Sterben und Tod

Kinder- und Jugendhospizdienst: Zeit für echte Gefühle

Kinderhospizleitung
AKHD
Melanie Timmler und Diana Milke (von links) im ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst in Bad Homburg

Schock für Eltern: Wenn das Kind eine lebensverkürzende Krankheit hat. Unterstützt werden die Familien vom ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst.

Anna B. (Name ist der Redaktion bekannt) ist das, was man taff nennt. Die drahtige Frau mit dem praktischen Kurzhaarschnitt aus Bad Homburg hat zwei Jungs. Der ältere Sohn ist zwölf Jahre alt, der jüngere zehn. Er hat einen Gehirntumor, nicht operabel. Die Diagnose kam 2013.

Geistig ist er voll da, körperlich inzwischen sehr eingeschränkt. Er muss in einem Rollstuhl transportiert werden. Die Pflege ist aufwendig und schwer.

Wie schafft die Mutter das?

„Nicht aufgeben – weitermachen“, sagt sie. Sie hält sich fit, versucht, ausreichend zu schlafen, treibt Sport, ernährt sich gesund. Und sie nimmt Hilfe in Anspruch. Denn ihr Mann, der Vater der Kinder, ist vor anderthalb Jahren gestorben – ebenfalls an einem Gehirntumor.

Einzugsgebiet vom Kinderhospizdienst

Mutter und Sohn lachen in die Kamera
AKHD
Mit der Hilfe des ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes geht es Mutter und Sohn besser.

Andi Nikolov begleitet sie und ihre beiden Söhne einen Teil des Weges. Der junge Mann gehört zum ehrenamtlichen Begleitteam des ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes Bad Homburg/Taunus.

Hervorgegangen ist dieses Angebot aus dem Frankfurter Dienst. Den gibt es seit 15 Jahren, mit einem großen Einzugsgebiet. „Es ist oft unmöglich, mit Familien aus dem Usinger oder Königsteiner Hinterland in  persönlichen Kontakt zu bleiben“, sagt Diana Milke, Chefin des Bad Homburger Dienstes.

Diagnose ist für Eltern oft ein Schock

Ziel sei die Nähe am Ort. Denn Familien erlebten die Diagnose oft als traumatisch. „Lebensverkürzende Krankheit“ bedeute einen Schock, verbunden mit Angst, Not und Kummer.

Deshalb haben die Verantwortlichen des Hospizvereins Deutschland jetzt schöne, helle, große Räume in Bad Homburg. Die neue Filiale soll ein Ort der Begegnung und des Austauschs für betroffene Familien werden:

  • Geschwisterkinder können sich zum Basteln treffen.
  • Eltern und Großeltern können miteinander reden.
  • Angehörige können ihre Sorgen bei Fachkräften loswerden.

Hier arbeiten zwei hauptamtliche Kräfte mit 15 ehrenamtlichen gut ausgebildeten Hospizhelferinnen und -helfern.

Es nahm ja gar kein Ende mehr.

Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer besuchen in der Regel zwei bis drei Stunden in der Woche „ihre“ Familie. Andi Nikolov geht zum Beispiel mit dem Sohn spazieren, damit sich die Mutter mal um andere Dinge kümmern kann.

Hilfe bei der Bürokratie rund um die Krankheit

„Am Anfang“, sagt Anna B., „waren wir abwechselnd im Krankenhaus und in der Reha. Dazwischen ging es darum, Formblätter auszufüllen, Anträge zu stellen, allgemein den Überblick zu behalten. Es nahm ja gar kein Ende mehr.“

Und dann ist da ja auch noch der gesunde Bruder. Wer kümmert sich um ihn? „Er zieht sich oft in sein Zimmer zurück, sitzt am Computer“, erzählt Andi Nikolov. Er versucht, schöne Dinge mit dem Jungen zu machen, in seiner Welt anzudocken.

Natürlich berührt es mich emotional.

Auch Karola Welzel ist ehrenamtliche Helferin. Ihr Geld verdient sie als Zahnärztin. „Aber ich habe mich immer schon gerne um andere gekümmert“, sagt sie.

Gleich ihr erster „Fall“ im AKHD hatte es in sich. Sie betreute eine Familie, deren einziges Kind schwer erkrankt war. Im Alter von zwölf Jahren starb der Junge. Die Beziehung zur Mutter des Kindes hält bis heute.

Wie steckt die Helferin das Leiden weg?

„Natürlich berührt es mich emotional“, bekennt Karola Welzel, „aber ich habe auch eine professionelle Haltung.“ Sonst könnte sie diese Aufgabe nicht übernehmen. Und Supervision ist wichtiger Bestandteil der Bewältigung.

Eine ehrliche Sache: Im Angesicht des Todes sind die Menschen authentisch

Dem Kinder- und Jugendhospizdienst spenden

Deutscher Kinderhospizverein e.V.
Taunus Sparkasse
IBAN: DE27 5125 0000 0037 0128 15,
BIC: HELADEF1TSK
taunus(at)deutscher-kinderhospizverein.de

Philip Julius e.V.
Frankfurter Volksbank
IBAN: DE64 5019 0000 6300 8649 35
BIC: FFVBDEFFXXX
info(at)philip-julius.de

Die Ausbildung der ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und –helfer hält sie für ausgezeichnet. 100 Stunden kommen da zusammen. „Ganz wichtig ist es, eine eigene Haltung zu Tod und Sterben zu haben“, sagt die Ärztin.

Das bestätigt auch Peter Wirtz. Er hat viele Jahre die Kinderhospiz-Akademie geleitet, hat die Ausbildung mit entwickelt. Und das tat er sehr gerne. „Nirgendwo sind die Menschen authentischer als hier im Angesicht von Sterben und Tod“, sagt Wirtz.

Tabuthema Tod und Sterben bei Kindern und Jugendlichen

Niemand muss sich mehr etwas vormachen, es ist Zeit für echte Gefühle. Der Tod gehört zum Leben. Keiner redet gerne darüber, es ist ein großes Tabu. Viele Menschen wissen nicht, wie sie umgehen sollen mit schwerer Krankheit und Tod – bei sich nicht und bei anderen erst recht nicht.

Familien mit schwerkranken Kindern wissen ein Lied davon zu singen.

Familien mit kranken Kindern nicht ausgrenzen

Andere gehen ihnen aus dem Weg, wechseln die Straßenseite, als ob die Krankheit ansteckend sei – was in den meisten Fällen nicht zutrifft. Dabei ist es wichtig, Familien mit kranken Kindern nicht auszugrenzen, sondern in die Mitte zu nehmen, getreu dem biblischen Motto: „Ich sehe dich!“ (1. Mose 13,16: Du bist der Gott, der mich sieht.)

Annabelle starb mit neun Jahren - es tut immer wieder weh

Na, klar: Es fließen Tränen, auch bei der Einweihung in Bad Homburg. Bei Melanie Timmler zum Beispiel. Sie ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Sie und ihr Mann haben ihre Tochter Annabelle verloren – da war sie neun Jahre alt. Es tut immer wieder weh.

Aber dass es diesen Dienst gibt, dass sich so viele Menschen engagieren für Familien mit schwerkranken Kindern, das hilft ein bisschen.

Du hinterlässt einen Raum, den niemand auf dieser Welt wird ausfüllen können.

Sichtbar werden: Teilen in Social Media

Jung sterben ist kein Tabu, teile diesen Artikel in den Social-Media-Kanälen #kinderhospizarbeit. Wenn du uns verlinken möchtest, du findest uns auf: 

Instagram,

Facebook oder

Twitter.

Aus persönlicher Betroffenheit ist auch der Verein Philip Julius entstanden. Der Name geht auf den Sohn von Katrin und Jörg Eigendorf zurück. Die Mutter ist vielfach prämierte ZDF-Reporterin, die in diesem Jahr vorwiegend aus der Ukraine berichtet. Der Vater ist Konzernsprecher der Deutschen Bank.

Philip Julius wurde nur 17 Jahre alt. Zum Abschied schrieb sein Vater: „Du hinterlässt einen Raum, den niemand auf dieser Welt wird ausfüllen können. Dein Leben war so sinnvoll. Ich bin davon überzeugt, dass Du mehr auf dieser Welt hinterlässt als ich, Dein Vater, eines Tages werde hinterlassen können.“ 

Es heißt weiter: „Deine Liebe konnte man nur spüren, wenn man das Glück hatte, Dich eng zu begleiten. Und ich konnte das Glück nur spüren, wenn ich nah bei Dir war. Je näher ich Dir war, je mehr ich für Dich da war, desto geringer fühlte sich der Weg mit Dir als Last an. Und je weiter ich von Dir weg war, je mehr wir Dich anderen Menschen überlassen haben, desto schwerer erschien mir unser Schicksal. Das ist eines der vielen Phänomene mit Dir, die so schwer zu erklären sind. Viele Menschen bezeichnen es als ungerecht, wenn Eltern ein behindertes oder krankes Kind bekommen. Ich habe es nie als ungerecht empfunden, sondern als die wichtigste Aufgabe, die uns Gott in diesem Leben stellen würde.“

Der Kinder- und Jugendhospizverein wird da aktiv, wo die Krankenkassen raus sind

Der Verein mit Geschäftsführerin Nadine Bauer sammelt Spenden, spricht potenzielle Sponsoren an. „Wir können da aktiv werden, wo die Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt“, sagt Bauer.

Manchmal geht es darum, ein Bad umzugestalten, manchmal muss ein Treppenlifter eingebaut werden. Der Verein leistet praktische Hilfe vor Ort. „Gemeinsam mit dem Hospizdienst können wir viel erreichen“, sagt Nadine Bauer. Als Konkurrenz will sie sich und ihren Verein nicht sehen, vielmehr als ihren Kooperationspartner.