Gastbeitrag

Ist die Fußball-WM Schande oder Chance?

Porträt von Thorsten Latzel
Kommentar von Thorsten Latzel

Während am Adventskranz die Lichter brennen, wird bei der Fußball-WM in Katar um den Sieg gekämpft. Die Kirche ringt um den richtigen Umgang.

Porträt von Thorsten Latzel.
epd/Hans-Jürgen Bäumer
Thorsten Latzel ist der Sportbeauftragte der EKD.

Noch nie war eine Fußball-WM im Vorfeld so problematisch. Und mit Blick auf die eklatante Verletzung von Menschenrechten, die Ausgrenzung von Frauen und LGBTQ+ oder ökologische Fragen muss man sagen: zu Recht. Je näher der Termin rückt, desto größer wird die Kritik.

Gärtner will keinen Rasen nach Katar liefern

Gastwirte im Rheinland kündigen an, auf ein Public Viewing der WM-Spiele zu verzichten. Auch die Stadt Paris hat sich in die Reihe solcher Boykott-Maßnahmen gestellt. Spektakulär war schon im März 2021 die Ankündigung einer niederländischen Gärtnerei, aus Protest gegen viele Tote auf den Baustellen in Katar keinen Rasen für die Stadien zu liefern.

Sportbeauftragter des Rates der EKD

Thorsten Latzel ist seit 2022 der Sportbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Damit ist er der Vorsitzende des Arbeitskreises Kirche und Sport. Der Arbeitskreis will unter anderem christliches Leben im Sport fördern, uns an die Bedeutung von Geist und Körper erinnern und der christlichen Verantwortung im Sport gerecht werden. 

Dass die Sache zugleich zweischneidig ist, zeigt sich an Philipp Lahm. Der Zeitschrift Kicker hatte der ehemalige Kapitän der Fußballnationalmannschaft erklärt, nicht scharf zu sein, als Fan zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 nach Katar zu fliegen.

Nun aber ist der Turnierdirektor der Europameisterschaft 2024 in Deutschland zurückgerudert. Falls er im Ausblick auf die Euro eine Funktion bei der WM habe, werde er sich auf den Weg machen. Auch die Suche nach Energiepartnern in Folge des Ukrainekrieges hat dies verschärft.

Nichts konnte die Fifa aufhalten

Sich verweigern? Achselzuckend dabei sein? Mit einem Auge lunsen? Was tun mit einer WM, um die seit 2010 gestritten wird? Wie sich verhalten zu diesem Turnier, das 2015 aus dem Sommer in den Winter verlagert wurde, um der Hitze zu entfliehen? Nichts konnte den Weltfußballverband Fifa aufhalten.

Kirchliche Orientierung zur WM

Zur Fifa-Fußball-Weltmeisterschaft hat die Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die EKD, und der Evangelische Bund die Broschüre „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit – Die Fußball-WM in Katar in der Adventszeit 2022“ (als PDF) herausgegeben. Darin gibt es unter anderem Liedvorschläge, Gebete und Statements für eine kritische Auseinandersetzung.

Das Arbeitsheft der Kirchen findest du unter www.ekhn.de/katar

Fußball-WM in Katar: Anstoß am Totensonntag

Auch die Kirchen sind von dem Spielplan der WM betroffen: Weil die tägliche Flut an Fußballangeboten dem Charakter des Advents als Zeit der Einkehr zuwiderläuft. Der Druck aus Katar reichte kürzlich sogar, um den mit Fernsehanstalten seit 2015 verabredeten Turnierplan noch auszuhebeln: Statt am 21. November wird das Turnier nun am 20. November eröffnet. Dann spielt Katar gegen Ecuador just am „Ewigkeits-“ beziehungsweise am „Totensonntag“, dem Tag im Jahr, der dem stillen Gedenken dient.

Ich bin froh, dass die Broschüre „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit – Die Fußball-WM in Katar in der Adventszeit 2022“ hier einen kritischen und zugleich differenzierten Weg einschlägt. Sie überlässt es der und dem Einzelnen, zu entscheiden.

Offener Brief an DFB-Präsidenten

In einem offenen Brief sind EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschuss und Thorsten Latzel an den Präsidenten des Deutschen Fußballbundes (DFB), Bernd Neuendorf, herangetreten. Die Bitte: In Katar deutlich und klar für Menschenrechte einzutreten. In dem Brief bitten sie ihn auch, sich für dringend notwendige Veränderungen im organisierten internationalen Fußball einzusetzen. 

Der Brief der EKD an den DFB-Präsidenten im Wortlaut (PDF)

Medaille hat zwei Seiten

In der „Arbeitshilfe für Kirchengemeinden und Gruppen“ werden beide Seiten der Medaille gezeigt: Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung, die Einschränkung von Meinungs- und Religionsfreiheit oder die Verschwendung von Ressourcen einerseits und Ansätze positiver Entwicklungen innerhalb eines Staates der arabischen Welt: im Arbeits- und Gesundheitsschutz, in der Essens- und Wasserversorgung auf den Baustellen andererseits.

Sich selbst eine Meinung zur WM in Katar bilden

Deine Gedanken zur WM

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Was für uns wie kleine Schritte aussieht, ist vor dem Hintergrund des politischen Systems in Katar mitunter durchaus von großer Bedeutung. Das Arbeitsheft „Macht hoch die Tür, die Tooor macht weit“ lädt ein, sich selbst eine Meinung zu bilden.

Ich begrüße und unterstütze die Ideen verschiedener Kirchengemeinden, Adventsgottesdienste und andere Veranstaltungen dafür zu nutzen, sich kritisch mit den vielen problematische Fragen rund um die WM in Katar zu beschäftigen und dabei auch schon nach Handlungsperspektiven für die Euro 2024 in Deutschland zu suchen.

Vor allem aber wünsche ich allen Christinnen und Christen eine gesegnete Zeit des Advents!