Soziales

Obdachlos nach Trennung: Ein Problem, über das kaum jemand spricht

Cornelia steht auf dem Balkon und blickt in ihre neue Nachbarschaft
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Nach Jahren der Gewalt schafft Cornelia die Flucht. Nun ist sie obdachlos und der nächste Kampf beginnt. Wie sie ihn gewann, erfährst du in ihrer Geschichte.

Seit wenigen Wochen hat Cornelia wieder ein eigenes kleines Zuhause: ein Zimmer, ein Bad, eine kleine Küche und einen Balkon, auf den sie gerne zum Rauchen rausgeht.

Stolz öffnet sie die Tür - endlich kann sie wieder Besuch empfangen.

Im vergangenen Jahr lebte Cornelia in einer Wohngemeinschaft für obdachlose Frauen. „Dass es einmal so weit kommt, dass ich auf sowas angewiesen bin, hätte ich selbst nicht geglaubt“, schüttelt die 48-Jährige den Kopf.

Flucht aus der Gewalt in der Beziehung

Sie sitzt auf ihrem Sofa und hat immer wieder Tränen in den Augen, als sie erzählt: „Ich habe jahrelang häusliche Gewalt erlebt. Er hat mir Zeug hinterher geschmissen, manchmal gab’s ne Ohrfeige.“ Es ging immer so weiter: „Er hat mich eingesperrt ins Zimmer, hat mir mein Handy weggenommen - solche Sachen. Und dann hat er gesagt: ‘Dich will eh keiner, sei froh, dass du mich hast.’“ Cornelia weiß heute, was ihr passiert ist.

Er hat mich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch kaputt gemacht.

Viele Jahre macht Cornelia das alles mit: die körperlichen Angriffe und Demütigungen. Sie ist ihm hörig. Aber irgendwann reichte es ihr: „Ich bin von heute auf morgen abgehauen“, erinnert sie sich.

Schnell packt sie das Nötigste zusammen und setzt sich in einen Zug. Papiere oder Personalausweis hat sie nicht dabei. In den Tagen darauf ruft ihr Ex häufig an und droht ihr.

Cornelia zieht bei einem Freund ein, den sie im Internet kennengelernt hat. Die erste Zeit läuft alles gut, dann muss ihr Freund selbst aus seiner Wohnung ausziehen. Plötzlich steht sie da:

  • ohne Wohnung
  • ohne Geld
  • ohne Ausweis
  • ohne Perspektive

Und mit einer riesigen Angst, dass ihr gewalttätiger Ex sie finden könnte.

Telefonnummern, die helfen

📲 Telefonseelsorge 0800 1110111

📲 Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen 08000 116 016

📲 Kirchliche Beratungsstellen wie Diakonie oder Caritas

📲 Der WEISSE RING

📲 Liste mit Beratungsstellen bei Pro Familia

„In dem Moment ist eine Welt für mich zusammengebrochen“, gesteht sie sich ein. Dieses Gefühl, plötzlich obdachlos gewordene zu sein.

In ihrer Verzweiflung ruft sie die Obdachlosenhilfe der Erlacher Höhe in Calw an: „Ich war sehr nervös, ich habe am Telefon geweint. Heute bin ich froh, dass ich dort angerufen habe.“

Erlacher Höhe: Frauen-WG statt Obdachlosigkeit

Für eine Nacht bekommt sie ein Notbett. Das hält die Erlacher Höhe genau für solche Zwecke bereit. Danach geht es für die verzweifelte Frau in ein Obdachlosenheim. Nur kurze Zeit später wird in der geschützten Frauen-WG ein Platz frei. Hier kann Cornelia erstmal zur Ruhe kommen: „Es war immer jemand da. Ich war geschützt und ich habe mich sicher gefühlt.

Cornelia sitzt am Tisch in der WG und blickt eine Mitbewohnerin an.
Juliane Eberwein

Geschichten wie die von Cornelia hört Sozialarbeiterin Jacqueline Heinz oft. Seit über zwei Jahren arbeitet sie in der Wohnungslosen-Notfallhilfe. „Wohnungslosigkeit ist häufig verknüpft mit vielen anderen Problemen.“ Sie erklärt: „Man wird selten einfach so obdachlos, wenn ansonsten alles gut läuft. Da haben meist viele Probleme über lange Jahre ineinander gegriffen und sich gegenseitig verschlimmert.“

„Obdachlosigkeit kann jeden treffen“

Zum Beispiel könne es damit anfangen, dass ein Mensch den Job verliert, erklärt die Expertin. Das führe oft zu Problemen in der Partnerschaft, es komme zur Trennung und zur Auflösung des gemeinsamen Haushalts. Ohne Familie und Job würden viele depressiv, bei manchen kämen dann psychische Krankheiten und Suchtprobleme dazu.

In einem solchen Zustand würden sich dann die Menschen einfach nicht mehr um ihre Angelegenheit kümmern und zum Beispiel einfach die Miete nicht mehr bezahlen. Dann droht die Obdachlosigkeit, die alles noch viel schlimmer macht - ein Teufelskreis, aus dem viele nicht mehr allein heraus kommen.

„Obdachlosigkeit kann jeden treffen - egal welches Geschlecht und welches Alter man hat“, warnt Jacqueline Heinz.

Weil die Probleme oft vielschichtig sind, setzt die Erlacher Höhe bei ihren Klienten ganzheitlich an. Es geht der diakonischen Einrichtung nicht nur darum, dafür zu sorgen, dass die Betroffenen wieder ein Dach über dem Kopf haben.

Am Anfang schauen wir, um was wir uns alles kümmern müssen. Dann fangen wir mit dem an, was höchste Priorität hat, wie zum Beispiel Räumungsklagen oder Mietschulden“, erklärt die 25-jährige Sozialarbeiterin. Danach gehe man die anderen Probleme Stück für Stück an.

Cornelia brauchte ebenfalls nicht nur eine Unterkunft, sondern auch Hilfe bei der Beantragung neuer Ausweisdokumente und Sozialleistungen. Und auch die Unterstützung, die richtigen Ärzte zu finden und eine gesunde Tagesstruktur aufzubauen, nahm sie gerne an. Seit geraumer Zeit arbeitet sie in der hauseigenen Wäscherei.

Cornelia arbeitet in der Wäscherei
Juliane Eberwein

Von Anfang an wird Cornelia durch regelmäßige Beratungsgespräche unterstützt. Wie viele Opfer von häuslicher Gewalt ist sie stark verunsichert. „Ich habe immer gedacht, ich bin an allem schuld. Die Sozialarbeiter haben mir klargemacht, dass das nicht stimmt.“

Von einem Albtraum in den nächsten: Wie die Diakonie hilft

Nach einem Jahr in der Frauen-WG findet Cornelia eine eigene Wohnung. Sich selbst überlassen wird sie deswegen aber nicht. Jacqueline Heinz kommt einmal in der Woche vorbei. Dann erledigen sie zusammen die Post, besprechen, was es Neues gibt.

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Die Sozialarbeiterin unterstützt ihre Klientin aber auch bei ganz praktischen Dingen: Heute messen die zwei Frauen aus, wie groß der Tisch sein darf, den sich Cornelia für ihre neue Wohnung noch anschaffen will. Ein Bett und eine Couch hat sie schon. Fehlt noch ein Tisch, an dem sie endlich wieder Gäste bewirten will. Ihren neuen Freund und seine Mutter zum Beispiel, verrät sie.

Der Schritt heraus aus der häuslichen Gewalt war für Cornelia nicht einfach, aber er hat sich gelohnt. Mit ihrer Geschichte will sie nun anderen Frauen Mut machen, ebenfalls für sich einzustehen: „Viele schweigen es tot. Nein, wehrt euch. Es gibt immer Anlaufstellen, die helfen. Ich habe das auch nicht geglaubt, aber es ist so.“