Kirchen

Antisemitismus-Vorwurf gegen Darmstädter Kirchengemeinde

Das Gebäude der Kirchengemeinde inklusive Turm im Sommer aufgenommen
Wikimedia/Panoramio/Artem Korzhimanov
Die Darmstädter Michaelskirche

Ein Weihnachtsmarkt in einer evangelischen Kirchengemeinde in Darmstadt steht in heftiger Kritik. Dort soll antiisraelische und antisemitische Propaganda ein Podium bekommen haben.

Die Jüdische Gemeinde Darmstadt und mehrere Privatpersonen haben nach Angaben des Vorstandsvorsitzenden Daniel Neumann Strafanzeigen gegen die evangelische Michaelsgemeinde und die Palästina-Solidaritätsgruppe „Darmstadt4Palestine“ erstattet. Auch die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und der Hessische Antisemitismusbeauftragte haben Anzeigen gestellt. Laut Staatsanwaltschaft geht es dabei um die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie Volksverhetzung.

Morddrohungen für den Pfarrer der Michaelsgemeinde

Dem verantwortlichen Pfarrer der evangelischen Michaelsgemeinde in Darmstadt Manfred Werner hat die EKHN die Ausübung seines Amtes zwischenzeitlich untersagt. Der Beschluss der Kirchenleitung vom Donnerstag wird auch dazu führen, dass Werner in diesem Jahr keine Weihnachtsgottesdienste leiten darf. Mittlerweile erreichen den Pfarrer sogar Morddrohungen: „Ich würde es begrüßen, in dieser Situation von der Ausübung meines Amtes entbunden zu werden“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst.  Das für den sogenannten Antikolonialistischen Weihnachtsmarkt verantwortliche Mitglied des Kirchenvorstands ist zwischenzeitlich zurückgetreten.

Was ist passiert?

Am dritten Adventswochenende seien auf dem „Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt“ der Gemeinde Produkte feilgeboten worden, wie das Kennzeichen der verbotenen Terrororganisation Hamas, das rote Dreieck, oder Slogans wie „From the river to the sea“, die die Auslöschung Israels forderten.

Nach Augenzeugenberichten und vorliegendem Bildmaterial seien „sämtliche Register gezogen worden, um Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren“, sagte  Neumann. Die Vorwürfe lauteten, Israel begehe seit 75 Jahren einen „Genozid“ an Palästinensern, betreibe „ethnische Säuberungen“ und praktiziere eine „Apartheid“ im Land.

Reaktionen aus Gesellschaft und Politik

Diese ideologisch motivierten Vorwürfe stellten „israelbezogenen Antisemitismus“ dar, kritisierte der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Das Abhalten dieses Weihnachtsmarktes der Kirchengemeinde sei „skandalös“, sagte er. „Es ist tragisch, dass das legitime Anliegen, auf das Leid der Palästinenser aufmerksam zu machen und Spenden zu sammeln, immer direkt ein Einfallstor bietet, um Israelhass und Antisemitismus zu verbreiten.“

Auch der Darmstädter Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) hat der Michaelsgemeinde vorgeworfen, „antisemitische Inhalte propagiert“ zu haben. „Die Bilder sind zutiefst verstörend. Es wird versucht, das Existenzrecht Israels zu delegitimieren und den Staat Israel zu dämonisieren, indem judenfeindliche Stereotype auf den Staat Israel und seine Politik übertragen werden“, schrieb Benz in einem Brief an die Kirchengemeinde und die EKHN. „Eine solche Veranstaltung unter dem Dach einer evangelischen Gemeinschaft durchzuführen, ist deshalb unerträglich.“

„Es ist unfassbar, völlig inakzeptabel und absolut skandalös, in welch infamer Weise in Darmstadt Hamas-Propaganda und Holocaust-Relativierung eine Plattform geboten wurde“, sagte der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) in Wiesbaden. „Selbst vor der Relativierung des Holocausts wurde nicht zurückgeschreckt, indem in bekannt antisemitischer Weise die Botschaft 'Nie wieder' sprachlich und bildlich auf Palästina übertragen wurde. Dies ist eine bekannte antisemitische Gleichsetzung des industriellen Massenmordes an sechs Millionen europäischen Juden in der Zeit der Shoah mit den gegenwärtigen Kriegshandlungen im Nahen Osten“, kritisierte Becker.

Verstörende Bilder und Berichte über den Weihnachtsmarkt

Die Kirchengemeinde hatte gemeinsam mit der Gruppe „Darmstadt4Palestine“ einen „Anti-Kolonialen Friedens-Weihnachtsmarkt“ unter das Thema der Palästina-Solidarität gestellt. „Antikolonial nennen wir ihn deshalb, weil unser Fokus darauf liegen wird, Palästinenserinnen und Palästinenser mit den Einnahmen unseres Marktes zu unterstützen. Das Leid in Gaza findet bis heute kein Ende ...“, heißt es in der Ankündigung der Gemeinde.

Es gebe palästinensische Erzeugnisse zu kaufen, eine Bilderausstellung zu Palästina zu sehen, einen Leseraum über die palästinensische Kultur, Lesungen, Musikvorführungen und einen Filmabend zum Thema.

Das Bildmaterial und die Berichte über den Weihnachtsmarkt, die die EKHN seit Wochenbeginn erreichten, seien „zutiefst verstörend“, teilte die Pressestelle der Kirche am Dienstag in Darmstadt mit. Die Vorwürfe würden gegenwärtig geprüft, die Kirche suche weiter das Gespräch mit den Verantwortlichen der Gemeinde.

Das Anliegen, für Menschen in Not - auch in Gaza - zu sammeln, sei grundsätzlich legitim. Der Verkauf von Gegenständen mit Symbolen, die in Verbindung mit der Terrororganisation Hamas stehen, sei aber inakzeptabel.

Antisemitismus darf in unserer Kirche keinen Platz haben. Auf Basis der uns bisher verfügbaren Informationen haben wir den Eindruck, dass der inhaltliche Zuschnitt dieser Veranstaltung nicht übereinstimmt mit der Haltung unserer Kirche“, heißt es in der Stellungnahme. Der Pfarrer der Gemeinde habe gegenüber der Kirchenverwaltung erklärt, dass sich die Gemeinde von jeglicher Form der Menschenverachtung distanziere, auch von Antisemitismus, teilte die EKHN mit.

Die Kirche werde weiter das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen. Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, behalte sich die Kirche rechtliche Schritte gegenüber den Verantwortlichen vor. Das Anliegen, sich für Menschen in Not - auch in Gaza - einzusetzen, sei grundsätzlich legitim, erklärte die EKHN. „Eine pauschal israelfeindliche und delegitimierende Wortwahl und der Verkauf von Gegenständen mit Symbolen, die in Verbindung mit der Terrororganisation Hamas und dem Anzweifeln des Existenzrechts Israels stehen, sind für uns aber inakzeptabel. Antisemitismus darf in der Kirche keinen Platz haben.“

(aktualisiert am 21.12.2024)