Hier erzählen wir die Geschichte einer Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Solange sie ein Kind war, war für sie klar: „Gott sieht und weiß alles“. Dann trifft sie auf eine Überlebende der Greuel-Taten der Nazis in Auschwitz und eine Welt bricht für sie zusammen.
Der Opa ist Presbyter. So heißt in Nordrhein-Westfalen ein Kirchenvorsteher. Regelmäßig besucht er den Gottesdienst, Preuße, der er ist. Die Enkelin begleitet ihn, so oft es geht. Sie findet es aufregend, den Pfarrer da vorne auf der Kanzel, die Stille, die Liturgie, die Lieder.
Vor allem das Gebet hat es ihr angetan, das Vaterunser. Bei der Stelle „Und vergib uns unsere Schuld“ überlegt sie stets, was sie ausgefressen hat. Sie versucht erst gar nicht zu schummeln, denn „der liebe Gott sieht alles“, sagt der Opa.
Das sagt nicht nur Opa, sondern auch die Eltern und überhaupt alle. Wenn sie aus der Kirche kommt, hat sie wenig verstanden von der Predigt, fühlt sich aber leichter.
Dann kommt der Konfirmandenunterricht. Der Pfarrer ist toll. Er lässt die Teenies nach dem Unterricht Tischtennis spielen, macht auch sonst allerlei Sport mit ihnen. Sie müssen das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser auswendig lernen.
Dann beginnt die schöne Zeit als Teamerin. Sie hilft im Kindergottesdienst. Malen, basteln, Spiele rund um Geschehnisse und Figuren in der Bibel. Sie gibt weiter, was sie verinnerlicht hat: „Der liebe Gott sieht alles.“ Und setzt hinzu: „Das ist aber nicht schlimm, denn er ist ein guter Gott.“
Warum das so ist, weiß sie nicht – es ist mehr ein Gefühl. In der Oberstufe haben sie eine Religionslehrerin namens Frau Krause. Sie erzählt etwas über Menschenbilder in der Bibel, über Martin Luther und das Theodizeeproblem, also warum Gott Leid zulässt. Das aber streifen sie nur.
Die Israelbesucherin fährt mit der Frage nach Hause, wie jemand nach Auschwitz von Gott reden kann. Diese Frage lässt sie nicht los. Sie macht ihr Abitur und beginnt, Religionswissenschaften zu studieren. Dort besprechen sie unter anderem Werke von Dorothee Sölle. Auch ihr geht es immer wieder um die Frage: Warum lässt Gott Leid zu in der Welt?
Gott hatte wenige Freund*innen
Dorothee Sölle
Sölle gibt auf die Frage: „Wo war Gott in Auschwitz?“ folgende Antwort: „Gott war ganz klein. Er hatte damals wenige Freundinnen und Freunde. Gottes Geist hatte damals in unserem Lande keine Wohnung. Gott verhängt nicht das Leid, sondern er leidet mit. Er ist, besonders in Auschwitz, weder Henker noch Zuschauer, sondern Opfer.“ Das bleibt nicht ohne Folgen.
Die Studentin räumt auf mit dem Gott, der alles zum Guten wendet, der die Fäden in der Hand hält. Ein schmerzhafter Prozess! Ihr neues Credo: Gott ist mächtig in jedem Menschen. Jeder einzelne ist verantwortlich für ein gutes Miteinander. Das ist natürlich nicht so bequem wie der Gott, der sich um alles kümmert. Aber vielleicht lässt es sich mit diesem Gott gut leben und auch er findet Wohlgefallen daran.