Gesellschaft

Darmstädter Kirchengemeinde nach Antisemitismus-Vorwürfen geschlossen

Die Michaelsgemeinde in Darmstadt bei blauem Himmel
Volker_Rahn
Die Michaelsgemeinde in Darmstadt

Ein Weihnachtsmarkt in einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt hatte aufgrund von Antisemitismusvorwürfen für heftige Kritik gesorgt. Nun ist die Gemeinde geschlossen worden.

Aktualisiert am 07.03.2025

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) schließt bis auf Weiteres die Darmstädter Michaelsgemeinde. Dort waren im vergangenen Dezember auf einem Weihnachtsmarkt antisemitische und antiisraelische Symbole durch eine Palästina-Solidaritätsgruppe angeboten worden.

In der Folge waren mehrere Strafanzeigen gegen die Gemeinde und die Kirche erstattet worden, auch die Landeskirche selbst hatte Anzeige erstattet. Die Gemeindemitglieder werden gebeten, für Gottesdienste oder die Seelsorge die Nachbargemeinden aufzusuchen, teilte die EKHN in Darmstadt mit.

Drastische Sanktion gegen Darmstädter Michaelsgemeinde

Eine derart drastische Sanktion gegen eine Kirchengemeinde habe er noch nicht erlebt, sagte der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, Volker Rahn, dem Evangelischen Pressedienst. Der Dekanatssynodalvorstand in Darmstadt habe am Donnerstag beschlossen, das Gemeindehaus zu schließen.

Bei der Überprüfung der Vorgänge habe das Gremium festgestellt, dass das Gemeindehaus von vielen Gruppen genutzt werde, wobei gar nicht klar sei, ob sie dafür überhaupt befugt seien. Auch sei nicht klar, wer über Schlüssel dafür verfüge. Lange bestehende Gemeindegruppen wie der Seniorenkreis bekämen alternative Räume in Nachbargemeinden zur Verfügung gestellt. Die aus dem Jahr 1960 stammende Kirche ist wegen Baumängeln bereits geschlossen.

Politischer Weihnachtsmarkt: Hauptorganisator aus dem Kirchenvorstand ausgeschlossen

Der Hauptorganisator des „Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkts“ ist nach Angaben der Landeskirche vom Kirchenvorstand ausgeschlossen worden. Er sei nicht freiwillig zurückgetreten und habe keine Einsicht gezeigt, sagte Rahn. Für den politischen Weihnachtsmarkt habe es nicht den erforderlichen Beschluss des Kirchenvorstands gegeben.

Auf dem Weihnachtsmarkt hatte die Gruppe „Darmstadt4Palestine“ Kennzeichen der verbotenen Terrororganisation Hamas, wie das rote Dreieck, und den Slogan „From the river to the sea“, der die Auslöschung Israels fordert, ausgelegt. Dem Pfarrer der Gemeinde war in der Folge die Ausübung seines Amtes untersagt worden. Die Kirche prüfe, welche andere Aufgabe er künftig übernehmen könne, sagte Rahn. Nach dem Bekanntwreden der Vorwürfe hatten den Pfarrer sogar Morddrohungen erreicht.  

Wie es in Zukunft mit der Gemeinde weitergeht, bedarf laut Rahn weiterer Klärungen. Auch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien noch nicht abgeschlossen.

Was ist passiert?

Am dritten Adventswochenende waren auf dem „Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt“ der Gemeinde Produkte angeboten worden, wie das Kennzeichen der verbotenen Terrororganisation Hamas, das rote Dreieck, oder Slogans wie „From the river to the sea“, die die Auslöschung Israels forderten.

Nach Augenzeugenberichten und vorliegendem Bildmaterial seien „sämtliche Register gezogen worden, um Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren“, sagte der Kirchenvorstandsvorsitzende Daniel Neumann. Die Vorwürfe lauteten, Israel begehe seit 75 Jahren einen „Genozid“ an Palästinensern, betreibe „ethnische Säuberungen“ und praktiziere eine „Apartheid“ im Land.

Reaktionen aus Gesellschaft und Politik

Diese ideologisch motivierten Vorwürfe stellten „israelbezogenen Antisemitismus“ dar, kritisierte der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Das Abhalten dieses Weihnachtsmarktes der Kirchengemeinde sei „skandalös“, sagte er. „Es ist tragisch, dass das legitime Anliegen, auf das Leid der Palästinenser aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln, immer direkt ein Einfallstor bietet, um Israelhass und Antisemitismus zu verbreiten.“

Auch der Darmstädter Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) hat der Michaelsgemeinde vorgeworfen, „antisemitische Inhalte propagiert“ zu haben. „Die Bilder sind zutiefst verstörend. Es wird versucht, das Existenzrecht Israels zu delegitimieren und den Staat Israel zu dämonisieren, indem judenfeindliche Stereotype auf den Staat Israel und seine Politik übertragen werden“, schrieb Benz in einem Brief an die Kirchengemeinde und die EKHN. „Eine solche Veranstaltung unter dem Dach einer evangelischen Gemeinschaft durchzuführen, ist deshalb unerträglich.“

„Es ist unfassbar, völlig inakzeptabel und absolut skandalös, in welch infamer Weise in Darmstadt Hamas-Propaganda und Holocaust-Relativierung eine Plattform geboten wurde“, sagte der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) in Wiesbaden. „Selbst vor der Relativierung des Holocausts wurde nicht zurückgeschreckt, indem in bekannt antisemitischer Weise die Botschaft 'Nie wieder' sprachlich und bildlich auf Palästina übertragen wurde. Dies ist eine bekannte antisemitische Gleichsetzung des industriellen Massenmordes an sechs Millionen europäischen Juden in der Zeit der Shoah mit den gegenwärtigen Kriegshandlungen im Nahen Osten“, kritisierte Becker.

Verfehlte Solidarität mit Palästina

Die Organisatoren hatten den  „Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt“ unter das Thema der Palästina-Solidarität gestellt. „Antikolonial nennen wir ihn deshalb, weil unser Fokus darauf liegen wird, Palästinenserinnen und Palästinenser mit den Einnahmen unseres Marktes zu unterstützen. Das Leid in Gaza findet bis heute kein Ende ...“, hieß es in der Ankündigung.

Es gebe palästinensische Erzeugnisse zu kaufen, eine Bilderausstellung zu Palästina, einen Leseraum über die palästinensische Kultur, Lesungen, Musikvorführungen und einen Filmabend zum Thema.

Das Bildmaterial und die Berichte über den Weihnachtsmarkt, die die EKHN im Dezember erreichten, seien „zutiefst verstörend“, teilte die Pressestelle der Kirche damals mit. Das Anliegen, für Menschen in Not - auch in Gaza - zu sammeln, sei grundsätzlich legitim. Der Verkauf von Gegenständen mit Symbolen, die in Verbindung mit der Terrororganisation Hamas stehen und das Existenzrecht Israels anzweifeln, sei aber inakzeptabel. Antisemitismus dürfe in der EKHN keinen Platz haben. 

(aktualisiert am 07.03.2025)