass manche versuchen, sich selbst zu behandeln, etwa mit Alkohol und anderen Substanzen, zum Beispiel gegen die inneren Stimmen, die nur sie hören.
Während manche Frauen und Männer so viel Vertrauen fassen, dass sie sich im Büro der Aufsuchenden Sozialarbeit im Terminal 1 auf der neuen Liege behandeln lassen, scheuen andere die Begegnung. „Sie wurden lange nicht untersucht, psychiatrische Krankheitsbilder haben sich chronifiziert, bisher komme ich noch nicht an alle heran.“