Interview

Kunst im öffentlichen Raum - Wo Streetart her kommt

Balázs Vesszösi aka Bo
Detlef Schneider

Seit Menschengedenken malen wir Bildchen an die Wand. Aber was hat sich in den letzten Milliarden Jahren bei Streetart und Graffitis verändert?

Balázs Vesszösi aka Bo ist freier Künstler und studierter Kunstpädagoge. Er arbeitet im Naxos Atelier im Jugendladen im Frankfurter Bornheim. Dort betreut er das offene Atelier und organisiert Projekte und Workshops für Jugendliche.

Seit wann gibt es eigentlich Streetart?

Bo: Das beginnt schon mit Höhlenmalereien in der Steinzeit. Damals haben Leute ihre Geschichten, die sie erzählen wollten, an Wänden hinterlassen. Das kann man schon Streetart nennen.

Heute sprechen wir über Streetart zum Beispiel in Form von Graffitis oder Tags. Das kam in den 1960er Jahren auf. Damals haben zuerst Jugendliche in den USA auf den Straßen ihre Namen hinterlassen, um dort sichtbar zu werden. Diese einfachen kleinen Unterschriften sind immer mehr und größer geworden, bis daraus dann Graffitis entstanden sind.

Gab es damals spezielle Orte, wo Streetart stattgefunden hat?

Bo: Zunächst einfach auf Wänden in der Öffentlichkeit. Aber Wände haben das gleiche Problem wie ein Museum: Man muss erst hingehen, um die Kunst zu sehen. Deswegen fingen Jugendliche in New York an, Züge zu bemalen, die durch die five boroughs gefahren sind.

Dann wussten dann alle zum Beispiel: ‚Aha – die Jugendlichen in dem anderen Stadtbezirk machen etwas krasses, dann machen wir jetzt etwas noch krasseres.‘ Aber es geht dabei auch darum, dass sich Kunst nicht nur an eine bestimmte Zielgruppe richtet, sondern dass möglichst viele Leute sie sehen. Aus New York sind diese Kunstformen dann auch nach Europa gekommen, etwa über den Film Wild Style und wurden auch bei uns populär.

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Wo steht Streetart heute?

Bo: Noch vor 20 Jahren hat die Kunstgeschichte die Streetart belächelt. Damals gab es aber auch noch kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema. Aber heute können auch Kunsthistoriker die Streetart nicht mehr ausblenden. Mittlerweile kann man sogar sagen, dass sie eine der größten Kunstbewegungen ist. Es gibt inzwischen weltweit große Festivals, etwa das „Meeting of styles in Wiesbaden und etliche Streetart-Galerien.

Wie sieht Streetart konkret hier in Frankfurt aus?

Bo: Auch das hat sich geändert. Früher hat man zum Beispiel von politischer Seite gesagt, Frankfurt soll clean bleiben – Graffiti wollte man hier in der Stadt nicht haben. Grundsätzlich hat das immer auch einen politischen Hintergrund.

Denn sobald man als Künstler im öffentlichen Raum etwas tut, stellt sich die Frage: Wer bestimmt eigentlich, wie der öffentliche Raum auszusehen hat?

In Frankfurt gibt es inzwischen auch legale Flächen, etwa am Ratswegkreisel. Und auch das NaxosAtelier hat die Funktion, Jugendlichen künstlerische Freiräume zu geben, um sie nicht in die Illegalität zu drängen.

Die Freiluftgalerie unter der Frankfurter Friedensbrücke
Bud One, Vragk, Boboter One
Die Freiluftgalerie unter der Frankfurter Friedensbrücke

Ist die Illegalität nicht auch ein Anreiz in der Graffiti-Szene?

Bo: Natürlich – da kommt die Streetart her. Übrigens gibt es auch heute noch den Glauben, alles was in der Illegalität passiert, seien Kinderfaxen.

Tatsächlich sind aber viele von den Leuten, die draußen unterwegs sind, erwachsene Menschen. Die haben Familie, Haus und Kinder. Ich kenne zum Beispiel auch einen Kardiologen, der in der Szene aktiv ist, aber auch Polizisten und Sterneköche. Das geht quer durch gesellschaftliche Schichten.

Und auch die sind illegal unterwegs?

Bo: Ja. Aber für die, die mit Grips unterwegs sind, gelten natürlich bestimmte Regeln: Einfach so eine Kirche anmalen zum Beispiel geht nicht. Oder auch überall dort, wo es um privates Eigentum geht. Stattdessen geht man eher zu Brücken oder zu Stromkästen – also zu Orten, die sozusagen Allgemeingut sind.

Hat die Etablierung der Streetart dieser Kunstform eigentlich gut getan oder eher geschadet?

Bo: Da gehen die Meinungen weit auseinander. Auch heute noch gibt es eine Kluft zwischen denen, die legal sprühen und denen, die illegal sprühen.

Die Illegalen sagen dann: ‚Das was ihr macht, ist überhaupt kein richtiges Graffiti.‘

Aber die Frage lautet eben auch immer: Wo fängt die Kunst an und wo fängt die Sachbeschädigung an? Vieles von dem, was man noch vor 30 Jahren entfernt hätte, da kommen heute Galeristen und zahlen viel Geld dafür, dass sie etwa das Stück Mauer, auf dem sich ein Graffiti befindet, aussägen und ausstellen dürfen.

Ich sage, dass die Illegalität, aus der die Streetart kommt, ihr gleichzeitig auch zum Erfolg verholfen hat. Aber auch weiterhin wird es immer beide Formen geben.

Welche spricht dich persönlich eher an?

Bo: Das sehe ich nicht wertend. Allerdings hat man im illegalen Bereich auch sehr wenig Zeit, etwas umzusetzen. Und diesen Stress und das Adrenalin sieht man den Bildern an. Das hat also auch ein ganz bestimmtes Wesensmerkmal, das es bei Kunstwerken die im warmen Atelier entstanden sind so nicht gibt. Und so haben beide Formen ihre unterschiedlichen Reize.

Du hattest gesagt, Kirchen beschmiert man nicht. Aber ich habe doch schon Graffitis an Kirchen gesehen?

Bo: Streetart und Kirche haben miteinander zu tun, etwa in Form von Kirchenmalereien. Auch diese hat ja die Funktion, Geschichten zu erzählen. Früher wurden in Kirchen zum Beispiel Szenen aus der Bibel künstlerisch dargestellt, etwa in Form von Bildern. Sie waren dann eine Verständnishilfe für Menschen, die nicht lesen konnten.

Aber auch heute findet Streetart im kirchlichen Bereich statt. Gerade arbeite ich an einem Projekt in der Frankfurter Gethsemanegemeinde. Dort sollen die Wände des alten Gemeindehauses mit Graffiti neu gestaltet werden. Da sind die Kirchen inzwischen auch etwas offener geworden und trauen sich mittlerweile mehr.

Beim Jugendkirchentag 2016 in Offenbach und 2018 in Weilburg haben wir in Workshops vor Ort Kirchenfenster gestaltet, die Jugendliche dann ausmalen konnten. Ansonsten arbeite ich auch für den Evangelischen Verein am Heideplatz und bin dort – wenn nicht gerade Corona ist – als Kunstpädagoge tätig.

Was wünscht du dir für die Zukunft hinsichtlich der Streetart?

Bo: Es passiert zwar langsam schon, aber ich wünsche mir, dass wir hier in Frankfurt noch viel mehr öffentlich nutzbare Flächen für die Streetart bekommen. Da ist Frankfurt im Vergleich zu anderen Städten wie Berlin oder Hamburg noch recht weit hinterher. Schön fände ich, wenn auch hier in der Stadt noch mehr graue Betonflächen bunter werden.