Die Evakuierungsaktion der Bundeswehr in Afghanistan ist zu Ende. Die Lage dort wird immer unübersichtlicher und gefährlicher. Noch immer warten viele verzweifelte Menschen – Deutsche und Ortskräfte – darauf, das Land verlassen zu können.
Die Klärung der Schuldfrage muss warten – bis nach der Bundestagswahl am 26. September. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hat allerdings schon angekündigt, ihren Kopf hinhalten zu wollen. Sie werde sich sehr genau überlegen, welcher Verantwortung sie gerecht geworden sei und welcher nicht – und welche Schlüsse sie daraus ziehen müsse. Dabei wird es ihr kaum helfen, dass sie nach Taschkent geflogen ist, um die letzten Soldatinnen und Soldaten aus Afghanistan auf ihrem Heimweg zu begleiten.
Die Amtszeit von Merkel endet sowieso. Die Posten der Verteidigungsministerin und des Außenministers dürften – egal wie die Wahl ausgeht – neu besetzt werden. Wenn die Lichter der Kameras aus sind, die Mikrofone abgestellt, die Laptops in den Taschen der Journalistinnen und Journalisten verstaut sind, werden sich vermutlich auch viele andere Beteiligte in diesem Debakel fragen, ob und wie sie sich mitschuldig gemacht haben.
Politiker sind Menschen, keine Maschinen. Für sie zählen bei dem, was sie tun, nicht nur Abdrucke in der Presse, Auftritte in Funk und Fernsehen, Erfolgsaussichten bei der nächsten Wahl, auch wenn das mitunter so aussieht.
Politikerinnen und Politiker engagieren sich für das Gemeinwohl, sind Familienmenschen, ausgestattet mit Empathie, Gerechtigkeitsempfinden und einem Gewissen. Sie müssen jetzt aushalten, dass durch ihre Fehleinschätzung Menschen ermordet wurden, andere leiden müssen und sterben werden. Sie müssen es aushalten, nicht zu ihrem Wort gestanden zu haben. Sie müssen es aushalten, Menschen, die an sie geglaubt haben, verraten zu haben.
Wie gehen sie damit um? Und wie gehen Soldatinnen und Soldaten damit um, dass sie schutzbedürftige Menschen im Stich lassen mussten? Dass sie geschehen lassen mussten, wie alles, wofür sie gekämpft haben, nichtig wurde?
Wer glaubt, dürfte sich damit leichter tun. In dem Gebet, das Christen weltweit verbindet, heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld.“ Jesus lehrte, dass niemand ohne Schuld ist – wie immer sie im Einzelfall zu bemessen ist. Gott vergibt Schuld. Im Wissen darum können sich Scham und Druck lösen, Menschen können ihre Schuld eingestehen und konstruktiv verarbeiten.
Vergebung löscht das Geschehen nicht von der Festplatte. Aber sie macht den Weg frei, neu anzufangen. Wem vergeben wird, kann sich ermutigt fühlen, das Positive an diesem Verarbeitungsprozess weiterzugeben. Und kann weitersuchen nach Möglichkeiten, Gerechtigkeit oder Frieden zu schaffen. Geduldig. Beharrlich. Mit mehr Vernunft. Mit mehr Fantasie. Und mit der festen Absicht, fortan zu seinem Wort zu stehen. Und vor allem mit einer genauen Analyse des Geschehens, um aus diesen Fehlern zu lernen.
Wie umgehen mit der Schuld?