Kirche und Homosexualität

Ist Homosexualität in der Kirche ein Problem?

Protokolle über Erfahrungen als homosexuelle Person in der Kirche
privat/vera_wolber/eva_frankfurt

Eine Stellungnahme gegen die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare sorgt derzeit für Diskussionen. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Ist Homosexualität in der kirche ein Problem? Seit über zehn Jahren ist die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) möglich und seit 2019 der kirchlichen Trauung gleichgestellt. Dennoch gibt es auch lokale Unterschiede.

In Dautphetal im Dekanat Biedenkopf-Gladenbach haben Pfarrpersonen jüngst eine Stellungnahme abgegen, in der sie eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare ablehnen. Sie beziehen sich auf theologische Gewissensgründe und damit auf die „Lebensordnung“ der EKHN. Diese lässt in gewissen Punkten eine Abweichung von den Grundsätzen der Landeskirche zu.

Betroffene hingegen sprechen von Diskriminierungen und Verletzungen. Wir haben bereits im Sommer 2021 mit homosexuellen Menschen aus dem Dekanat und der Landeskirche gesprochen. 

„Auf dem Land sind Christ:innen deutlich konservativer“

Florian Burk
privat

Florian „Flo“ Burk, 35 Jahre, ist Dekanatsjugendreferent im Dekanat Biedenkopf-Gladenbach der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN):

„Auf dem Land, wo ich lebe, ist Homosexualität im kirchlichen Bereich schon noch ein Problem. Christ:innen sind hier deutlich konservativer als in Großstädten. In meiner Jugend habe ich Sprüche gehört wie 'Ich bete für dich, dass du wieder auf den richtigen Weg findest.' Oder: 'Du musst nicht schwul bleiben, du kannst immer noch heiraten und Kinder bekommen' – letzteres hat erst neulich jemand zu mir gesagt. Früher hat mich sowas mitgenommen. Ich habe mich nicht akzeptiert gefühltals Christ zweiter Klasse. Aber heute lässt mich das kalt. Denn ich weiß, dass Gott mich so annimmt, wie ich bin und das sich schwul-sein und Christ-sein nicht widersprechen.

Wie alle anderen lebe ich mein Leben

Grundsätzlich mag ich es nicht besonders, wenn mich jemand über meine Sexualität definiert. Denn eigentlich ist es doch völlig egal, ob jemand schwul ist oder nicht. Wie alle anderen lebe ich mein Leben – ich bin einfach der Flo. Deswegen kleben auf meinem Auto auch weder eine Regenbogenfahne, noch ein Fisch als christliches Symbol. Apropos Regenbogen: Auch auf dem Christopher Street Day bin ich mal gewesen. Dort wiederum habe ich mich – zumindest von einigen anderen Anwesenden – als Christ nicht willkommen gefühlt. Und das, obwohl dort so viel Offenheit und Toleranz gepredigt wird. 

Gute Freunde und eine tolle Familie

Trotz allem lebe ich gerne hier auf dem Land. In meinem Job bin ich sehr glücklich und fühle mich gesegnet. Ich habe hier gute Freunde, eine tolle Familie und Menschen um mich herum, die mich mögen. Nur mit der Partnersuche ist es hier natürlich etwas schwieriger.“

Schwer vermittelbar als lesbische Theologin in den 80ern

Kerstin Söderblom
Vera Wolber

Kerstin Söderblom ist Hochschulpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) in Mainz:

„Ich habe in den 1980er Jahren Theologie studiert. Damals war nicht klar, ob ich als lesbische Theologin in der Kirche überhaupt erwünscht bin. Die damalige Pröpstin sagte zu mir, ich sei schwer vermittelbar. Das hat mich in eine ernsthafte Krise gestürzt. Erst eine Mentorin aus einem Gemeindepraktikum hat mich ermutigt, mein Studium fortzusetzen. 'Geh deinen Weg und versuch es!', hat sie zu mir gesagt. Für ihre Ermutigung bin ich heute noch dankbar.

Der Kirchenvorstand ordnete eine dreimonatige Testphase an

Bei meiner ersten Pfarrstelle in Frankfurt gab es eine kleine Minderheit in der Gemeinde, die mich nicht haben wollte. Sie hatten Vorbehalte einzig aufgrund meiner sexuellen Orientierung. Der Kirchenvorstand hat eine dreimonatige Testphase für mich angeordnet – so etwas gab es für heterosexuelle Pfarrpersonen nicht. Doch im Lauf der Zeit konnte ich diese Vorurteile durch Begegnungen, Gesprächen und dem persönlichen Kontakt ausräumen. Wir wurden eine Lerngemeinschaft auf dem Weg.

Weiterführende Informationen

Kerstin Söderblom bietet „queersensible Seelsorge“ an, auch für Menschen, die nicht aus der Mainzer Studierendengemeinde kommen. Kontakt: ksoederb(at)uni-mainz.de

Im Blog „kreuz & queer“ schreibt sie Beiträge zur Entwicklungen in der queeren Welt aus christlicher Perspektive. Ihre Blogposts sind auch als Buch erschienen: Kerstin Söderblom: Queer-theologische Notizen. Blogposts über queere und christliche Themen; Verlag Esuberanza 2020; 384 Seiten; 20 Euro. 

Wir sind nach Gottes Ebenbild wunderbar geschaffen und gesegnet

Im Rahmen meiner Seelsorgetätigkeit an der Mainzer Studierendengemeinde spielen die Themen queere Lebensformen und Geschlechtsidentitäten auch heute noch eine Rolle. Studierende haben mit ihrem Coming-out häufig dann ein Problem, wenn sie aus einem frommen Elternhaus oder sozialen Umfeld kommen, wo Religion noch eine große Rolle spielt. Viele dieser jungen Leute verunsichert das.

Mir ist es wichtig zu sagen, dass man aufgrund seiner sexuellen Orientierung weder gesündigt hat, noch in die Hölle kommt. Denn wir alle sind nach Gottes Ebenbild wunderbar geschaffen, von Gott so gewollt wie wir sind und gesegnet – und das in all unserer Einzigartigkeit und Vielfalt.“

Nicht in jeder Kirche waren homosexuelle Pfarrer:innen willkommen

EVA Frankfurt

Anne Daur-Lyrhammer ist Leiterin des Evangelischen Frauenbegegnungszentrums EVA in Frankfurt:

„Ich bin sozusagen aus der Württembergischen Landeskirche geflüchtet, weil ich als lesbische Theologin dort nicht ins Pfarramt konnte. So bin ich nach Frankfurt gekommen und sehr froh, dass die EKHN mich willkommen geheißen hat. Das war eine wichtige Erfahrung für mich. Dennoch habe ich mir auch hier von einigen Menschen unangemessene Sprüche anhören müssen.

Zum Beispiel als ich zum zweiten Mal schwanger war. 'Die haben schon geheiratet – müssen die jetzt auch noch Kinder bekommen?!' Manche Leute meinten, darüber diskutieren zu müssen, ob sich das für eine Pfarrerin gehöre und dass man Kinder vor ihren gleichgeschlechtlichen Eltern schützen sollte.

Unsere Kinder haben liebevolle und starke Eltern

Damals hat mich so etwas sehr verletzt, aber heute bin ich entspannter. Unsere Kinder haben liebevolle und starke Eltern und entwickeln sich zu engagierten und selbstbewussten jungen Menschen. Diese Regenbogenfamilie ist für mich ein gutes Beispiel dafür, wie gut, richtig und wunderbar Leben in Vielfalt geschaffen ist und gestaltet werden kann.

Jeder Mensch besitzt eine unantastbare Würde

Auch meinen Pfarrdienst im Evangelischen Frauenbegegungszentrum EVA empfinde ich als Chance, für diese Vielfalt einzustehen. Sowohl als Kirche, als auch als Christ:innen müssen wir uns klar positionieren: Gegen Diskriminierung, Hasskommentare im Netz und Demütigungen, die leider auch heute immer noch stattfinden. Jeder Mensch ist eine von Gott gewollte und geliebte Person und besitzt eine unantastbare Würde. Diese Grundüberzeugung muss unsere Haltung und unser Handeln bestimmen.“