Kein tanzen, keinen Alkohol, kein Feiern gehen. ❌ Am Samstag wird nicht gearbeitet, sondern die Bibel studiert und der Gottesdienst besucht. Von ihrer Kindheit an bis zum Erwachsenwerden, im Alter von 5 bis 25 Jahren, war das Teil von Alexandra „Aki“ Hilds Leben.
„In den konservativen Kreisen, aus denen ich komme, war Tanzen verboten, weil dabei zu viel körperliche Nähe zu anderen Menschen entstehen kann. In Teilen galt es sogar als als teuflisch“, sagt die heute 30-Jährige.
Sozialisiert und aufgewachsen ist Aki bei den Siebenten-Tags-Adventisten, einer protestantischen Freikirche. Kennzeichen dieser Glaubensgemeinschaft sind, dass sie den Sabbat heiligt, also den Samstag als siebten Tag der Woche als Ruhetag begeht und an eine baldige Wiederkunft Jesu glaubt sowie die Erwachsenentaufe. Wie bei allen Glaubensgemeinschaften, gibt es ein Spektrum an Überzeugungen von konservativ bis liberal.
Lange Zeit war Aki von diesen Regeln selbst überzeugt. Sie engagierte sich in der Gemeinde und verbrachte ihre Freizeit dort. „Meine Freunde aus der Schule sind samstags feiern gegangen, währenddessen habe ich im Gottesdienst englischsprachige Predigten live ins Deutsche gedolmetscht“, erinnert sie sich.
Akis Überzeugungen änderten sich Schritt für Schritt, als sie nach dem Abitur anfing, evangelische Religion und Biologie auf Lehramt zu studieren. Im Studium in Frankfurt kam sie mit der landeskirchlichen Theologie der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in Berührung. Die vielen konservativen Regeln der Adventisten, so wie Aki sie kennengelernt hat, „haben mich auf Dauer unglücklich gemacht. Im Studium ist mir klar geworden, dass weniger die eigenen Taten im Mittelpunkt stehen, sondern die Beziehungen zu anderen Menschen“, sagt sie.
Diese Offenheit gegenüber vielfältigen Lebensweisen und Überzeugungen habe ihr in der Freikirche gefehlt. Es war ein langer Prozess über fünf Jahre, in dem Aki sich von der Freikirche immer mehr distanzierte. Heute ist sie insbesondere ökumenisch engagiert.
Mensch sein heißt in Beziehung sein. In Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott.
Mit diesem Zitat bezieht Aki sich auf den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber.
An den evangelischen Landeskirchen schätzt Aki, dass sie stärker in der Gesellschaft verankert seien als viele Freikirchen. Und in die Gesellschaft hinein wirken, etwa in Form der Diakonie, der Teilnahme am Christopher Street Day und dem Dialog zwischen den Religionen. Gleichzeitig fällt Aki an den Freikirchen auf, dass ihre Gemeinden häufig heterogener zusammengesetzt seien, als das bei Landeskirchen der Fall sei.
„Ursprünglich komme ich aus einem ziemlich queerfeindlichen Umfeld. In Teilen der Adventgemeinden wird Homosexualität als Sünde angesehen.“ Mitten im Studium hat Aki queere, englischsprachige Youtuber entdeckt, die von diskriminierenden Erfahrungen in ihren Familien und Kirchen berichteten.
Aktuell schreibt Aki ihre Doktorarbeit an der theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Sie trägt den Arbeitstitel „Queere Gläubige in Kirchen - Sexualität und Gender in religiösen Gemeinschaften“. „Ich wollte herausfinden, inwiefern ein queeres Selbstbild im Widerspruch zu einer Ebenbildlichkeit Gottes steht und welche Auswirkungen das auf die eigene Gottesbeziehung hat“, sagt sie.
Eine Erkenntnis aus Akis bisheriger Forschung ist, dass queer-feindliche Gottes- und Menschenbilder häufig mit einer konservativen bis politisch rechten Weltanschauung zusammenhängen. „Am Ende führt das zur Ausgrenzung und Diskriminierung aller, die andere Überzeugungen haben. Das widerspricht meiner persönlichen Überzeugung von Gott und der Vielfalt des Lebens“, sagt sie.
Nach der Promotion ist es Akis Ziel, Pfarrerin zu werden. Dafür muss sie noch mehrere Prüfungen im Fach Theologie absolvieren – denn Aki hat ihr Studium mit einem Staatsexamen für das Lehramt abgeschlossen. Für den Zugang ins Pfarramt ist aber ein theologischer Abschluss Voraussetzung. „Es wäre toll, wenn die Landeskirchen auch Quereinsteiger*innen wie mir den Zugang zur Kirche und insbesondere zum Pfarramt erleichtert“, wünscht sie sich.