Selbstfürsorge

Erfahrungsbericht Schweigekloster: Wie Schweigen mich heilt

überwucherter Kreuzgang
getty/Ulrich Rosenschild

Wenn der Alltag zu laut und belastend wird, kann Schweigen helfen. Ein Erfahrungsbericht.

Wie umgehen mit Überlastung im Arbeits- und Privatleben? Vielleicht willst du dir manchmal auch einfach eine Pause gönnen und wieder zu dir selbst finden. Unsere Gastautorin Petra Mattes hat für sich das Schweigen als Selbstfürsorge entdeckt, in einem franziskanischen Kloster.

 

von Petra Mattes

Als Psychologische Psychotherapeutin für von Flucht und Trauma betroffene Menschen erlebe ich viele sehr intensive und teils auch belastende Situationen, gerade auch während des derzeitigen gesellschaftlichen Klimas. Hinzu kamen anstrengende Lebensumstände im Privaten in den letzten Monaten – die Herausforderungen wollten nicht abreißen, ich fühlte mich ziemlich am Ende – was nun?

Es gibt professionelle Begriffe für das, was ich erlebte: Compassion Fatigue, sekundäre Traumatisierung, Burnout... aber was nun tun mit dieser Erkenntnis? Ich beschloss, mir eine Auszeit zu nehmen. Einen ganzen Monat ohne Klient:innen: nicht andere versorgen wollen, solange ich selbst unversorgt war. Dann schuf ich mir Raum: von meinem Wohnort bis zum Horizont reisen, anstrengungsfrei mit dem Bus, übers Land in die Weite - und in die Stille.

Ich fuhr und schwieg und heilte. Wie gut, dass ich mich erinnert hatte an diesen Weg der Selbstfürsorge!

In den spirituellen Praktiken der Weltreligionen haben Rückzug und Schweigen eine lange Tradition. Auch ich bin der heilenden Kraft des Schweigens zum ersten Mal bewusst im religiösen Kontext begegnet. Das war Anfang der 80er Jahre in einem franziskanischen Kloster. Dort nahm ich an einer Einführungswoche in die Zen Meditation teil.

Im christlichen Kloster schweigen lernen

Frau hat tonfarbene Maske in ihrer Hand und lächelt sie an.
privat
Petra Mattes hat diese Maske schweigend gefertigt, in den 80ern. Heute lächelt sie diese an.

Ich trat also über die Schwelle eines christlichen Klosters, lernte dort die aus dem Buddhismus stammende Zen-Meditation kennen. Im selben Atemzug wurde die Tür weit aufgestoßen zu Versenkung, Schweigen, Kontemplation als zutiefst in unserer abendländischen christlichen Kultur verankerte Wege zu innerer Verbundenheit mit Gott, Mitmensch, beseelter Mitkreatur: Eine ganze Welt an Schätzen tat sich auf, von denen ich vorher nichts geahnt hatte!
Schweigen bedeutet in diesem Kontext auch, sich so weit wie möglich auf sich selbst zu besinnen. Es geht darum, sich eine Zeit lang nicht um die Bedürfnisse anderer kümmern zu müssen.

Schweigeexerzitien habe ich als sehr hilfreich erlebt, weil sie mir einen festen äußeren Rahmen gegeben haben und ein Regelwerk. Reden ist während des gesamten Kurses, oder manchmal auch nur während bestimmter Zeiten explizit verboten. So wird Schweigen zur jetzt geltenden Norm, auch im Zwischenmenschlichen.

Im Meditationshaus Dietfurt, dem bayrischen Kloster, in dem ich Zen einübte, war es explizit unerwünscht, das Reden durch nonverbale Kommunikation zu ersetzen. Insbesondere beim gemeinsamen Essen. Die Versuchung dazu war groß! Wir Kursteilnehmer:innen gaben unser Bestes in dem Versuch, statt mit Worten nun mit Gesten und Blicken herauszufinden, ob der Tischnachbar/ die Tischnachbarin vielleicht das Salz, den Pfeffer, mehr Blumenkohl oder Schnitzel wollte oder brauchte! Erst nach mehrfacher ausdrücklicher „Erlaubnis“ durch die Kursleitenden, dies doch sein zu lassen und uns auf uns selbst zu konzentrieren, trauten wir uns nach und nach tatsächlich, ganz bei uns zu bleiben. Ich und auch die anderen bemerkten, dass wir auch ohne ständige Kommunikation wahrnehmen, ob der Nachbar tatsächlich etwas braucht. Heute würde man dies wohl Achtsamkeit nennen.

Schweigen fällt mir leicht

Ist es schwer, ein paar Stunden, ein paar Tage, eine Woche ... nicht zu reden? Mir ist es immer leicht gefallen. Ich empfand es sofort als Erlösung, als Geschenk. Mehr Anlaufschwierigkeiten hatte ich wieder zur reden nach Kursende. Aber hier bilde ich eher die Ausnahme- die meisten Teilnehmenden zwitscherten und plauderten fröhlich, mit neuem Schwung und zugewandt los, sobald die Schweigezeit vorbei war.

Aber was kann man erleben, was genau ist heilsam daran, wenn man im geborgenen Umfeld anderer Meditierender schweigt? Schweigen und dem Atem folgen und Nur-Sitzen, wie in der Zen Meditation praktiziert, hat eine Art innerer Leere zum Ziel. Auch, wenn der Begriff „Ziel“ vielleicht schwierig ist, da das Motto von Zen „Der Weg ist das Ziel“ lautet. Die Idee ist, wie eine leere Schale oder Vase Raum zu bieten, in dem das Göttliche sich niederlassen kann. Im Zen zum Beispiel hilft die Konzentration auf den eigenen Atem, mehr und mehr in der Gegenwart, im jetzigen Moment zu sein. Das kann auf außerordentliche Art beglückend sein

Reden lenkt manchmal ab

Das Anstrengende am Reden kann ja sein, dass es der Welt, in der sich unser Körper jetzt gerade befindet – zum Beispiel ein laubbedeckter Waldweg, auf dem wir Spazierengehen- eine weitere Welt hinzufügt, nämlich die, über die wir reden. Gehe ich also mit einer Freundin spazieren und wir reden über unsere Kinder, Männer, Berufe, so kann es sein, dass die Farben des Waldes weitgehend überdeckt werden von den Farben unseres Gespräches. Das muss nicht immer erholsam sein!

Auch beim Nichtreden wird es oft zunächst einmal laut. Anstelle von Wörtern aus dem Mund des Mitmenschen fangen in der Regel die eigenen Gedanken an, laut zu werden. Diese Gedanken können Wörter sein, aber auch Bilder oder zum Beispiel Töne.
Manchmal fangen sie an, regelrecht im Innern loszuschreien, richtig nervig kann es sein. Der Trick in Meditationskursen ist es, sich tatsächlich nicht zu ärgeren über die Gedanken und weder bei ihnen verweilen noch sie verscheuchen zu wollen. Und sich erst recht nicht zu ärgern, wenn das dann natürlich auch nicht klappt...

Gefühl von Verbundenheit durch Schweigen

Jenseits aller Worte, Begriffe und Erklärungen kann es dann plötzlich ein tiefes, unmittelbares Erkennen von Verbundenheit geben. Ein Erkennen, dass es so etwas gibt: dass man gleichzeitig ein ganz einzigartiges und einmaliges Individuum bleiben darf, und eins mit Allem ist. Ohne Mühe, ohne etwas dafür leisten zu müssen. Dass man plötzlich wieder hören, schmecken, riechen, fühlen, kann, dass man getragen und gehalten ist. Und aus dieser Quelle gespeist, auch wieder mit anderen lachen und einander begegnen kann, reich ist, etwas zu verschenken hat „an alles Leben“, wie es der Dichter Rainer Maria Rilke sagt, wenn es einmal zuvor nur „so ganz stille“ geworden ist. Wenn man schweigend in sich ruhen durfte nur eine kleine Weile lang, ohne den Aufforderungen der Welt auf eine Reaktion Folge leisten zu müssen.

Es ist ganz wunderbar, wenn andere Menschen fürsorglich zu uns sind. Nicht immer gibt es diese Fürsorge, oder wir können sie nicht immer spüren inmitten der lauten Welt. Dann kann es gut sein innezuhalten, für Stille zu sorgen, damit wir wieder empfänglich sind und werden für das, was jetzt da ist, was jetzt in diesem Moment zu uns spricht, für das, das uns tröstet und freundlich ein kleines Pflaster klebt, wenn wir gefallen sind.

Ich habe meinen Erholungsurlaub dieses Jahr nutzen können, indem ich schweigend die unmittelbare Umgebung erkundete – andere vielleicht, indem sie mit ihren Lieben im regen Austausch fernere Gefilde bereisten. Es gibt so viele Wege, Seele und Körper gut zu tun!

Rainer Maria Rilke „die Sonette an Orpheus“

„Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.

Wenn das Zufällige und Ungefähre

verstummte und das nachbarliche Lachen,

wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

mich nicht so sehr verhinderte am Wachen –

 

Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken

bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

um dich an alles Leben zu verschenken

wie einen Dank.“