3. Oktober

Zwei ostdeutsche Frauen blicken auf die Einheit

East Side Gallery in Berlin
epd-Bild/Ralf Zöllner
Einst trennte die Mauer Familien und zwei Länder. Heute ist sie für viele Menschen ein Fotoobjekt.

Sie kommen aus dem Osten Deutschlands, doch die DDR haben sie nicht mehr erlebt. Aber „ostdeutsch“ gehört trotzdem zu ihrer Identität.

Was ist die deutsche Identität? Gibt es westdeutsch und ostdeutsch auch noch Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung? Wir haben bei jungen ostdeutschen Frauen nachgehakt: Wie fühlen sie sich, obwohl sie die DDR nicht wirklich miterlebt haben? Kathleen und Christin erzählen von ihren Erfahrungen.

Negatives Bild durch falsche Infos

🔹Kathleen:

Die DDR habe sie selbst nicht mehr erlebt. Präsent sei sie in ihrem Alltag nur selten. „Dreieinhalb Jahre habe ich in Frankfurt gewohnt, dort spielte sie kaum eine Rolle.“, erzählt sie. Präsent sei sie aber, wenn sie in ihre Heimatstadt nach Neubrandenburg fahre und die großen Plattenbauten sehe.

privat
Kathleen Ratzar ist 32 Jahre alt. Sie lebt in Leipzig.

Viele finden die Plattenbauten nicht schön, für Kathleen gehören sie dazu, gehören zur DDR. Viele Menschen waren damals stolz, dass sie in diesen einst modernen Wohnungen leben durften. Diese besondere Architektur sei eine sichtbare Erinnerung an den Staat, den sie nur aus Erzählungen und Dokus kenne. Kathleens Eltern berichten ihr manchmal, wie das Leben damals war in der DDR. Zum Beispiel nachdem sie den Film „Good Bye, Lenin!“ gesehen hatte.

Kathleens Vater stand der SED immer kritisch gegenüber. Er ist Lokführer. Wenn er nach Berlin gefahren ist, war er neugierig, hat gemacht, was möglich war und hat sich überall interessiert umgeschaut. Einmal, so erzählte er der Familie, habe er das Gefühl gehabt, jemand habe ihn verfolgt und ihm wurde mulmig. Ob das wirklich so war, weis die Familie bis heute nicht. „Für mich ist das unvorstellbar, dass ich nicht dorthin reisen kann, wo ich will. Oder dass Familien unfreiwillig getrennt voneinander lebten.“, berichtet Kathleen.

Ich bin froh, dass es ein gemeinsames Deutschland gibt!

Kathleen Rezar

Auch wenn Kathleen die Teilung nie erlebt habe, finde sie es schon krass, alte Geschichten zu hören, Bilder und Videos zu sehen.

Ossi-Bashing nervt

Was sie ärgert, ist „Ossi-Bashing“. Als 2020 aufgrund der Corona-Abstandsregeln die Menschen in Geschäften anstehen und warten mussten, hat Kathleen öfter gehört, wie sie gesagt haben: „Das ist ja wie in der DDR hier.“ Aber das stimme einfach nicht. Die Leute halten Abstand, es durften nicht so viele zeitgleich in die Geschäfte. Sie vermitteln durch die falschen Infos ein negatives Bild. Das ärgert Kathleen.

Als „Ossi“ habe sie direkt allerdings noch nie jemand Fremdes angesprochen. Steht ja auch nicht auf die Stirn geschrieben. Kathleen findet, diese Kategorien gäbe es doch kaum noch.

Höchstens, was die Mentalität betrifft. „Manchmal glaube ich nämlich, dass Menschen aus dem Osten Deutschlands leiser sind, als die Menschen im Westen. Weniger selbstbewusst.“ Da sei es gal ob in der Bahn oder in einer Gaststätte, Ossis reden nicht so laut. Vielleicht ist in ihren Köpfen unbewusst noch verankert, dass jemand ungefragt mithören könnte?

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„Ost oder West war für mich nie ein Thema“

🔹Christin:
Christin ist zwar noch vor der Wende geboren, hat die DDR aber nicht mehr bewusst erlebt. Ost und West waren für sie auch nie ein Thema. „Der Partner meiner Mutter, der für mich der Vater ist, stammt aus West-Berlin. Insofern waren bei uns daheim Ost und West stets gleichermaßen präsent, seit ich fünf Jahre alt war.“

Der Unterschied wurde ihr erst bewusst, als sie zum Studium „in den Westen“, nach Darmstadt, gegangen ist. Da fragte sie der Vater eines Klassenkameraden: „Hast du dir das auch gut überlegt?“ Aber da gab es für sie nichts zu überlegen: „Ich wollte einen Studienplatz, ob Ost oder West, war mir egal.“

„Auch für meinen (sozialen) Vater war und ist es kein Problem, in der ehemaligen DDR zu leben.“, erinnert sich Christin. Nur als ihm dort ein Alteingesessener bescheinigte, er habe sich gut angepasst, fand er das komisch. Dabei erzählt er gelegentlich scherzhaft, wie er und seine Kumpels früher von West-Berlin in den Osten gefahren sind, zum „Zonis-Gucken“. 

Für mich ist die deutsche Einheit eine Selbstverständlichkeit.

Christin H.

Die Freiheit zu reisen

Ebenso die Freiheit zu reisen, die ihre Mutter nie vermisst habe. Christin kenne es nicht anders und mag sich auch keine Teilung mehr vorstellen. Aber im Freiwilligen Sozialen Jahr im Altenheim haben ihr die Leute von der Teilung erzählt, von getrennten Familien – das fand sie schrecklich.

„Meine Mutter war ja selbst noch sehr jung, als die DDR aufhörte zu existieren. Meine Großeltern sprechen über ihr Leben dort nur sehr ungern. Vor allem meine Oma weicht Fragen nach der Vergangenheit, nach der Stasi oder allgemein der Politik, aus. Das ist ein Tabu.“

Christin H. kommt aus dem brandenburgischen Königs Wusterhausen und lebt in Darmstadt. Ihren vollständigen Namen und ihr Bild möchte sie nicht preisgeben.

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