Was würdest du denken, wenn du einen Brief bekommst, in dem steht: Du sollst eine Schwester in Amerika haben? „Enkeltrick“ haben Helen Schaller und ihr Mann gedacht, als im September 2023 ein Brief vom Arolsen Archiv im Briefkasten liegt. Beide denken an einen Betrug.
Dem Ehepaar kommt die Geschichte nicht ganz koscher vor. Sie zeigen ihren Kindern den Brief. „Wir haben das dann gegoogelt und gesehen, dass es das wirklich gibt“, erinnert sich Tochter Christa. Der Sohn meldet sich beim Arolsen Archiv.
Der gemeinsame Vater war Jude und hat als einziger in der Familie die KZ in Auschwitz und Buchenwald überlebt. Kurz nach der Geburt von Helen ist Mendel Müller 1947 alleine in die USA ausgewandert. Dort hat er eine neue Familie gegründet und wird der Vater von Sula Miller. Kein guter Vater, cholerisch und gewalttätig. Er verlässt seine Frau und drei Kinder, als Sula 6 Jahre alt ist.
Sula ahnt nichts von ihrer Familie in Deutschland. Während der Corona-Pandemie entschließt sich die Autorin und Dokumentarfilmerin aber, ein Buch über ihren Vater zu schreiben und beginnt mit den Recherchen.
Für Helen Schaller kommt die Nachricht über ihre Schwester überraschend. Ihre Tochter Christa hatte mit dem Gedanken öfter gespielt. Etwa wenn Familiensuch-Sendungen im Fernsehen liefen, dachte sie: „Wer weiß, vielleicht steht irgendwann mal einer aus Amerika vor der Tür und sagt wir sind verwandt miteinander“.
Im Juni 2024 stand dann Sula Miller mit ihrem Mann vor der Tür. Mehrere Tage hat sie bei ihrer Halbschwester gewohnt. Das war „dann gleich ganz intensiv“, sagt Helen. „Wir waren jeden Tag mit unserem Sohn, Schwiegertochter, Tochter und manchmal auch mit Enkelkind zusammen und woanders essen.“ Oft haben die Schwestern über ihren gemeinsamen Vater gesprochen.
Seit fast einem Jahr hat sie nun Kontakt mit ihrer Schwester aus Amerika. Gerade das erste Kennenlernen war aufregend und zugleich anstrengend.