Mensch oder Mythos?

Wie Sophie Scholl zur Widerstandskämpferin wurde

Sophie Scholl
Stadtarchiv Crailsheim Slg Hartnagel

Mit 21 Jahren wurde Sophie Scholl hingerichtet. Die bekannte Widerstandskämpferin gegen die Nazis war ursprünglich fanatische Anhängerin.

Sophie Scholl ist das gute Gewissen der Deutschen. Die junge Studentin engagierte sich wie ihr Bruder Hans im Widerstand gegen die Nazis. Als Mitglied der „Weißen Rose“ wurde sie im Februar 1943 hingerichtet. Vielleicht kennst du sie aber auch von Instagram als @ichbinsophiescholl

Der Südwestrundfunk und der Bayerische Rundfunk zeigen mit diesem Instagramprojekt die letzten zehn Lebensmonate von Sophie Scholl – hautnah und in Echtzeit. Die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus wäre am 9. Mai 100 Jahre alt geworden. Aber wie wurde Sophie Scholl zu der Ikone, die wir heute kennen? 

Geschwister Scholl werden von den Eltern religiös geprägt

Sophie Scholl kam aus einem ökumenisch geprägten religiösen Elternhaus. Ihr Vater Robert war Agnostiker, vertrat einen weltlichen Humanismus, hatte einen starken Freiheitsglauben und war durch und durch Pazifist. Ihre Mutter Lina war eine tiefgläubige weltoffene Protestantin, zehn Jahre älter als ihr Mann.

Für Vater Scholl legt die Diakonisse ihre Tracht sehr gerne ab

Als die beiden sich kennenlernten, war sie Diakonisse. Er hatte schon einen unehelichen Sohn mit einer verheirateten Frau. Aber für ihn legte sie die Tracht ab. Die Scholls bekamen zusammen fünf Kinder.

Sophies Kindheit

Sophies Geschwister heißen Inge, Hans, Elisabeth und Werner. Sie wurde am 9. Mai 1921 in Forchtenberg geboren. Sie zog mit ihrer Familie 1930 nach Ludwigsburg, 1932 Ulm um. 

In Forchtenberg in der Region Heilbronn-Franken war Sophies Vater Bürgermeister. Als er nicht wiedergewählt wurde, zog die Familie um.

Die Scholl-Geschwister begeistern sich für die Hitler-Jugend

„Während sich die Scholls in der neuen Umgebung langsam einlebten, taumelte die Weimarer Republik ihrem Ende entgegen“, beschreibt Maren Gottschalk die Situation. Die Nazis besetzten mehr und mehr den öffentlichen Raum. Die Biografin beschreibt, dass sich auch die Scholl-Geschwister für die Hitlerjugend begeisterten. Sie liebten Gemeinschaftserlebnisse, Wandern, Singen, Lagerfeuer.

Buch-Tipp

Maren Gottschalk: Sophie Scholl – Eine Biografie; Verlag C.H.Beck 2020; 354 Seiten; 24 Euro.

Die Eltern waren alles andere als begeistert, es gab heftige Diskussionen im Hause Scholl. Aber der Nachwuchs machte rasch Karriere in der Hitlerjugend (HJ) und dem Bund Deutscher Mädels (BDM).

Sophie Scholls Karriere beim Bund Deutscher Mädel

1935 wurde Sophie zur Jungmädelschaftführerin ernannt. Dabei passte sie eigentlich gar nicht in das Bild einer „Führerin“ jener Zeit. Sie war temperamentvoll, sportlich, hatte kurze dunkle Haare, war burschikos und frech. Weil sie so gut zeichnen konnte, hatte sie immer eine Gruppe Mädchen um sich herum.

Sophie war eine selbstbewusste Jugendliche mit einem sehr eigenen Kopf. Im BDM betreute sie eine Gruppe von zehn bis 15 Mädchen. Bei Ausflügen mussten die Mädchen laut ihrer Order ihr Geld abgeben, damit sie für alle Sprudel kaufen konnten. Auch den mitgebrachten Proviant ließ sie einsammeln. Den legte sie auf ein Tuch, verband den Mädchen die Augen, jede durfte einmal angeln und musste vorlieb nehmen mit dem Fang. „Die meisten Eltern konnten sich mit dieser Methode des Ausgleichs nicht anfreunden“, schildert Gottschalk lakonisch.

sehr romantisch, idealistisch und auch fanatisch

über Sophie Scholl

Auch Fahrten hat Sophie organisiert. Abends sang sie den Teilnehmerinnen am Lagerfeuer Balladen vor und spielte Gitarre dazu. Eva Amann, Mitglied der Gruppe, beschreibt sie als „sehr romantisch und idealistisch und auch fanatisch“. Als „Buabmädel“ bezeichneten die Eltern der Jungmädel die BDM-Führerin.

Die Geschwister Scholl erscheinen in HJ-Uniform bei der Konfirmation

Sophie Scholl
Stadtarchiv Crailsheim Slg Hartnagel

Mit 16 verwandelte sich Sophie langsam vom bubenhaften Teenager in eine junge Frau. Ihr glattes Haar trug sie jetzt gescheitelt, zuerst noch kurz, dann kinnlang. Am Palmsonntag 1937 wurden Sophie und ihr Bruder Werner konfirmiert. Es war keineswegs selbstverständlich, dass die beiden jüngsten Scholl-Kinder wie die älteren zur Einsegnung gingen, da die Hitlerjugend den Kirchen das Wasser abgrub – mit Erfolg. Die beiden erschienen in HJ-Uniform vor dem Altar.

Bei einem Tanzabend lernt Sophie Scholl Fritz Hartnagel kennen

Im Frühjahr 1937 begann Sophie, Tagebuch zu schreiben. Ihre Stimmungen wechselten rasch, zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Eins stand für sie fest: Sie wollte Malerin werden. Im Winter dieses Jahres lernte sie bei einem Tanzabend Fritz Hartnagel kennen. Er stammte aus Ulm, kannte Sophies Brüder schon länger, hatte die Offizierslaufbahn eingeschlagen und war gerade in Augsburg stationiert.

Fritz war für sie ein Mensch, bei dem sie sich auch schwach, verzagt, unglücklich, aber auch wütend zeigen konnte

Biografin Maren Gottschalk

Sophie sah sehr jung aus, aber sie benahm sich nicht so. Sie rauchte, trank Wein, machte freche Bemerkungen und tanzte ausgelassen. Sie hatte sich geweigert, die Tanzstunde zu besuchen und Walzer zu lernen, sie liebte die neuen amerikanischen Tänze wie Foxtrott. Mit Fritz entwickelte sich eine ernsthafte Liebensbeziehung.

Der Briefwechsel der beiden ist, bis auf den letzten Teil, der an der Front verloren ging, fast vollständig erhalten. Diese Briefe bewertet Maren Gottschalk als unendlich wichtig, „weil sie sich ihm gegenüber geöffnet hat. Fritz war für sie ein Mensch, bei dem sie sich auch schwach, verzagt, unglücklich aber auch wütend zeigen konnte“, urteilt die Biografin. 

Vater Scholl arbeitet als Steuerberater auch für viele jüdische Familien

Die Abkehr von der NS-Ideologie geschah nach und nach. Sophie war von der Reichspogromnacht entsetzt. Vater Scholl arbeitete als Steuerberater auch für jüdische Familien. Der Großvater der Schriftstellerin Amelie Fried wollte das Ulmer Schuhhaus Pallas an seine nichtjüdische Ehefrau übergeben.

„Mit der Abwicklung beauftragten meine Großeltern Wirtschaftstreuhänder Robert Scholl, einen Bekannten der Familie. Der Vater der Geschwister Scholl ist bekannt für sein Engagement und seine Vertrauenswürdigkeit, und natürlich ist er ein ausgewiesener Nazi-Gegner.“ Das Zitat findet sich in den Ingersheimer Blättern, herausgegeben von der Geschwister-Scholl-Schule in Crailsheim. Robert Scholl kannte viele verzweifelte jüdische Familien, er half einigen von ihnen, das Land zu verlassen  

Was mache ich hier eigentlich? Was habe ich für eine Haltung?

Sophie Scholl ist auf diesem Foto vermutlich 17 Jahre alt
epd-bild/Keystone
Auf diesem Foto ist sie vermutlich 17 Jahre alt.

Spätestens mit Ausbruch des Krieges entwickelt sich bei Sophie Scholl Widerwillen, gar Abscheu gegen die Nazis.

Sie habe sich immer öfter gefragt: „Was mache ich hier eigentlich? Was habe ich für eine Haltung? Was passiert hier mit dem Krieg?  in welchem Land leben wir eigentlich?“ beschreibt Gottschalk den selbstkritischen Geist. „Der Prozess, den sie durchlaufen hat, macht sie als Widerstandskämpferin noch viel größer. Wenn wir den nachvollziehen, können wir uns ihr näher fühlen.“   

Sophie Scholls Beziehung zu Gott

Laut Tagebuch hat sie nach 1939 häufig mit Gott gerungen, hat viel gebetet. Gott ist ihr nähergekommen, gab ihr Kraft für spätere Taten. Der Weg Sophie Scholls in den Widerstand war nicht geradlinig. Erst im Krieg wurde aus der inneren Distanz zum System der endgültige Bruch.

Die Gründung der Weißen Rose in München

Hans Scholl und seine Freunde leisteten als Medizinstudenten Dienst in der Wehrmacht, dort erfuhren sie von den entsetzlichen Verbrechen hinter der Front. Auch der Freund Fritz erzählte von seinen Erfahrungen. Diese Erlebnisse, das Wissen um den Massenmord an Juden und die sinnlosen Opfer im aus ihrer Sicht längst verlorenen Krieg, waren schließlich der Auslöser für die ersten Flugblätter der „Weißen Rose“. 

Seit Mai 1942 studierte Sophie Biologie und Philosophie in München. Anfangs war sie nicht aktiv beteiligt, erst im Winter 1942 gehörte sie dem kleinen Kreis von Studenten an, die in München weitere Flugblätter entwarfen und verteilten. Sie war zuständig für die Materialbeschaffung und wagte als Erste aus dem Freundeskreis die Fahrt in andere Städte, um dort die Texte zu verbreiten.

Gestapobeamter rät Sophie Scholl sich als unbedarft und schuldlos hinzustellen

Als Hans und Sophie Scholl am 18. Februar 1943 bei der Verteilung von Flugblättern an der Münchner Universität verhaftet wurden, bestand für Sophie Scholl noch eine Chance, glimpflich davon zu kommen. Der Gestapobeamte Robert Mohr, der die Verhöre leitete, sagte nach dem Krieg aus, er habe Sophie Scholl nahegelegt, sich darauf zu berufen, dass sie unbedarft und schuldlos in die Sache ihres Bruders hineingezogen worden sei. Darauf sei sie nicht eingegangen.

Es war unsere Überzeugung, dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.

Sie entschied sich stattdessen dafür, „gerade zu sein“, Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen und sich nicht herauszureden. Im Vernehmungsprotokoll heißt es nüchtern: „Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist.“ 

Sophie Scholl in der Kunst Jugendlicher

In Ingelheim hat das kunstkulrlabor zu Sophie Scholls 100. Geburtstag ein Mitmachprojekt ausgerufen. Dazu gehören auch Kunstwerke von Schülerinnen und Schüler. Hier zeigen sie, welchen Einfluss Sophie Scholl heute noch hat. 

Zur Aktion mit den kreativen Arbeiten hier entlang

Sophie Scholl gab der Wahrheit die Ehre. Dafür bezahlte sie am 22. Februar 1943 mit ihrem Leben. Damals war sie 21 Jahre alt. Geholfen hat ihr beim letzten Gang ihr Glaube. Sie war fest davon überzeugt, dass sie in wenigen Stunden bei Gott sein werde.

Nach dem Tod: Fritz heiratet Sophies Schwester Elisabeth Scholl

Fritz Hartnagel hat den Krieg überlebt, studierte Jura und war als Richter in Stuttgart tätig. Er hat Sophies ältere Schwester Elisabeth geheiratet und mit ihr vier Söhne bekommen. Er engagierte sich gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. 2001 starb er. Seine Frau folgte ihm 2020, einen Tag nach ihrem 100. Geburtstag. Sie soll ihrer Schwester sehr ähnlich gewesen sein, sagt Biografin Maren Gottschalk.