Gerechtigkeit

Kirche warnt vor Kollaps der Pflege

Kirche warnt vor Kollaps der Pflege
Christian Friedrich Schmidt
Kirche warnt vor Kollaps der Pflege

Berufsflucht und immer älter werdende Menschen. Wie kann der Spagat für die Zukunft in der Pflege gelingen? Auch eine Frage für die Kirche.

Die Menschen werden älter und haben weniger Familie, damit steigt der Bedarf an Pflegekräften. Die aber arbeiten hart und verdienen schlecht - eine ungute Kombination. Deshalb fordert die Synode der hessen-nassauischen Kirche, dass sich etwas ändert, und zwar gründlich.

Corona verschärft Situation in Pflegeheimen

Ein „Spannungsfeld, das kaum auszuhalten ist“. Mit drastischen Worten beschreibt Christa Hofmann-Bremer, Leiterin zweier Seniorenheime der Diakonie in Gießen und Linden, wie Corona die Situation in den Pflegeheimen verändert hat.

Die Pflegerinnen und Pfleger müssen Abstand halten, die Bewohner brauchen Nähe, berichtet sie den Synodalen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Diese haben sich während ihrer digitalen Tagung mit dem Thema Pflege beschäftigt. Und von Christa Hofmann-Bremer gehört, dass die Pflegekräfte zu „Risikofaktoren“ für die Bewohner geworden sind.

Menschen in Pflegeheimen leiden unter Armut

Hofmann-Bremer sprach sich für eine „dringende Reform der Pflegeversicherung“ aus. Denn auch vielen Menschen, die in ihrem Berufsleben gut verdient hätten, blieben im Heim mitunter nur 100 Euro Taschengeld im Monat. Das reiche schon nicht aus, wenn sie nach einem Friseur- und Café-Besuch mal einen neuen Schlafanzug brauchten.

Krasse Situationen in der häuslichen Pflege

Martina Desch, Leiterin der Diakoniestation Offenbach, erzählte den Synodalen von völlig „desolaten Situationen“, die die ambulanten Pflegkräfte bei ihren Klienten zum Teil angetroffen hätten. Ehrenamtliche, Haushaltshilfen und Kinder hätten die Pflegebedürftigen gerade zu Beginn der Pandemie nicht mehr besucht.

Deshalb waren die Pflegekräfte die letzten, „die noch in die Wohnungen gekommen sind“. Sie „wollten die Leute nicht im Stich lassen“, mitunter habe Verwahrlosung gedroht. In einigen Fällen seien die Pflegerinnen zu Vertrauten, Betreuern und Seelsorgerinnen geworden.

Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege

Nach 45 Jahren im Beruf fordere sie bessere Arbeitsbedingungen und eine Abkehr von der Gewinnoptimierung in der Pflege, betonte Desch: „Wir wollen bedürfnisgerecht arbeiten.“ Stattdessen raubten ständig neue Regeln und Verordnungen den Mitarbeitenden den Atem.

Nach den Berichten aus der Praxis forderte die Synode eine „grundlegende Finanz- und Strukturreform der Pflege“. Sie stimmte mit großer Mehrheit für eine Resolution mit dem Titel „Den Kollaps der Pflege verhindern, die Pflege der Zukunft durch eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung sichern“.

Darin heißt es, das Teilkasko-Prinzip der Pflegeversicherung sei überholt und müsse durch ein solidarisches Finanzierungssystem abgelöst werden. Es müsse sichergestellt sein, dass Pflegeleistungen überall in gleicher Weise finanziell gefördert und in hoher Qualität geleistet werden.

Aktuelle Pflegesituation steht auf fragilen Füßen

Mit Blick auf die Situation der Pflege stellte die Synode fest, dass sich die Versorgungssituation pflegebedürftiger Menschen zu einer „Mangelwirtschaft“ entwickelt. Etwa 52 Prozent der Pflegebedürftigen werden durch ihre Angehörigen versorgt.

Dieses System werde brüchig, weil die „Übernahme von Sorgetätigkeiten Frauen zunehmend in die Armut führt“. Sie steigen aus dem Beruf aus oder reduzieren ihre Arbeitszeit. In der Folge bekommen sie niedrigere Renten. Zudem nimmt die Zahl der Kinder in Familien ab, die Pflegetätigkeiten übernehmen können. Parallel dazu steigt die Zahl der Kinderlosen.

Schlechte Arbeitsbedingungen führen zu Berufsflucht

Wegen der steigenden Lebenserwartung werden langfristig mehr Pflegekräfte gebraucht. Deren schlechte Arbeitsbedingungen aber führen „zu Berufsflucht“, heißt es in der Resolution. Damit sind niedrige Löhne, Schichtarbeit und eine zunehmende Arbeitsverdichtung angesprochen. Viel zu wenige junge Menschen wollen deshalb in den Beruf einsteigen.

Versorgung auf dem Land schlechter

Bessere Arbeitsbedingungen für die Pflegerinnen und Pfleger dürften aber nicht dazu führen, dass die Heimbewohner noch mehr bezahlen müssen. In Hessen müssen sie im Durchschnitt einen monatlichen Betrag von gut 1.800 Euro aufbringen. Prognosen gingen von einer Steigerung des Eigenanteils bis zu 300 Prozent bis zum Jahr 2040 aus.

Besonders schlecht sei die Situation in ländlichen Gebieten. Dort gebe es keine ausreichenden Versorgungsangebote für Pflegebedürftige. Grund dafür sei, dass es auch in der Pflege bei vielen Anbietern vor allem um Gewinnmaximierung gehe.