Housing First

Eigene Wohnung nach 30 Jahren Obdachlosigkeit

Achim Kaffenberger vor seinem Klingelschild
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Achim war einer der ersten Mieter im Frankfurter Housing-First-Projekt. Im Interview erzählt der ehemalige Obdachlose, was das für ihn bedeutet.

Mehr als 3.000 Menschen leben in Hessen laut Diakonie-Angaben dauerhaft auf der Straße; Tendenz steigend. Zum Tag der Wohnungslosen am 11. September machen Hilfswerke auf die Situation von Wohnungslosen und Obdachlosen aufmerksam.

Wohnungslos gleich Obdachlos?

Wer wohnungslos ist, ist nicht gleich obdachlos. Viele wohnungslose Menschen leben bei Verwandten, Freund*innen oder in einer Notunterkunft. Sie haben keinen Mietvertrag oder keine eigene Wohnung. Obdachlose haben gar kein Dach über dem Kopf. Sie haben keinen festen Wohnsitz und leben oft auf der Straße. In Hessen gibt es mehr als 22.000 wohnungslose Menschen und schätzungsweise über 3.000 obdachlose Menschen.

Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig, neben Altersarmut spielt auch der angespannte Wohnungsmarkt eine große Rolle.

Wieder eine Wohnung nach 30 Jahren Obdachlosigkeit

Auch Achim Kaffenberger war über 30 Jahre lang obdachlos. Dank dem Kooperationsprojekt der Stadt Frankfurt, der Wohnungsbaugesellschaft und Diakonie Frankfurt und Offenbach mit dem Projekt „Housing First“ hat Achim seit 2022 wieder eine Wohnung.

Im Interview erzählt der 60-Jährige von Herausforderungen als obdachloser Mensch und wie es ist, wieder Mieter zu sein.

Wie ist es, auf der Straße zu leben?

Achim Kaffenberger: Ich hatte nach einer gewissen Zeit meine festen Abläufe. Irgendwann ist man gedanklich wie in einem Tunnel. Wo bekomme ich meinen nächsten Tagessatz her? Wo gibt es eine Essensausgabe? Ich habe Buch geführt über alle Anlaufstellen, um den Überblick zu behalten. Es war im Grunde immer purer Stress.

Umgang mit obdachlosen Menschen regional verschieden

Mitte der 1990er Jahre kam das Schöne-Wochenende-Ticket von der Deutschen Bahn raus. Das habe ich genutzt, um in andere Städte zu fahren. Es gibt große Unterschiede, wie eine Stadt mit obdachlosen Menschen umgeht. Stuttgart und Esslingen zum Beispiel kümmern sich sehr gut. Frankfurt und das südlichen Rhein-Main-Gebiet haben ebenfalls sehr viele Angebote. Damit meine ich aber nicht die Behörden, sondern die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände. München dagegen kann ich niemandem empfehlen, der auf der Straße lebt.

Warum sind sie wohnungslos geworden?

Achim Kaffenberger: Ich habe 1990 meinen Beruf als Bäcker- und Konditor verloren. Aus gesundheitlichen Gründen, wegen einer Mehlallergie, konnte ich nicht weitermachen. Ich hatte dann das Problem, dass ich niemandem von meiner Krankheit, von der Situation erzählen konnte. Ich war Sonderschüler und schon immer ein Außenseiter.

In die Obdachlosigkeit von Zuhause fliehen

Meine Eltern waren froh, dass ich untergekommen war. Also entschied ich mich, einfach weg zu gehen. Ich bin aus dem Odenwald, meiner Heimat, in die Obdachlosigkeit geflüchtet. Ich wollte einfach nur weit weg und bin dann erstmal in München gelandet.

Eine Couch, ein Tisch: So sieht das Wohnzimmer in der Wohnung von Achim Kaffenberger aus
Aaron Kniese
In dieser Wohnung lebt Achim Kaffenberger nun nach 30 Jahren Wohnsitzlosigkeit.

Nach so vielen Jahren ohne feste Bleibe, ändert sich da die Lebenseinstellung?

Achim Kaffenberger: Naja, die Lebenseinstellung. Irgendwann kam die Erkenntnis, dass meine Knochen das nicht mehr lange mitmachen werden. Ich hatte zunehmend starke Schmerzen. Auch wenn ich Notunterkünfte gemieden habe, musste ich doch irgendwas ändern.

Im Sommer 2021 war ich bei WESER5 in Frankfurt, eine Einrichtung der Diakonie. Die Leitung dort hat mir in einem Gespräch gesagt, dass ich eventuell bei einem neuen Wohnprojekt mitmachen könne. Das hörte sich gut an. Und obwohl man in der Notübernachtung nur maximal zehn Tage am Stück schlafen kann, blieb ich sechs Wochen. Direkt im Anschluss, im Oktober 2021, bin ich dann hier eingezogen. Erst in den 8. Stock. Da gab es aber Probleme mit der Wasserleitung. Deswegen bin ich jetzt hier im Erdgeschoss.

Achim Kaffenberger steht vor seiner Wohnung und zeigt auf seinen Namen auf dem Klingelschild
Aaron Kniese
Achim Kaffenberger zeigt stolz das Klingelschild seiner Wohnung

Sie haben in der ganzen Zeit keinen Alkohol und keine Drogen konsumiert. Wie haben Sie das geschafft?

Achim Kaffenberger: Das große Problem und auch häufig der Grund, warum Menschen auf der Straße landen, ist die Psyche. Psychische Probleme sind an der Tagesordnung. Ich war psychisch natürlich auch angeschlagen. Sonst wären aus meiner damaligen Flucht keine 30 Jahre auf der Straße geworden. Wenn man stabil ist, findet man andere Lösungen.

Mein Geld muss reichen, um zu überleben.

Sicherlich gab es Situationen mit anderen, in denen ich entscheiden musste, ob ich mitsaufe oder nicht. Es kam mir aber einfach nicht in den Sinn. Auch aus finanziellen Gründen. Der Alkohol- und Drogenkonsum ist ja teuer. Ich hatte immer im Kopf, dass mein Geld reichen muss, um zu überleben. Außerdem waren meine Eltern alkoholabhängig. Ich wollte nie so sein wie sie.

Obdachlosen Menschen sieht man ihr Schicksal nicht an

Leider ist es normal, dass Obdachlose stigmatisiert werden. Die Mehrheit der Leute hat das Bild von dreckigen, besoffenen und stinkenden Männern im Kopf. Mir hat man in der Regel nicht angesehen, dass ich auf der Straße lebe.

Gab es Höhepunkte in Ihrer Zeit als Obdachloser?

Achim Kaffenberger: In der Tat, ja. Beim Frühstück in der Liebfrauenkirche. Irgendwann an einem Mittwoch vor Weihnachten wurden Gutscheine im Wert von 50 Euro verteilt. Ich habe mir davon Schuhe gekauft. Dieses Paar Schuhe ist noch heute wahrer Luxus für mich.

Aber auch schon früher gab es solche Gutscheinaktionen. Ebenfalls in der Liebfrauenkirche. Da gab es noch den „Wiener Wald“ in Frankfurt. Wir konnten dann den Gutschein gegen ein Essen und ein Getränk einlösen. Das war ein richtiges Highlight. Und, was ich in all den Jahren und den vielen Städten nie erlebt habe, war ein Frühstück für 50 Cent. In der Liebfrauenkirche frühstücken zum Monatsende dann auch bis zu 170 Menschen an einem Tag.

Was ist Housing First

Bei dem Konzept Hoursing First bekommen Menschen zuerst eine eigene Wohnung und erst danach geht es um Probleme wie Sucht, Depression oder anderes. Das Housing-First-Projekt in Frankfurt stammt von der Stadt Frankfurt, der Wohnungsbaugesellschaft GWH und der Diakonie Frankfurt und Offenbach gemeinsam.

Wie sind Sie zu dieser Wohnung gekommen?

Achim Kaffenberger: Wie gesagt, über die WESER5. Ich wurde dabei gut und tatkräftig von den Ämtern unterstützt. Die haben die Kaution gestellt, die jetzt monatlich mit der Grundsicherung verrechnet wird. Außerdem hat das Amt die Erstausstattung für die Wohnung komplett finanziert. Ich selbst musste eine Hausratversicherung nachweisen. Das war‘s.

Jetzt, in einer eigenen Wohnung, vermissen sie etwas von früher?

Achim Kaffenberger: Vermissen klingt natürlich komisch, aber das Tingeln von Stadt zu Stadt, daran denke ich oft. Jetzt bin ich hier sesshaft geworden. Im Frühjahr möchte ich aber mal in den Odenwald fahren, mit der Bahn. Das habe ich mir fest vorgenommen. Auch nach Stuttgart würde ich gerne mal wieder. Daran habe ich gute Erinnerungen, die jetzt schon 20 Jahre zurückliegen. Aber vermissen kann ich nicht sagen. Ich bin sehr froh, dass ich das hier jetzt habe. Auf keinen Fall würde ich die Wohnung aufgeben, um wieder auf der Straße zu leben.

Wie hat sich ihr Leben verändert?

Achim Kaffenberger: Meinen Namen auf einem Klingelschild zu lesen, ist bis heute einfach komisch. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Der helle Wahnsinn ist es, Tag für Tag in einem richtigen Bett auf einer richtigen Matratze zu schlafen.

Was sich durch Housing First verändert hat

Wenn ich jetzt morgens aufwache, tut mir nichts mehr weh. Das ist wahrer Luxus. Außerdem habe ich einen geregelten Tagesablauf und keinen Stress mehr. Und was für mich enorm wichtig ist und all die Jahre fehlte, ist, dass ich mit meiner kleinen Wohnung einen sicheren Rückzugsort habe. Ich habe früher sehr viele Gewalterfahrungen machen müssen. Das jetzt hilft mir, etwas zur Ruhe zu kommen.

Ich fühle mich sicher.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie abends in ihrem Bett liegen?

Achim Kaffenberger: Das sind die Momente, in denen man viel Revue passieren lässt. Auch wenn ich im ersten Eindruck ein lustiger und sehr offener Mensch bin, gibt es viele traurige Augenblicke. Meistens kommen die abends. Ich hatte eine schwere Kindheit und lebte sehr viele Jahre auf der Straße. Das zehrt an einem.

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