„Ost-Feindlichkeit gab es schon immer“
David Giesbrecht (28), Student aus Gießen
David identifiziert sich aufgrund seiner Familiengeschichte als Russlanddeutscher. Im Zuge des Weltkrieges wurden seine Großeltern nach Sibirien deportiert. Von Sibirien ist die Familie dann eigenständig nach Kasachstan gezogen und von dort 1988 nach Deutschland migriert.
David: Also ich würde sagen, Ost-feindlichkeit gab es schon immer. Ich glaube nicht, dass der Krieg die Ursache dafür ist, aber er befeuert diese. In meiner russlanddeutschen Verwandtschaft, in meiner näheren Umgebung habe ich Diskriminierungserfahrungen mitbekommen. Also wo man dann tatsächlich angefeindet wurde als „Scheiß Russe“ und irgendwie alles in einen Topf geworfen wurde.
Es sind halt sehr oft Mikro-Aggressionen, die dann so dazu kommen. Solche Fragen wie „Ja, was denkst du denn über deinen Putin?“ Fragen, die dann mit einem subtilen Unterton kommen und dich einer bestimmten Gruppe zuordnen. Und zwar: du bist auch jemand von „den Bösen“.
Sie fügen dich in ein gewisses Narrativ ein: Russlanddeutsche sind alles Putin-Anhänger und gucken alle Staatsfernsehen, sind davon geprägt und feiern eigentlich Russland viel mehr. Integrieren wollen sich nicht. Und das ist ein Narrativ, das ich sehr gefährlich finde. Das ist auch nicht deckungsgleich mit dem, was ich erlebe.
Ich weiß davon, dass Russlanddeutsche viele Aktionen organisiert haben. Transporte von Hilfsgütern in die Ukraine oder auch Personentransporte von Geflüchteten aus der Ukraine nach Deutschland. Einige Russlanddeutsche bieten auch russische Übersetzungen in hessischen Kirchengemeinden an, damit auch ukrainische Geflüchtete in Gottesdienste kommen können, mitmachen und sie verstehen können.
Mit Russland selbst verbinde ich kaum etwas. Vielleicht die Sprache. Ich bin bilingual groß geworden, kann also Russisch. Ansonsten habe ich keine großen Bezüge zu Russland, vielleicht ein bisschen in der Literatur. Dostojewski, Tolstoi oder so, aber sonst nicht.
Russlanddeutsch zu sein hat für mich erst mal ganz viel mit meiner Familie zu tun. Ich bin eigentlich die allererste Generation seit Jahrhunderten, die nicht aufgrund von Verfolgungserfahrung umziehen muss. Da sind so viele Traumata passiert, dass gar nicht über die Vergangenheit gesprochen wird. Weder in meiner Familie noch bei anderen Russlanddeutschen, die ich kenne. Die Vergangenheit wurde verdrängt oder man will einfach nicht drüber reden. Russlanddeutsche sind eine verstummte Gruppe in Deutschland. Aus verschiedensten Gründen. Wir als junge Generation haben da schon die Verantwortung die Geschichten weiter aufzuarbeiten, nach dem Motto: Zurückschauen, sich erinnern und dadurch nach vorne schauen und weitergehen.
Das wünsche ich mir generell für unsere Gesellschaft in Deutschland: Miteinander unterwegs zu sein, zuzuhören, von der eigenen Geschichte zu erzählen, aber auch der Geschichte des Anderen zu lauschen und miteinander zu lernen.