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ERFAHRUNGSBERICHT

Zwei Tage in der Altenpflege- und Betreuung

Betreuung und Pflege: Max Löser schnuppert in die Bereiche im Haus Emmaus.
Leon Ebersmann
Max Löser arbeitet zwei Tage lang im Haus Emmaus.

Ich arbeite zwei Tage im Haus Emmaus in Oberursel.

Montagmorgen, kurz vor halb sieben. Die Arbeit ruft. Im letzten Jahr habe ich mein Abitur gemacht. Viele meiner ehemaligen Mitschüler verbringen ein Jahr im Ausland, machen Pause oder studieren. Ich kenne niemanden, die oder der eine Ausbildung in der Altenpflege- und Betreuung macht. Warum eigentlich? Um das herauszufinden, starte ich nach Oberursel, dort verbringe ich zwei Tage im Haus Emmaus, einem Alten- und Pflegeheim.

Ungewohnte Anblicke zu Beginn

Als mich Altenpfleger Michael empfängt, ist es ruhig. Die Bewohnerinnen und Bewohner schlafen noch. Er bringt mich in die erste Etage, insgesamt gibt es fünf. Michael übergibt mich an Mariola. Sie ist seit 13 Jahren Pflegerin im Haus. Wir klopfen an der ersten Tür. Es ist das Zimmer von Herrn K. Als wir reinkommen und die Vorhänge aufziehen, reibt er sich die Augen. Langsam kommt er zu sich und Mariola beginnt, ihn aus dem Bett zu heben.

Gerät, mit dem Patienten etwa aus dem Bett gehoben werden können.
Max Löser
Ein Patientenlifter im Haus Emmaus.

Das tut sie mit einem Patientenlifter. Ein Gerät, mit dem Herr K. an Gurten befestigt und angeschnallt wird. Praktisch: Denn Herr K. kann nicht mehr stehen. So kann er in eine Position gehoben werden, aus der ihm Mariola das Schlaf-Shirt und die Einlage ausziehen kann. Das geht ziemlich schnell. Ich bin froh, dass Mariola das macht. Sie ist bewundernswert fit, gestern hatte sie noch Spätschicht bis 21.30 Uhr. „Schaukelschichten” nennen sie das, wenn sie nach einer Spätschicht, gleich am nächsten Morgen Frühschicht haben. Sie erzählt mir:

Das ist ein bisschen schwer, aber in diesem Beruf ist alles möglich.
 

Die Schaukelschichten seien aber die absolute Ausnahme. Nicht jede Bewohnerin und jeder Bewohner kommt schnell aus dem Bett. Ich merke, als Pfleger muss ich geduldig sein – darf aber gleichzeitig nicht zu lange warten. Denn viele Bewohnerinnen und Bewohner warten auf unsere Unterstützung. Während die nächste Bewohnerin mit Mariola ins Bad geht, räume ich das Zimmer auf und richte ihr Bett. 

In den ersten knapp neunzig Minuten habe ich das Gefühl, dass ich Mariola gut unterstützen und ihr die vergleichsweise „leichtere Arbeit“ abnehmen kann. Ich bringe einige Bewohnerinnen und Bewohner in den Speisesaal, wo ihr Frühstück wartet. Außerdem helfe ich einer Dame vom Bett in ihren Rollstuhl.  Mein erster Körperkontakt: Gar nicht so schlimm, wie gedacht.

Das erste Tief

Einige frühstücken im Saal, anderen wird das Essen am Bett „angereicht”. Eine alte Dame liegt im Bett und kann sich kaum bewegen. Weil sie nichts Bissfestes mehr essen kann, haben wir ihr Pudding, Quark, Wasser und einen Powershot mitgebracht. Das Essen und Trinken serviert Mariola in kleinen „Schnabeltassen“. So nennen sie die kleinen Trinkgefäße hier.

Eigentlich will ich das machen, muss mir aber eingestehen: Das ist eine Nummer zu groß für mich. Der Bewohnerin muss das Essen sehr langsam angereicht werden, denn sie kann kaum schlucken. „Noch ein bisschen”: Diesen Satz muss Mariola jeden Tag unzählige Male sagen. Die Dame bekommt den Mund kaum auf, hustet, hat ständig Würgereize. Mariola erklärt mir, dass sie nicht mit Gewalt anreichen dürfen. Denn „wenn's nicht geht, dann geht's nicht.“ Wir respektieren, dass die Dame heute nichts essen will

Wir möchten wissen:

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Endlich: Alle Bewohnerinnen und Bewohner der Etage sind versorgt. Es ist bereits 11 Uhr. Es geht steil in Richtung Mittagessenszeit. Während sich die Bewohnerinnen und Bewohner im Speisesaal sammeln, gehe ich herum und frage, was sie gerne hätten. Es gibt zwei Gerichte zur Auswahl. Einige muss ich regelrecht anschreien und mich trotzdem dreimal wiederholen.

Ich verteile Suppe in Suppentassen. Einigen Frauen und Männern reiche ich das Essen an, anderen schmeckt die Suppe nicht. Eine Bewohnerin ruft mich zu sich, ich verstehe sie kaum. Ich denke, sie stellt sich mir vor. Ich möchte höflich sein und stelle mich ihr ebenfalls vor. Ein Missverständnis. Denn sie braucht ein Messer, mit dem ich ihre Gemüselasagne kleinschneiden soll. Ich lache innerlich.  

Der erste Tag ist fast rum: In meiner kleinen Mittagspause unterhalte ich mich mit Beate Lempp, der Hausleiterin. Sie erzählt mir, dass es im Haus Emmaus viele junge, engagierte Praktikanten gibt. Und die meisten gingen mit einem Lächeln raus. Sie erzählt mir, dass viele merkten, dass Altenheime doch nicht so schlimm seien.

Im Personalzimmer herrscht langsam Aufbruchsstimmung. Es ist kurz nach eins, ich bin ziemlich müde. Die Spätschicht trudelt ein, Absprachen werden getroffen. Um kurz vor zwei mache ich Feierabend.

Tag 2 als Altenpfleger: Ausflug in den Kurpark Bad Homburg

Meine Schicht an Tag zwei startet um 12 Uhr. Pflegefachwirtin Steffi empfängt mich im Bereich Betreuung. Sie scherzt:

Mein Job ist es, Spaß zu machen.

Spaziergang durch den Kurpark Bad Homburg.
Leon Ebersmann
Betreuerin Steffi (vorne links) führt eine Bewohnerin des Haus Emmaus durch den Kurpark Bad Homburg.

Alles, was nicht mit der pflegerischen Versorgung zu tun hat, fällt in ihren Bereich. Zum Beispiel malt, gärtnert und singt Steffi mit den Bewohnerinnen und Bewohnern. Im Aufzug sehe ich den Wochenplan mit vielen Angeboten für die Menschen. Heute fahren wir mit 25 von ihnen in den Bad Homburger Kurpark. Vor dieser Aufgabe habe ich ziemlichen Respekt.

Wir gehen durchs Haus und geben ihnen Bescheid, dass es gleich los geht. Einige Bewohnerinnen und Bewohner haben vergessen, dass sie sich angemeldet haben. Andere wehren sich vehement und schicken uns aus ihren Zimmern raus. „Bei einigen bedarf es viel Überzeugungsarbeit“, erzählt mir Steffi.

Reporter wartet mit Frau M. aus dem Haus Emmaus vor Bus Rampe
Leon Ebersmann

Es geht los: Ich bringe Frau M. in ihrem Rollstuhl zum Bus. Die Rollstuhlfahrer werden mit einer Rampe in den Bus gehoben. Als ich mit Frau M. auf der Rampe stehe, fühle ich mich unsicher, es wackelt sehr. Ich trage in diesem Moment Verantwortung, auch wenn Frau M. gesichert ist. Ein aufregendes Gefühl.

Persönliche Stärke: Gespräche führen

Während der Fahrt spreche ich mit einer Bewohnerin aus dem Nachbarhaus. Sie ist gut gelaunt. Wir fahren an ihrem alten Wohnhaus vorbei. Die Stimmung sinkt etwas ab, ist fast gedrückt. Ich frage sie, ob sie traurig ist, nicht mehr in ihrer Wohnung zu leben. Sie erzählt mir, dass es besser so sei. Sie sei froh, dass sie im Heim Unterstützung erfährt.

Wir schauen aus dem Bus in Richtung Himmel. Auf der linken Seite ist er blau, die andere Seite ist bedeckt. „Das ist wie im Leben - man muss immer die gute Seite sehen“, sagt die alte Dame. Ich merke, die Gespräche mit den Bewohnern liegen mir.

Im Kurpark habe ich aber das Gefühl, ich blamiere mich gerade aufs Schärfste. Denn ich weiß nicht, wie ich die Bremsen des Rollstuhls gelöst bekomme. Zum Glück hilft mir jemand. Wir gehen und rollen durch den ganzen Park.

Frau M. blüht regelrecht auf, ein toller Moment für mich. Hut ab, was die Bewohnerinnen und Bewohner mitmachen und wie fit viele sind. Als wir am Café ankommen, merken wir, dass einige nicht hinterhergekommen sind. Wir gehen zurück und sammeln sie mit Rollstühlen auf. An diesem Tag komme ich ins Schwitzen.

Max Löser schlüpft in die Rolle eines Altenbetreuers und sitzt mit Bewohnerinnen und Bewohnern des Haus Emmaus am Tisch.
Leon Ebersmann
Reporter Max Löser mit Senioren des Haus Emmaus in einem Café im Bad Homburger Kurpark.

Im Café bewundere ich wieder Betreuerin Steffi, die den Überblick behält und in ihrer verantwortungsvollen Rolle so entspannt ist. Ich setze mich an den Tisch von Juliane. Sie ist 92 Jahre alt, trotzdem sind wir gleich beim Du. Wir unterhalten uns über Thomas Mann, über ihre und meine Familiengeschichte und unnützes Wissen.

Die Zeit vergeht schnell. Unser nettes Gespräch wird unterbrochen, denn ein anderer Bewohner dreht sich wütend zu uns um. Er zeigt auf sein Ohr, ich sehe ein Hörgerät. Offenbar habe ich zu laut gesprochen, weil Juliane nicht mehr so gut hört. Eine unangenehme Situation für mich. Ich merke, ich muss sensibler werden und mich an jeden anpassen.

Reporter bringt Bewohnerin zum Bus.
Leon Ebersmann
Ich führe eine Bewohnerin des Haus Emmaus an der Hand zum Bus.

Für den Nachhauseweg wartet der Bus neben dem Café.  Ich darf eine Bewohnerin an der Hand zum Bus führen. Es ist zunächst ein komisches Gefühl die Dame an der Hand zu halten, ich gewöhne mich aber schnell daran. Auf dem Weg zum Bus hat sie das Gefühl, in die Hose gemacht zu haben. Sie bittet mich, danach zu sehen.

Wieder eine völlig neue Situation. Aber: alles gut. Am Bus heben wir sie zu zweit die Treppen hoch, weil sie selbstständig nicht hochkommt. Im Bus schnappe ich mir das Busfahrer-Mikrofon, verabschiede und bedanke mich bei allen. Ich bekomme Applaus und habe das Gefühl, meinen Job gut gemacht zu haben.

Fazit der beiden Tage

Gemeinsam mit Steffi ziehe ich ein Fazit: Mir sind die Bewohnerinnen und Bewohner schnell ans Herz gewachsen. Ich musste oft schmunzeln, manchmal wurde ich sehr nachdenklich. Die Pflege ist intensiv und kann auf Dauer anstrengend sein, die Betreuung könnte ich mir als Beruf vorstellen. Auch Steffi sieht das so. Ich jedenfalls bin sehr zufrieden, ein wenig Anteil genommen und einen Einblick in das Leben und die Arbeit im Alten- und Pflegeheim genommen zu haben.