CDU-Migrationspoliitk

Als Christ in der CDU bleiben?

Pfarrer Benjamin Graf und Pfarrer Jörg Niesner - getrennt durch einen roten Blitz
privat & Jörn von Lutzau
PRO CONTRA
Benjamin Graf und Jörg Niesner über ihre Mitgliedschaft bei der CDU

Aus Protest aus der CDU austreten? Was dafür spricht und was dagegen, darüber geht es im Pro und Contra.

Die Unionsfraktion im Bundestag hat mitten im Wahlkampf versucht, mit Stimmen der AfD eine verschärfte Migrationspolitik durchzudrücken. Das war das erste Mal und das spaltet das Land. Im aktuellen ARD Deutschland-Trend äußert sich die Hälfte kritisch zum Vorgehen der Union. Die Menschen reagieren mit Protesten vor den CDU-Parteizentralen bundesweit. 

Viele Mitglieder der Union reagieren: Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Abstimmung als falsch, der hessische Ministerpräsident Boris Rhein betont, der CDU-Kurs sei richtig. Auch Pfarrpersonen sind Mitglied der Partei. In diesem Pro & Contra beschreiben CDU-Mitglied Benjamin Graf und das ehemalige Mitglied Jörg Niesner über ihre Auseinandersetzung mit der Situation.

Benjamin Graf: Darum bleibe ich in der CDU

Pfarrer Benjamin Graf beim Karneval in Lahnstein
privat

Albrecht Weinberg gibt sein Verdienstkreuz zurück, Michel Friedmann und Pfarrer Jörg Niesner treten öffentlichkeitswirksam aus der CDU aus. Der Vorwurf: Wortbruch und Kooperation mit Nazis.

Die neuliche Abstimmung im Bundestag war ein Novum und bedingt durch die Situation einer Minderheitsregierung. Nach der Wahl wird es eine stabile Mehrheit mit der CDU geben.

Die CDU vollzieht dabei eine Wende: Unter Friedrich Merz verlässt sie die politische Anpassung und sucht einen klaren Kurswechsel. Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise, die Ampel hatte keine Antworten, die Bürger fordern eine Kurskorrektur. Die will auch Merz, die will auch die CDU.

Pfarrer Benjamin Graf

Benjamin Graf ist Pfarrer in Oberlahnstein. Dort leitet er gemeinsam mit seiner Frau Kerstin die Evangelische Kirchengemeinde. Im Vikariat hat er viel mit Flüchtlingen zusammengearbeitet und eine arabische Lautschrift für die deutsche Sprache entwickelt. Außerdem steht er der Evangelischen Regionalverwaltung Rhein-Lahn-Westerwald vor.  Auf Instagram findest du ihn als @pfrgraf.

Es war und ist falsch, 12 Millionen Deutschen die Fähigkeit zu denken abzusprechen, jeden fünften deutschen Wähler als Nazi und Faschisten zu stigmatisieren, wenn er eine deutlich konservativere und jedenfalls ganz andere Art von Politik wählt. Diese Ausgrenzung stärkt nicht die Demokratie, sondern treibt Menschen weiter in Protestlager. Die Stigmatisierung stärkt Feindbilder, schafft ein Wir-gegen-die-Gefühl und stärkt das Narrativ der AfD.

Diese Ausgrenzung wird gerade von jenen betrieben, die sich Inklusion auf ihre Fahne schreiben – neuerdings werden sogar CDU-Wähler wieder als Nazis beschimpft.

Politik ist eine Frage der Prioritäten.

Dafür gibt es die verschiedenen Parteien einer Demokratie. Für mich haben ein solides wirtschaftliches Fundament, eine stabile Gesellschaft mit traditionellen christlichen Werten und Familie als Ausgangsbasis Priorität. Das bedeutet Bürokratieabbau, neue Arbeitsanreize, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit sowie Digitalisierung. Deswegen bin ich bei der CDU.

Ferner: In Deutschland fühle ich mich nicht mehr frei zu sagen, was ich denke. Wenn ich nicht mit Gendersternchen schreibe, in Gendersprache spreche, muss ich mich rechtfertigen. Ich bleibe bei der CDU, weil ich Sprach- und Meinungsfreiheit brauche.

Angst vor staatlicher Regulierung

Ich habe Angst, wenn der Staat Frauen verbietet, sich über einen Mann in einer Frauenkabine oder Damensauna zu beschweren. Ich bleibe bei der CDU, weil ich verlässliches staatliches Recht brauche, das für mich natürlich und nachvollziehbar ist.

Ich habe Angst, wenn der Staat mich nötigt, eine Wärmepumpe einzubauen und ein E-Auto zu kaufen, dabei gleichzeitig unfähig ist, die nötige Stromversorgung aufzubauen und mir deshalb ab 17 Uhr Heizung und Wallbox abschaltet. Ich bleibe bei der CDU, weil sie die Folgen zu Ende denkt.

Die CDU steckt in einem Dilemma.

Die CDU hätte die Wählermehrheit für eine klare Kurskorrektur und kann sie doch nicht durchsetzen, weil sie dafür die Unterstützung der AfD in Kauf nehmen müsste. Sie will die große Wende, wird diese mit SPD und Grünen aber nicht durchsetzen können.

Wünsche von AfD-Wählern ernst nehmen

Es gibt einige Schnittmengen zu den Wünschen von Wählern der AfD: in der Migrations- und Sozialpolitik, bei Strafverschärfungen, beim Bürokratieabbau, insgesamt beim härterem Durchgreifen, bei der Befürwortung einer traditionellen Leitkultur und der Ablehnung links-grüner Ideologie. Aber eine CDU-geführte Regierung wird immer für demokratische Werte, wirtschaftlichen Realismus und Stabilität stehen – nicht für Protest ohne Lösungen.

Viele Bürger fühlen sich nicht mehr von den Parteien vertreten. Die CDU hat diesen Fehler erkannt. Die CDU-Mitglieder selbst haben das Wahlprogramm mitgestaltet und ihre Stimme eingebracht. Auch ich.

Auch Wähler der AfD könnten sich in einem Dilemma wiederfinden: Wer Veränderung will, muss eine Partei wählen, die regieren und Veränderungen auch umsetzen kann. Die CDU wird den Kanzler stellen – wer einen wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und gesellschaftlichen Kurswechsel will, sollte seine Stimme dort investieren, wo sie nicht im politischen Abseits landet. Nach der deutlichen Kurskorrektur unter Merz könnten sie jene Politik und jenen Kurswechsel wählen, den sie bei der AfD suchen.

Die Bundestagsabstimmung zur Migration war Anlass zur jetzigen Debatte – die eigentliche Auseinandersetzung steht bevor: Wer bestimmt, was in diesem Land noch gesagt und gedacht werden darf? Ich hoffe auf eine starke CDU, deren Handschrift die gesamte Regierungslinie prägt. Ich bleibe in der CDU, weil ich meine Prioritäten wähle.

Jörn Niesner: Nach 25 Jahren aus der CDU ausgetreten

Pfarrer Jörg Niesner in seiner Kirche
Jörn von Lutzau

Gerade gestern (Tag der Verabschiedung des CDU-Gesetztes mithilfe der AfD, Anm. der Redaktion) hat mich die Urkunde über meine 25-jährige CDU-Mitgliedschaft erreicht, zusammen mit einer Ehrennadel.

Es sollte jedoch der Tag werden, an dem ich aus der Partei austrete, weil das Vorgehen von Friedrich Merz und der CDU/CSU Bundestagsfraktion, nämlich mithilfe der Stimmen der als rechtsextrem eingestuften AfD Politik zu machen und damit die von Friedrich Merz auch selbst bislang beschworene Brandmauer niederzureißen.

Mit 13 Jahren wollte ich Politik machen und bin, gemeinsam mit meinem besten Freund, über unseren Bürgermeister vor Ort zur Jungen Union und später zur CDU gekommen. Wir hatten den Eindruck, dort gehört zu werden und etwas bewegen zu können.

Wir klebten Plakate im Wahlkampf, besuchten Rhetorik-Seminare, schmiedeten politische Pläne auf Vorstands- und Fraktionssitzungen. Die CDU war meine politische Heimat.

Pfarrer Jörg Niesner

Jörg Niesner ist Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Laubach. Als @wasistdermensch findest du ihn auf Instagram und tellonym.me. Er ist als „Sinnfluencer“ nicht nur Teil des YEET-Netzwerkes des Gemeinschaftswerks für Evangelische Publizistik der Evangelischen Kirche in Deutschland, sondern auch Social-Media-Pfarrer für die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau.

Während andere Plakate von Popstars an den Wänden der Jugendzimmer hingen hatten, waren es bei mir Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Gemeinsam mit der Union habe ich einen politischen Weg zurückgelegt und als ich schließlich Pfarrer wurde, war ich dankbar, mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin in Regierungsverantwortung zu wissen, die neben allen Herausforderungen der Zeit nie vergaß, dass Menschenwürde stets allen Menschen zuteilwerden muss, auch wenn das gesellschaftlich mitunter sehr herausfordernd ist.

Theologisch ist mir der franziskanische Gedanke wichtig geworden, der vor allem auch auf Mt 25 zurückgeht: Dass uns in jedem Menschen in Not Christus selbst begegnet. Und ja, das ist wahrlich nicht immer leicht, das im täglichen Denken und Handeln ernst zu nehmen.

Brandmauer gegen AfD: Die Demokratie verteidigen

In der CDU habe ich immer ein großes Bewusstsein für die historische Verantwortung wahrgenommen, die Demokratie gegenüber den nie ganz verschwundenen Kräften des Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus zu verteidigen.

Ich hätte darum meine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass die sogenannte Brandmauer hin zur AfD auch seitens der CDU Bestand hat. Die AfD versucht ja inzwischen nicht mehr im Geringsten, ihre pauschale Verachtung gegenüber ganzen Personengruppen zu vertuschen.

Merz hat Versprechen gebrochen

Diese Partei agiert offen rassistisch, stellt die generelle Menschenwürde infrage und entfernt sich immer weiter von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Noch vor wenigen Wochen hatte Friedrich Merz versprochen, es werde niemals eine Zusammenarbeit mit der AfD etwa durch gemeinsam beschlossene Anträge geben.

Er ist ganz klar wortbrüchig geworden.

Ich halte dieses Vorgehen für einen historischen Fehler und für brandgefährlich.

In allen harten politischen Auseinandersetzungen, die ich in meiner Zeit in der CDU erlebt habe, hatte ich stets gespürt, dass die Verantwortung für die Demokratie und Menschenwürde an erster Stelle steht – vor allen Wahlkampf-Erwägungen. Es gab in diesem Bundestag keine demokratische Mehrheit für den Antrag der Union – es gab nur eine Mehrheit zusammen mit den Stimmen von Faschisten.

Nach der Bundestagswahl demokratische Koalitionen bilden

Für mich war darum klar, dass ich aus der CDU austrete, weil ich diesen Wortbruch nicht billigen kann und dieses Vorgehen für eine Gefahr für unsere Demokratie halte.

Nach der Wahl, in einer ordentlich eingesetzten Regierung, wäre es die Gelegenheit gewesen, mit demokratischer Mehrheit zu beschließen, wofür es eben eine demokratische Mehrheit gibt.

Ich bin der CDU dankbar für alles Prägende und Wertvolle und für viele Jahre stabiler Regierung für dieses Land – besonders für die zahlreichen engagierten Menschen vor Ort in den Stadt- und Ortsverbänden, in den Kommunalparlamenten und Ortsbeiräten. Diese Arbeit für das Gemeinwohl ist unendlich wertvoll und muss ausdrücklich gewürdigt werden.

Ich hoffe und bete, dass die CDU sich wieder auf ihre alten Werte besinnt, die der als rechtsextrem eingestuften AfD ein Dorn im Auge sind.

Anmerkung der Redaktion: Der Kommentar von Jörn Niesner ist zuerst als Gastbeitrag auf evangelisch.de erschienen. Vielen Dank, dass wir daraus dieses Pro & Contra entwickeln durften.

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Portrait von Pfarrer Benjamin Graf in seiner Kirche und in Talar
Benjamin Graf Pfarrer & Gastautor

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Portrait von Pfarrer Jörg Niesner in seiner Kirche
Jörg Niesner Pfarrer & Gastautor

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