Vor Ort

Kriegsreporterin in der Ukraine: Katrin Eigendorf

Kriegsreporterin Katrin Eigendorf
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Die Journalistin Katrin Eigendorf schreibt in ihrem Buch über ihren Einsatz in der Ukraine während des Krieges. Ein Interview.

Am 23. Februar sollte Katrin Eigendorf nach Kiew in der Ukraine fliegen – im Auftrag des ZDF. Doch zu dem Zeitpunkt war das schon nicht mehr möglich. So nahm sie die Maschine nach Krakau, ein polnischer Fahrer holte sie am Flughafen ab. Über die polnisch-ukrainische Grenze musste sie zu Fuß gehen, mitten in der Nacht. „Das war nicht so angenehm mit meinem ganzen Gepäck“, erzählt sie lachend. Auf der anderen Seite stand ein Kollege mit Auto. So beschreibt sie den Anfang des Ukraineeinsatzes in ihrem Buch „Putins Krieg“.

Bombenalarm wegen des russisch-ukrainischer Krieges

Sie waren gerade Richtung Kiew unterwegs, als eine Freundin aus der ukrainischen Hauptstadt anrief und sagte: „Wir werden gerade bombardiert.“ Ein Plan B musste her. Neues Ziel war Winnyzja, 250 Kilometer von Kiew entfernt. Todmüde und erschöpft fiel die Reporterin ins Bett. „Auf einmal hämmerte jemand an meine Tür. Das war die Concierge des Hotels, die sagte: ‚Schnell, schnell, ab in den Keller!‘“ Den Alarm hatte die Journalistin verschlafen.

Zur Person

Katrin Eigendorf ist seit rund 30 Jahren Reporterin, davon die längste Zeit für das ZDF. Sie berichtet von Kriegen aus aller Welt, in diesem Jahr aus der Ukraine. Das macht sie so gut, dass sie im September den Robert-Geisendörfer-Preis bekommen wird, den Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Also, auf in den Keller. Dort saßen viele Menschen. „Die Kinder haben keinen Mucks von sich gegeben. Es war totenstill“, beschreibt Eigendorf. In dieser Situation habe sie an ihre Eltern denken müssen. Ihre Mutter, Jahrgang 1935, habe sehr oft erzählt, wie es für sie gewesen ist, immer wieder in den Luftschutzkeller gehen zu müssen. Und wie oft sie da unten gesessen hatte, hungrig, nicht wusste, was passiert und wie sehr das ihre Kindheit prägen sollte. „Ich habe das nie so richtig nachvollziehen können. Wie soll man das auch?“, fragt ihre Tochter, die Kriegsbeobachterin.

Alle haben Angst zurückzugehen, Angst vor dem, was sie erwartet.

Inzwischen kann sie das besser nachvollziehen. Sie spricht von gestohlener Kindheit, damals und heute. Sie hat in diesem Jahr schon oft Schutz vor Bomben gesucht, saß zusammen mit Menschen, die alles verloren haben, die nicht wissen, wie es weitergehen soll, die schwer traumatisiert sind.

Familien leben seit Monaten in U-Bahnstation in Charkiw

Sie will beschreiben, was ist. Um das zu tun, geht sie nah an die Menschen ran, zerrt sie aber nicht vor die Kamera. Sie hat zum Beispiel Familien besucht, die nach Monaten immer noch in der U-Bahnstation in Charkiw leben. Rund 550 Menschen hausen hier - in einer sehr zerbrechlichen Privatsphäre. Es riecht nach Schweiß, Urin, verdorbenen Lebensmitteln, gemischt mit abgestandener Luft. Nicht wenige haben Hund oder Katze dabei, neben einem kleinen Mädchen steht eine Kiste mit einem Hasen. Alle haben Angst zurückzugehen, Angst vor dem, was sie erwartet.

Russische Soldaten vergewaltigen und foltern

Katrin Eigendorf schreibt Buch über Ukraine-Krieg
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Katrin Eigendorf schreibt Buch über Ukraine-Krieg

Sie muss stets abwägen: Kann ich diesem Menschen meine Fragen zumuten, kann ich den Zuschauerinnen und Zuschauern diese Bilder zeigen? Das wird besonders deutlich, wenn es um den 4. April 2022 geht. Die ukrainische Regierung hatte eine Gruppe internationaler Journalistinnen und Journalisten eingeladen nach Butscha, Irpin und Borodjanka, alles Vororte von Kiew. Hier haben russische Soldaten bis Ende März Tausende Menschen ermordet, vergewaltigt und gefoltert. Eigendorf spricht von enthemmter Grausamkeit und Entmenschlichung der russischen Soldaten, von einer Dokumentation des Grauens.

„Wer an diesem 4. April in Butscha war, hat die Wahrheit mit eigenen Augen gesehen und den Tod gerochen. Eine Wahrheit, die sich nicht inszenieren, ja nicht einmal zeigen lässt – zu grausam ist sie“, schreibt Eigendorf in ihrem Buch. Es habe auch ihre Vorstellungskraft weit überstiegen.

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Auch der Präsident war in Butscha dabei, eine der seltenen Gelegenheiten, ihn draußen zu erleben. Wolodymyr Selenskyj kommuniziert regelmäßig von seinem Arbeitsplatz aus mit den Bürgerinnen und Bürgern, trägt stets ein grünes T-Shirt und eine grüne Hose - wie alle anderen aus der Führungsriege auch.

Selenskyj als Anti-Putin

Er sendet Bilder und Botschaften rund um die Uhr, inszeniert sich als eine Art Anti-Putin. Es könne den Krieg maßgeblich beeinflussen, glaubt Eigendorf. „Das hat den Anfang des Krieges entschieden. Ohne Selenskyj und sein unmittelbares Auftreten, ohne seine Glaubwürdigkeit, ohne die Tatsache, dass er wirklich klargemacht hat: ‘Ich stehe mit meiner ganzen Person für den Kampf gegen Russland‘ hätte er es nicht geschafft, so weite Kreise der Bevölkerung zu mobilisieren, er hätte vermutlich auch die westliche Welt nicht dazu bekommen, so entschieden und so klar zu reagieren,“ sagt sie.

Katrin Eigendorf berichtet aus der Ukraine
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Katrin Eigendorf berichtet aus der Ukraine

Katrin Eigendorf bewertet den Anfang des Krieges zwischen der Ukraine und Russland als ersten Informationskrieg der Geschichte. Es begann im November 2013. Der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch hatte unter russischem Druck die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU verweigert. Vor allem Studenten gingen in Kiew dagegen auf die Straße. Die Polizei verprügelte die Demonstranten auf dem Platz der Unabhängigkeit, dem Maidan Nesaleschnosti.

Orangene Revolution der Ukraine

Das harte Vorgehen weckte den Widerstand in der breiten Bevölkerung. In den folgenden Wochen beteiligten sich bis zu 800.000 Teilnehmer an regelmäßigen Demonstrationen. Bekannt wurde diese Bewegung als orangene Revolution. Die Ukraine auf dem Weg zu Demokratie und Freiheit? Das war Russland ein Dorn im Auge. Die Propagandamaschine lief an. Putin sprach von der Machtübernahme der Faschisten, die NATO deklarierte er als Bedrohung Russlands. Die Botschaft ist einfach: Wer sich gegen das Land stellt, das Hitler-Deutschland besiegt hat, muss ein Faschist sein.

Robert Geisendörfer Preis

Der Robert Geisendörfer Preis wird seit 1983 alljährlich im Gedenken an den christlichen Publizisten Robert Geisendörfer (1910–1976) verliehen. Ausgezeichnet werden Hörfunk-, Fernseh- und Onlineformate aus allen Programmsparten, die das persönliche und soziale Verantwortungsbewusstsein stärken. (Quelle: geisendoerferpreis.de)

„Es war dieser erfolgreiche Informationskrieg, der es Putin ermöglichte, 2014 zunächst die Krim zu annektieren und dann Teile der ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk zu sogenannten Volksrepubliken zu machen.“ Dabei müsste man eigentlich von Desinformationskrieg sprechen.

Recherche auf Social Media

Doch die authentische Erzählung schlage inzwischen die „Informations“-Kriegsführung. „Es gibt mittlerweile so viele Menschen, die ihre Situation mit dem Handy filmen und diese Informationen weiterleiten. Wir können sehen, was in bestimmten Orten passiert, wir können auch als Journalisten ein viel besseres Beweisbild zusammenbauen. Wir schauen, was auf Social Media berichtet wurde, gleichen das ab mit Satellitenaufnahmen, mit öffentlichen Kameras, mit einer Palette von Informationen“, beschreibt Eigendorf die Situation.

Hautnah erlebte die Fernsehjournalistin den Präsidenten in Butscha. Er sei „sehr angefasst und sehr schockiert“ gewesen. „Ich war wirklich erstaunt, dass ein Politiker in der Position so offen seine eigene Verwundbarkeit und Verletzung zeigt wie in der Situation. Man hat gemerkt: Der Mann ist auf einmal um Jahre gealtert.“

Manchmal geht es auch bei Katrin Eigendorf an die Schmerzgrenze. Die Erlebnisse, Begegnungen, Schicksale einzelner Menschen bereiten ihr oft große Sorgen oder schlaflose Nächte. Ihr Rezept: Handeln. „Nicht einfach dastehen und sagen: wie schrecklich! Man kann immer etwas verändern. Wenn man nur einer Familie hilft, das Land zu verlassen, wenn man ein Kind in eine deutsche Gastfamilie bringt, wenn man einer Sportlerin hilft, in die USA zu kommen – es sind die kleinen Dinge, die zählen“, findet sie.

Wenn man nur ein Kind in eine deutsche Gastfamilie bringt – es sind die kleinen Dinge, die zählen.

Eigendorf: Kapitulation keine Option

Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen: Ergebt Euch! Macht dem Leid ein Ende, nicht noch mehr Tote und Verletzte, zerstörte Körper und Seelen: Für Katrin Eigendorf ist das keine Option. Erstens sei es alleinige Sache der Ukraine, das zu entscheiden. Zweitens würde eine Kapitulation millionenfache Deportation, Mord, Vergewaltigung und Unterdrückung bedeuten.

Wenn Deutschland in diese Situation käme, was würde sie tun? „Für mich sehe ich zwei Möglichkeiten: das Land verlassen oder kämpfen.“ Jetzt aber setzt sie sich erst mal weiter dafür ein, die Dinge so zu beschreiben, wie sie sind – in der Ukraine. Denn hier entscheidet sich, in welcher Welt wir leben werden.