Familie

Endlich Schwestern: Nach über 60 Jahren gefunden

Treffen der Halbschwestern Sula Miller (re.) aus den USA und Helen Schaller (li.) aus Frankfurt am Main vor dem Juedischen Museum Frankfurt (Foto vom 12.06.2024). Die Amerikanerin Sula Miller und die Deutsche Helen Schaller erfahren, dass sie Halbschwestern sind. Ihr gemeinsamer Vater ist ein juedischer Holocaustueberlebender, der 1947 in die USA ausgewandert war. Mithilfe der Arolsen Archives haben die beiden Frauen von ihrer Verwandtschaft erfahren.
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Jahrzehnte wussten die Schwestern nichts voneinander. Als die Jüngere über ihren Vater forscht, findet sie eine Familie in Deutschland.

Was würdest du denken, wenn du einen Brief bekommst, in dem steht: Du sollst eine Schwester in Amerika haben? „Enkeltrick“ haben Helen Schaller und ihr Mann gedacht, als im September 2023 ein Brief vom Arolsen Archiv im Briefkasten liegt. Beide denken an einen Betrug

Familien finden mit dem Arolsen Archiv

Dem Ehepaar kommt die Geschichte nicht ganz koscher vor. Sie zeigen ihren Kindern den Brief. „Wir haben das dann gegoogelt und gesehen, dass es das wirklich gibt“, erinnert sich Tochter Christa. Der Sohn meldet sich beim Arolsen Archiv.

Was ist das Arolsen Archiv?

Das Arolsen Archiv dokumentiert die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Schicksale der Opfer. Auf ihrer Homepage schreiben sie, dass sie Infos zu 17,5 Millionen Menschen haben.

Im Oktober sitzt die ganze Familie im Wohnzimmer von Helen Schaller. Die 76-Jährige erinnert sich: „Ich musste genau davorsitzen. Und auf der anderen Seite war dann Sula, meine Schwester.“ Die erste Begegnung via Videokonferenz war „für mich sehr schwierig“, sagt Helen. Sie kann „eigentlich kein Englisch oder nicht richtig. Nur ein bisschen Schulenglisch.“ Der erste Gedanke von Helen: „Huch, die sieht mir ähnlich.”

Als Sula schließlich ihre Halbschwester in Frankfurt besucht, da „war es ganz einfach. Wir haben beide Deutsch und Englisch gemischt gesprochen.“

Helen Schaller (links im Bild) und ihre Halbschwestern Sula Miller aus den USA waren gemeinsam im Jüdischen Museum Frankfurt.
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Helen Schaller (links im Bild) und ihre Halbschwestern Sula Miller aus den USA waren gemeinsam im Jüdischen Museum Frankfurt.

Holocaust-Überlebender gründet in USA neue Familie

Der gemeinsame Vater war Jude und hat als einziger in der Familie die KZ in Auschwitz und Buchenwald überlebt. Kurz nach der Geburt von Helen ist Mendel Müller 1947 alleine in die USA ausgewandert. Dort hat er eine neue Familie gegründet und wird der Vater von Sula Miller. Kein guter Vater, cholerisch und gewalttätig. Er verlässt seine Frau und drei Kinder, als Sula 6 Jahre alt ist.

Sula ahnt nichts von ihrer Familie in Deutschland. Während der Corona-Pandemie entschließt sich die Autorin und Dokumentarfilmerin aber, ein Buch über ihren Vater zu schreiben und beginnt mit den Recherchen.

Der Häftlingspersonenbogen des Vaters Mano Müller (Mendel Miller) aus dem Konzentrationslager in Buchenwald und weitere Unterlagen der Nazis.
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KZ-Unterlagen des Vaters

Mendel Müller ist ein Jude, der 1906 in der ehemaligen Tschechoslowakei geboren wurde. Die 64-Jährige schreibt dem Arolsen-Archiv. Tatsächlich haben sie Informationen und sie erfährt so einiges: Ihr Vater hatte bereits eine Familie mit zwei Kindern während der NS-Zeit – sie wurde von den Nazis ermordet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gilt Mendel Müller als „Displaced Person“. Also als Person ohne Heimat. 1947 heiratet er und wandert kurze Zeit später in die USA aus. Seine Frau und die gemeinsame Tochter Helen lässt er zurück. In Amerika nennt er sich nach seinem ermordeten Sohn Max Miller.

Sula erfährt also: Ich habe eine Halbschwester in Frankfurt.

Kennenlernen der neu gefundenen Familie

Für Helen Schaller kommt die Nachricht über ihre Schwester überraschend. Ihre Tochter Christa hatte mit dem Gedanken öfter gespielt. Etwa wenn Familiensuch-Sendungen im Fernsehen liefen, dachte sie: „Wer weiß, vielleicht steht irgendwann mal einer aus Amerika vor der Tür und sagt wir sind verwandt miteinander“.

Im Juni 2024 stand dann Sula Miller mit ihrem Mann vor der Tür. Mehrere Tage hat sie bei ihrer Halbschwester gewohnt. Das war „dann gleich ganz intensiv“, sagt Helen. „Wir waren jeden Tag mit unserem Sohn, Schwiegertochter, Tochter und manchmal auch mit Enkelkind zusammen und woanders essen.“ Oft haben die Schwestern über ihren gemeinsamen Vater gesprochen.

Die 76-jährige Helen Schaller sitzt im Café auf einer Bank.
Charlotte Mattes

„Ich habe dann erfahren, dass es mir von allen Geschwistern am besten ergangen ist”, sagt Helen Schaller. Sie beschreibt ihren Stiefvater als liebevoll und ihre Kindheit als glücklich. Da die 76-Jährige während des Besuchs von Sula erkrankt ist, konnte sie nicht alles mit ihrer neuen Familie unternehmen, was sie sich vorgenommen hatte.

Seit fast einem Jahr hat sie nun Kontakt mit ihrer Schwester aus Amerika. Gerade das erste Kennenlernen war aufregend und zugleich anstrengend.

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Und während Helen Schaller auf der einen Seite Familie dazugewonnen hat, so muss sie nun mit dem Verlust ihres Ehemanns leben. Ein Jahr, in dem sich für sie viel verändert hat.

Sie selbst kann sich nicht vorstellen nach Amerika zu fliegen. Arizona ist einfach zu weit weg. Aber die beiden Schwestern halten regelmäßig Kontakt zueinander. Auch der Rest der Familie freut sich über die zugewonnene Verwandtschaft. „Wir bekommen immer mal Bilder und kurze Sätze“ erzählt Christa. Auch über die Forschung zum Buch halte sie die Familie in Deutschland nun auf dem Laufenden.