Irmgard F. ist 96 Jahre alt und muss sich für NS-Verbrechen verantworten, die mehr als 75 Jahre zurückliegen. Der ehemaligen Stenotypistin wird Beihilfe zu Mord und versuchtem Mord an mehr als 11.000 Menschen im Konzentrationslager Stutthof vorgeworfen. Nun wurde das Urteil gesprochen: Zwei Jahre auf Bewährung. Als Schreibkraft in der Kommandatur des Konzentrationslagers habe sie bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet.
In Brandenburg hat das Landgericht Neuruppin den 101-jährigen ehemaligen SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen Josef S. zu fünf Jahren Haft verurteilt. Muss man so alte Menschen noch vor den Richter zerren? Die Frage wird bei jedem der späten NS-Prozesse emotional diskutiert. Die Antwort ist klar: Ja, es muss sein.
Lange hat die Justiz nur die Haupttäter verfolgt, denen eine direkte Beteiligung an den Morden vorgeworfen wurde. Das änderte sich erst mit dem Prozess gegen John Demjanjuk. Die Richter verurteilten den gebürtigen Ukrainer 2011 wegen der Beteiligung an den Morden von Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibor in Polen zu fünf Jahren Haft. Demjanjuk verstarb 2012, bevor das Urteil rechtskräftig wurde.
Dieses Urteil gilt als historisch, weil mit dem Wachmann erstmals jemand ohne konkreten Tatnachweis verurteilt wurde. Das Gericht war überzeugt, dass er einen Beitrag zum Holocaust geleistet hat. Er war ein Rädchen im Getriebe der Mordmaschine.
Die neue Richtung der Justiz, nun auch diese Beteiligten zu verfolgen, bestätigte der Bundesgerichtshof 2016 im Fall von Oskar Gröning. Er hatte im KZ Auschwitz die Habseligkeiten von Gefangenen verwaltet.
NS-Prozesse sind immer noch nötig