Militärinterventionen

Lehren aus Afghanistan: Was wir besser machen sollten

Kanadische Militär-Fahrzeuge in der afghanischen Wüste 2006
gettyimages/Chris Fernandez
Kanadische Militär-Fahrzeuge in der afghanischen Wüste 2006

Friedensforschungsinstitute fordern von der neuen Bundesregierung ein Umdenken in Krisenregionen. Dafür haben sie sieben Empfehlungen.

Als im August 2021 der Westen mit eingezogenem Schwanz aus Afghanistan abzog, in die Knie gezwungen von den Taliban, da fühlten sich viele bestätigt. Sie hatten immer schon gesagt, dass militärische Interventionen von vorneherein zum Scheitern verurteilt sind, weil sich Frieden nun mal nicht auf den Spitzen von Bajonetten exportieren lasse.

Beispiele erfolgreicher Interventionen gibt es durchaus

Klingt erst mal logisch, aber nicht mehr bei genauer Betrachtung. Denn wenn es so wäre, dürfte es keine Beispiele erfolgreicher Interventionen geben. Die gibt es aber: Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Liberia, Osttimor. Auch wenn in diesen Staaten längst nicht alles gut ist, so haben die Interventionen dort ihr Ziel, nämlich die Stabilisierung, erreicht.

Jüngst haben vier führende deutsche Friedensforschungsinstitute, die jährlich ein Friedensgutachten herausgeben, eine Sonderstellungnahme (PDF) veröffentlicht. Sie benennen sieben Lehren, die eine künftige Bundesregierung aus dem Afghanistan-Debakel ziehen sollte.

  1. eine unabhängige Kommission zur Evaluierung des Einsatzes einsetzen, die nicht den Logiken der Einzelressorts folgt,
  2. den deutschen Beitrag zur Terrorbekämpfung nicht mehr primär militärisch ausrichten, sondern Terroristen juristisch verfolgen und politisch mit Regierungen vor Ort kooperieren,
  3. für künftige Einsätze realistische Ziele formulieren und an die jeweiligen Bedingungen anpassen,
  4. Risiken von Einsätzen benennen und ein mögliches Scheitern einplanen,
  5. die Handlungsfähigkeit der EU stärken, etwa durch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen,
  6. einen Wiederaufbau mit klarer Strategie verfolgen und
  7. frühzeitig eine Exit-Strategie mitzudenken. Allerdings in Etappen, damit Aufständische dies nicht als Ermutigung sehen.

Frauenverbot an der Uni Kabul?

Ein Bericht der New York Times, wonach Frauen künftig von der Universität Kabul ausgeschlossen sind, stützt sich anscheinend auf eine falsche Quelle. Der Artikel über die Befürchtungen afghanischer Frauen, dass sie unter dem Taliban-Regime komplett vom Studium ausgeschlossen werden könnten, berief sich auf die Twitter-Aktivitäten einer Person, die angab, der neu berufene Rektor der Universität von Kabul zu sein. Nun gebe es Zweifel über die Authentizität des Twitter-Accounts, erklärte die Zeitung. In Anbetracht der Entscheidungen der Taliban seit ihrer Machtübernahme Mitte August und ihrer Politik in den 1990er Jahren erschien ein Frauen-Ausschlusses von Universitäten plausibel. Derzeit dürfen Mädchen keine Sekundarschulen besuchen, und unter dem Taliban-Regime vor mehr als 20 Jahren waren Frauen und Mädchen komplett von Bildung ausgeschlossen. epd

    Alles steht und fällt nach den Worten der Forscherinnen und Forscher damit, dass man die Verhältnisse vor Ort kennt und beachtet. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass sie das sagen. In anderem Zusammenhang, nämlich der Entwicklungshilfe, kennt man diese Diskussion schon seit Jahrzehnten.

    Alte Fehler, ständig wiederholt

    Aber in Afghanistan ging es schon wieder daneben. An den Finanzen lag's nicht, sagte Tobias Debiel vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen. Beim Afghanistan-Einsatz habe es an Geld nicht gemangelt, aber das habe Korruption und Klientelismus gefördert. Geduldige Verhandlungen mit lokalen Vertretern wären erfolgversprechender gewesen. Wenn man nicht auf Übersetzer angewiesen sein will, bedeutet das aber, dass man Expertinnen und Experten gebraucht hätte, die Paschtu oder Dari sprechen.

    Immerhin ist Afghanistan nach Einschätzung von Conrad Schetter vom Bonn International Centre for Conflict Studies noch nicht alles den Bach runter. Man könne benachteiligten Gruppen wie Frauen oder der religiösen Minderheit der Hazara immer noch helfen, nämlich über die Hilfsorganisationen, die noch im Land sind. Die wüssten nämlich über die Situation vor Ort in der Regel gut Bescheid und könnten austesten, was unter den Taliban noch möglich ist.

    Unbedingter Pazifismus ist für die Institute keine Option

    Noch etwas an der Sonderstellungnahme lässt aufhorchen. Neben der Stärkung ziviler Mechanismen, empfiehlt sie auch den Ausbau militärischer Fähigkeiten für den Notfall. „Wir haben in Kabul gesehen, dass die EU nicht in der Lage war, den Flughafen dort zu sichern“, kritisierte Ursula Schröder vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

    Soll heißen: Wenn die nächsten sandalentragenden Gotteskrieger oder sonstige Aufständische ankommen, sollte die EU schon in der Lage sein, hart zuzulangen.

    Die Friedensforschungsinstitute

    Herausgeber der Sonderstellungnahme sind das Bonn International Centre for Conflict Studies, das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen. Sie geben seit 1987 jährlich ein gemeinsames Friedensgutachten heraus.

    Derzeit bereite der Mali-Einsatz der Friedensforschung besondere Sorgen, berichtete Schröder: „Mali ist ein Fall, der voraussichtlich scheitern wird.“ Die Parallelen zu Afghanistan seien deutlich. Es fehle in Mali eine glaubwürdige Regierung, und die militärische Intervention bringe keine nachhaltige Sicherheit. Es brauche eine Exit-Option mit Schutz der Ortskräfte und eine andere Strategie, wie mit dem Terror umzugehen sei.

    Höchste Zeit zum Umdenken

    „Das muss eilig auf den Tisch“, sagte Schröder. Höchste Zeit also zum Umdenken und Bessermachen. Natürlich unter genauer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten.

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