Vorbild

Frankfurterin hilft unzähligen Verfolgten während des Holocausts

Erica Ludolph
Getty Images/Bulat Silvia; privat
Erica Ludolph

Eins will Erica Ludolph nicht: Retterin genannt werden. Darüber reden möchte sie auch nicht. Stattdessen plagt sie das Gewissen, zu wenig getan zu haben.

Stolpersteine
Esther Stosch
Zahlreiche Stolpersteine für Opfer des NS-Regimes hat Erica Ludolph mit ihrem Geld bezahlt.

von Doris Stickler

Auf welcher Seite sie steht, wusste Erica Ludolph schon als 14-Jährige. Mit ihrer Mutter hatte sie sich in der Frankfurter Dreifaltigkeitsgemeinde 1935 einem Helferkreis der Bekennenden Kirche angeschlossen, der sich um jüdische Bürger kümmerte und sie mit Lebensmittel versorgte. In den folgenden Jahren verstärkte sie ihr Engagement und stand bis zum Ende des Nazi-Regimes Verfolgten zur Seite.

Im Verhör rechnet sie mit dem Schlimmsten

Weil sie unter anderem französische Kriegsgefangene mit Nachrichten und Essen versorgte, wurde Erica Ludolph angezeigt und 1943 zur Gestapo beordert. Sie rechnete mit dem Schlimmsten und hatte den Koffer bereits gepackt. In dem Verhör konnte sie mit „Lügen, bis sich die Balken bogen“ die Anschuldigungen jedoch entkräften und wurde nur verwarnt.

Die Drohung, wenn man noch einmal etwas von ihr höre, wisse sie, was ihr blüht, schreckte Erica Ludolph nicht ab. Sie besorgte sich vielmehr einen gefälschten Ausweis, um weiter Kurierdienste leisten zu können. Im Jahr darauf verhalf sie der Mutter ihrer besten Freundin zur Flucht. Die Christin jüdischer Herkunft hatte eine Vorladung zur Gestapo erhalten, was die bevorstehende Deportation bedeutete.

Ihr Handeln ist für sie eine Selbstverständlichkeit

Ihre mutigen Taten hielt Erica Ludolph lange unter Verschluss. Die Geschichte von der Fluchtbegleitung etwa erzählte sie erstmals 2007. Erica Ludolph wird am 25. März 100 Jahre alt. „Erica Ludolph ist sehr zurückhaltend und redet nicht über Einzelheiten oder Zusammenhänge. Sie will auch nicht, dass man sie Retterin nennt, weil sie ihr Handeln als selbstverständlich begreift. Es ist für sie der im Alltag gelebte Glaube", erzählt Petra Bonavita, die Bücher über den NS-Zeit geschrieben hat.

Erica Ludolph sei wohl klar gewesen, dass sie nach Ende des Nationalsozialismus noch lange „als Volksverräterin betrachtet worden wäre, hätte sie jemandem derartiges anvertraut“. Sie selbst habe ihr Schweigen einmal mit den Worten begründet: „Meine Angst und eigene Feigheit, als Vaterlandsverräterin behandelt zu werden“. Nach 1945 fühlte sich Erica Ludolph denn auch nur unter Gleichgesinnten wohl.

Zahlreiche Stolpersteine hat Erica Ludolph finanziert.
Initiative Stolpersteine
Zahlreiche Stolpersteine hat Erica Ludolph finanziert.

Bis zu ihrer Pensionierung 1981 betreute sie in Frankfurt verbliebene und aus der Emigration zurückgekehrte „rassisch“ Verfolgte und kümmerte sich darum, das sie Beihilfen, Entschädigungen und Renten erhielten.

Statt Stolz spürt sie ein schlechtes Gewissen

Dass sie etliche Stolpersteine initiierte und finanzierte wundert den Frankfurter Stolperstein-Koordinator Hartmut Schmidt wenig. „Erica Ludolph kann nicht anders als sich zu engagieren“, sagt er.  Viele, die sie kennen sind davon überzeugt, dass Erica Ludolph mehr getan hat, als sie erzählt. Für ihre Taten hat sie zudem fast völlig auf Privatleben und gänzlich auf eine Familie verzichtet.

Weitere Infos

Informationen über das Schicksal von Juden und Jüdinnen in Frankfurt gibt es im Jüdischen Museum .und im Museum Judengasse. Lesenswertes findest du zudem bei der Initiative Stolpersteine Frankfurt.

Trotzdem plagten sie bis heute Schuldgefühle, werfe sich vor, nicht mehr gemacht zu haben, weiß die Soziologin Bonavita. Eine Begebenheit laste besonders schwer auf ihr. Gegen Ende des NS-Regimes sei Erica Ludolph zufällig am Hauptbahnhof unterwegs gewesen, als dort Polizisten etwa 30 Juden zusammentrieben. Sie könne sich nicht verzeihen, dass sie damals „die Beine in die Hand genommen hat und vorbei gerannt ist, statt ihr Leben zu opfern“.