Soziale Netzwerke

Kirche muss digitaler Verständigungsort sein

Andreas Fauth
Kommentar von Andreas Fauth

Kirche muss ein Ort des Dialogs sein, gerade in einer polarisierten Gesellschaft und bei aufgeheizter Stimmung vor der Bundestagswahl – findet unser Chefredakteur Andreas.

TikTok, Instagram oder Facebook – die sozialen Netzwerke sind voll von Panikmache, Hetze und Ängsten vieler Menschen. Konstruktiver Dialog orientiert an Fakten, anderen zuhören, das ist die Ausnahme. Wenn Meta die Kooperation mit Faktenprüfern beendet und Nutzer und Nutzerinnen von Facebook und Instagram die Online-Inhalte künftig selbst moderieren, kommen bei mir noch mehr Sorgen auf.

Algorithmen beeinflussen, was Menschen zu hören bekommen. Wenn alle das Gefühl haben, ständig im recht zu sein und in ihrer Bubble unterwegs sind, werden sie sich kaum eine differenzierte Meinung bilden. Echo-Kammern verstärken die eigene Position.

Ganz zu schweigen von unzähligen Bots. Denn wer weiß schon, welche Mächte sich hinter den Profilnamen verstecken, die eigentlich nur ein Ziel haben: Die Demokratie zu Fall zu bringen.

Respekt, Wertschätzung und Dialog gehen verloren

Noch dazu begeben sich viele Nutzer und Nutzerinnen ganz bewusst in die Anonymität des Internets. Hinter der Tarnmaske von Nicknames verstecken sich oft hasserfüllte Charaktere, die enthemmt auf andere Menschen verbal einschlagen. Wenn Kommentare nicht mit klaren Namen gekennzeichnet sind, wenn wir unser Gegenüber nicht mehr sehen, wenn Face-to-Face in der Debatte fehlt, gehen Respekt und Wertschätzung im Dialog vollends verloren.

Als sich früher Menschen im öffentlichen Raum zu Diskussionen getroffen haben, war das anders: In Akademien und Volkshochschulen, in Vereinen und vielleicht sogar in der Dorfkneipe herrscht zumeist ein anderer Ton, wenn ich meinem Gegenüber die Meinung ins Gesicht sagen muss.

Der direkte Austausch von Angesicht zu Angesicht fällt flach.

Gerade Jüngeren fehlt das Gegenüber, analysiert der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke: Sie diskutieren in der Regel fast nur noch digital. „Der direkte Austausch von Angesicht zu Angesicht fällt flach, fällt aus. Das finde ich dramatisch.“ Das schade unserer Demokratie, so von Lucke.

Die Verkürzung und Vereinfachung von Botschaften auf wenige Zeichen oder Bildtafeln befördert ein Schwarz-Weiß-Denken. Das wirkt letztlich wie ein Brandbeschleuniger.

Gefühle spielen in Debatten eine große Rolle

Schnell wird deutlich, was verloren geht, wenn Face-to-Face in der Debatte fehlt: Meinungen und Argumente sind wichtig, in einer Debatte gehe es aber auch um Gefühle, so Christiane Tietz bei ihrer Einführung in das Amt als Kirchenpräsidentin. „Gefühle spielen eine große Rolle, wenn wir miteinander sprechen. Fühle ich mich im Gespräch durch das Gegenüber abgelehnt oder bedroht, höre ich nicht mehr zu.“

In einer Diskussion kann niemand die Gefühle anderer leugnen oder die eigenen verbergen. „Gelingt es dem Gegenüber, mir freundlich zugewandt zu bleiben, höre ich wieder zu. Ich traue mich im besten Fall, auch von mir selbst zu reden“ so die neue Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).

Die Kirche selbst müsse immer wieder üben, freundlich zugewandt zu sein: „Mir ist wichtig, dass wir Gelegenheiten schaffen, bei denen Menschen – auch bei politisch umstrittenen Themen – im Gespräch bleiben.“

Hass im Netz

Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht: Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung findest du bei „Das NETTZ“: Lauter Hass – leiser Rückzug.

Hass und Hetze, teils sexualisierte Gewalt

Auf Plattformen wie Instagram oder Facebook kann von gefühlvollem Miteinander keine Rede mehr sein. Wer den Diskurs hier verfolgt, bekommt es schnell mit digitaler Gewalt und Hetze zu tun: Fast jede zweite Person wurde schon einmal online beleidigt, teils sogar mit sexualisierter Gewalt konfrontiert.

Die vermeintlich sozialen Plattformen beflügeln demnach ein asoziales und gefühlskaltes Miteinander.

Diese Entwicklung kann und darf der Kirche nicht egal sein. Wenn Worte wie Waffen benutzt werden, verstummen Menschen. Ein Zeichen dagegen setzt die Initiative #Verständigungsorte der evangelischen Kirche. Sie will verstärkt Türen für gesellschaftlichen Dialog öffnen und Räume öffnen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten zusammenkommen können und sich über gesellschaftliche Probleme austauschen.

LOVE Storm im Netz

Die Ergebnisse aus dem Programm stehen allen zur Verfügung. Zum Community-Management in zivilgesellschaftlichen Organisationen und zu den Bausteinen gegen digitalisierte Gewalt haben Kolleginnen aus dem Medienhaus Gastbeiträge für das Workbook beigesteuert.

Kirche muss im digitalen Raum debattieren

Dabei reicht es aber nicht, die hölzernen Türen von Kirchen und Gemeindehäusern zu öffnen, denn gerade im digitalen Raum ist Verständigung gefragt. Wenn die Kirche eine konstruktive Debatte befördern will, muss sie auf sozialen Plattformen zu Verständigung und für eine freundlich zugewandten Atmosphäre eintreten.

Die Redaktionen von indeon.de und EKHN.de haben sich deshalb an der Initiative LOVE-Storm – gegen Hass im Netz beteiligt. LOVE-Storm

  • setzt sich für Verständigung ein
  • will Demokratie stärken und
  • Menschen im Umgang mit sozialen Medien trainieren.

Gegen Hate Speech in Social Media: Love-Storm

Auf Krisen in Social-Media reagieren

Von unserer Demokratie sind wir als Kirche überzeugt.

Christiane Tietz, EKHN-Kirchenpräsidentin

Zur Verständigung beitragen heißt auch, an die Grundwerte des demokratischen Zusammenlebens zu erinnern: „Von unserer Demokratie sind wir als Kirche überzeugt, weil sie die unantastbare Würde des Menschen zur Grundlage hat“ konstatiert Kirchenpräsidentin Christiane Tietz in einem Interview mit der FAZ. Dabei habe die evangelische Kirche ein besonderes Augenmerk auf die Ausgrenzung von Minderheiten. Kirche soll politisch, dennoch nicht parteipolitisch sein.

Bundestagswahl 2025: Für Demokratie

Eine breite ökumenische Initiative „Für alle. Mit Herz und Verstand“ setzt sich zur Bundestagswahl 2025 für Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt ein, für Demokratie und gegen Extremismus.

Im Fokus des politischen Handelns von Kirche steht Aussöhnung, nicht Ausgrenzung: Die Kanzel darf nicht Richterstuhl für die Gemeinde sein. So warnt die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Kirstin Jahn, die Kirchen davor, sie sollten nicht zur „Echokammer der Politik" werden. Kirche dürfe nicht polarisieren, indem sie zum Beispiel ein Tempolimit auf Autobahnen fordere.

„Kirche ist der letzte Diskursraum, in dem wir einander begegnen können, und zwar vorurteilsfrei", sagte Jahn in einem Interview mit dem Domradio. Die Zeiten, in denen von der Kanzel eindringliche Wahlaufrufe auf die Gemeinde niederprasselten, sind Gott sei Dank vorbei.

Innerkirchliche Debatte über sexualisierte Gewalt nötig

Dabei darf die Kirche ihre ureigenen Probleme nicht außer Acht lassen: Wie steht es zum Beispiel um die innerkirchliche Debatte zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt? Es gilt den Diskussionsprozess zu gestalten und nicht die Augen vor hierarchischen Machtgefällen zu verschließen.

Auch im ökumenischen Miteinander ist Aufeinander-Zugehen geboten, immer noch fehlt es an Kompromissbereitschaft und dem Willen seine eigene Position zu hinterfragen.

Wer in der Kirche davor die Augen verschließt und eine konstruktive Debatte verhindert, macht sich unglaubwürdig. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die versuchen, Angst einzureden und die Gesellschaft zu spalten.

Noch wird die Kirche in Gesellschaft gehört

Noch wird die Stimme der Kirchen in Politik und Gesellschaft gehört: Jüngst zeigte sich das am ökumenischen Appell gegen die geplante Migrationspolitik der CDU und die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag. Der Appell wurde von Politik und Kirche heftig debattiert.

Noch dürfen die Kirchen froh sein, dass ihre Stimme als moralische Instanz überhaupt noch Gehör findet – mit den massiven Kirchenaustritten verliert die Kirche jedoch immer weiter an Bedeutung.

Als Christ in der CDU bleiben?

Auf indeon.de gehören Meinung und Debatte dazu: Die Website soll zum Diskurs über gesellschaftliche, soziale und kirchliche Themen anregen. Ganz aktuell: Als Christ in der CDU bleiben? 

Pfarrer Benjamin Graf und Pfarrer Jörg Niesner - getrennt durch einen roten Blitz
privat & Jörn von Lutzau

Nach der Abstimmung mit der AfD: Pro & Contra auf www.indeon.de

Niemand weiß, wie es um die Debattenkultur in Zukunft aussieht. Niemand weiß, welche Rolle die Kirche in der Gesellschaft dann noch spielt. Niemand weiß, ob der Kirche die Transformation ins Digitale als Ort für Verständigung und Debatte gelingt.

Der Demokratie würde es guttun, wenn die Kirche eine aktive, konstruktive und moderierende Rolle im digitalen Raum übernimmt. Und uns allen würde es guttun, wenn wir Debatten nicht mit einem Ausrufezeichen abschließen, sondern zugewandt offene Ohren für andere Menschen und ihre Meinung mitbringen.

Deine Meinung ist gefragt: Muss Kirche sich digital mehr engagieren?

Wie kann die Kirche ein Ort für digitale Debatte sein? Wie kann sich Kirche digital mehr engagieren und wie kann sie sich freundlich zugewandt in politische und gesellschaftliche Debatten einbringen? Schreib uns deine Meinung und komm mit uns in Austausch, entweder über unsere Social-Media-Kanäle:

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