Holocaust gedenken

Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig ganz privat

Gunter Demnig sagt: Stolpersteine sind mein Lebensweg
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Gunter Demnig liebt seinen Job. Er erinnert unermüdlich an die Opfer der NS-Zeit. Das indeon-Team hat den Stolperstein-Künstler in Alsfeld besucht.

Eines wird uns direkt klar: Gunter Demnig mag Katzen. Überall auf dem Grundstück flitzen die Stubentiger hin und her. 19 (!) Stück haben der Künstler mit dem braunen Cowboyhut und seine Ehefrau Katja inzwischen bei sich zu Hause im mittelhessischen Alsfeld-Elbenrod aufgenommen. Viele von ihnen seien Pflegefälle, erzählt der 76-Jährige bei einer Tasse starken Kaffee. (PS: Charlotte und mich hat der ganz schön umgehauen!)

Gunter Demnigs Lebenswerk sind die Stolpersteine

Doch Gunter Demnigs Lebenswerk sind die Stolpersteine, wie er selbst sagt. Seit Mitte der 1990er Jahre widmet sich der gebürtige Berliner diesem Geschichtsprojekt. Mehr als 95.000 Stolpersteine zum Gedenken an Opfer des Nationalsozialismus hat er mittlerweile verlegt.

Woran gedenken wir am 27. Januar?

Während der NS-Zeit ermordeten die Nazis allein in Auschwitz mehr als anderthalb Millionen Menschen. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers. Der Jahrestag der Befreiung wurde 1996 auf Initiative des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog offizieller deutscher Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

Die knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Würfel verlegt der Bildhauer deutschland- und europaweit auf den Gehwegen vor den letzten Wohnstätten von Menschen, die von den Nationalsozialisten deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. In Messingplaketten auf den Steinen sind Name, Lebensdaten und Schicksal der Opfer eingraviert.

Schicksale aus Auschwitz

An viele Begegnungen rund um die Verlegung erinnert sich der Bildhauer bis heute. „Einmal, bei einer Verlegung, kamen zwei Schwestern. Die eine aus Kolumbien, die andere aus Schottland, beide waren damals durch einen Kindertransport gerettet worden, die Eltern wurden ermordet. Die beiden Frauen hatten sich seit 60 Jahren nicht gesehen und meinten: Jetzt sind wir mit unseren Eltern wieder vereint.“ Demnig schlägt sich mit der flachen Hand vor die Augen, kämpft mit den Tränen: „Dann weißt du, warum du das machst.“ Auch wir müssen kurz schlucken.

Die Initiative zu den Steinverlegungen geht inzwischen von Geschichtsvereinen, Bürgerinitiativen, Angehörigen oder auch Schulprojekten aus, die Demnig anfragen. Theoretisch kannst auch du einen Stolperstein beantragen. In der gelben Infobox unten erfährst du mehr dazu. 

➡️ ein Stein kostet übrigens 132 Euro inklusive Verlegung.

Gunter Demnig zu Hause
Carina Dobra
Sein Markenzeichen: Ein Filzhut. Gunter Demnig zu Hause in Alsfeld.

Zwölf solcher Steine liegen seit Dezember 2022 auch in Frankfurt-Nieder-Eschbach. Einer der Steine ist Karl Bruder gewidmet. Der Frankfurter wurde 1940 aufgrund seiner Epilepsie in die Uniklinik Gießen zwangseingewiesen und dort im Alter von 23 Jahren gegen seinen Willen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert.

Das nimmt mich mit. Vor allem, weil ich um die Ecke wohne.

Schüler beschäftigen sich mit Biografien der NS-Opfer

„Ich habe Asthma. Mich hätte es heute vielleicht auch treffen können“, sagt der 19-jährige Joshua von der Otto-Hahn-Schule in Nieder-Eschbach, der sich im Geschichtsunterricht mit dem Schicksal von Karl Bruder beschäftigt hat. Auch seine Mitschülerin Leonie (18) ist bestürzt: „Ich kann das einfach nicht nachvollziehen. Das nimmt einen schon mit. Vor allem, weil ich hier um die Ecke wohne.“ Sie werde von nun an noch aufmerksamer auf die Messing-Steine im Boden achten und einen Moment innehalten.

Stolpersteine

➡️ Stolpersteine sind Gedenksteine, die an die Menschen erinnern, die im Nationalsozialismus verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

➡️ Jede:r kann einen Stolperstein verlegen (lassen). Du musst dafür einen Antrag stellen. 

➡️ Ein Stolperstein kostet 132 Euro 

Gunter Demnig freut sich über das Engagement der Schüler:innen:  „Es ist ein Unterschied, ob die Jugendlichen ein Buch aufschlagen und von sechs Millionen ermordeten Juden lesen oder von einem Familienschicksal vor Ort erfahren", ist der Künstler überzeugt.

Kritik an Stolpersteinen

Doch die Stolpersteine haben auch Kritiker, wie zum Beispiel einzelne Vertreter jüdischer Organisationen. Die Schicksale der Opfer würden im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten, wirft etwa Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Demnig vor.

Der Künstler weist ein solch „unsägliches Gegenargument“ von sich: Die Kritiker würden die Gräueltaten der Nazis mit solchen Aussagen verharmlosen und die Opfer verhöhnen: „​​​​​​​Die Nazis haben sich nicht mit Rumtrampeln auf den Opfern begnügt. Die hatten ein gezieltes Vernichtungsprogramm.“

Demnig erhält Morddrohungen

Auch Morddrohungen habe der Stolperstein-Erfinder schon erhalten. All das hält ihn nicht davon ab, weiter Steine in mittlerweile 1.265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas zu verlegen. Während unseres Treffens plant der Künstler schon den nächsten Trip - diesmal nach Italien.

Solange die Knie noch mitmachen, werde ich Steine verlegen.

Eigentlich wollte Demnig etwas kürzertreten, längst arbeitet der Berliner mit einem Team zusammen. Eigentlich. „Solange die Knie noch mitmachen“, scherzt der Künstler, solange werde er auch noch Steine verlegen.

...Und du?

Warst du schon einmal bei einer Stolperstein-Verlegung dabei? Hast dich vielleicht sogar mit den Biografien der Opfer befasst? Wie hat sich das angefühlt? Erzähl uns davon per E-Mail oder via Social Media 👇

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