Triage - das bedeutet: Haben Kliniken nicht genug Intensivbetten und genug Personal für eine gleichzeitige Behandlung von Covid-19 Patienten, dann entscheidet ein Modell darüber, wer zuerst behandelt wird.
Ein Notfallmodell, das eigentlich aus der Militärmedizin stammt. Vereinfacht gesagt: Sind mehrere Menschen angeschossen, wird zuerst der behandelt, der die besten Überlebenschancen hat. Es ist keine Entscheidung gegen das Leben eines Menschen - aber für das Leben eines Menschen, der es höchstwahrscheinlich schafft, wenn er rechtzeitige Hilfe bekommt.
Ganz so krass ist das Modell, das in unseren Kliniken im Notfall angewendet wird nicht. Ziel ist es immer, so vielen Menschen wie möglich intensivmedizinische Hilfe zukommen zu lassen. Dennoch: Gibt es zwei Patienten aber nur ein Beatmungsgerät, muss entschieden werden. Wie entschieden wird, ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Aber es gibt mittlerweile eine entsprechende Richtlinie für die Kliniken (PDF im Link).
Eine Klinik in Zittau im Landkreis Görlitz musste diese Entscheidung laut einem ARD-Bericht bereits im vergangenen Jahr treffen. Und auch andere Kliniken stehen bei den derzeitigen Infektionszahlen von über 45.000 Fällen pro Tag am Rand ihrer Kapazitäten. Erste, derzeit durchgeführte Booster-Impfungen, können daran nichts ändern, wenn die Zahlen weiter so hoch bleiben.
Die Ratio sagt: Natürlich müssen solche Modelle angewendet werden. Aber kann man per Modell über Menschenleben entscheiden? Ist das ethisch vertretbar?
Es bleibt eine unauflösbare Tragik bei der Triage
Kurt W. Schmidt
Der Theologe Kurt W. Schmidt, Pfarrer und Studienleiter für den Bereich Medizin & Ethik an der Evangelischen Akademie Frankfurt, sagte uns dazu: „In einem solchen Katastrophenfall, bei dem nicht alle gerettet werden können, handelt es sich um ein echtes Dilemma – und Dilemmata sind grundsätzlich nicht lösbar. Der Rettungsschwimmer, der nur einen Ertrinkenden retten kann und den anderen zurücklassen und sterben lassen muss, da bleibt eine unauflösbare Tragik zurück.“
Für denjenigen, der nicht gerettet werden kann und seine Angehörigen, kommt die Entscheidung möglicherweise einem Todesurteil gleich. Ein Todesurteil, gefällt in einer Ausnahmesituation, die an keinem der Beteiligten spurlos vorbeigeht.
Aus der Perspektive des Arztes hieße das, er müsse bereit sein „schuldig“ zu werden. „Wir bleiben dem Menschen, den wir nicht haben retten können, weil wir einen anderen gerettet haben, etwas schuldig“, sagt Schmidt. Dabei gehe es aber nicht um persönliche Schuld und es habe nichts mit einer falschen Entscheidung zu tun, da es hier auch kein „richtig“ gebe. Es gehe vielmehr um Schuld in einem tiefen existenziellen, theologischen Sinn.
Für das konkrete Handeln in der Klinik kann das aber auch durchaus Vorteile haben - und damit auch für die Patienten: Klare Vorgaben schaffen eine gewisse Chancengleicheit für Erkrankte. Niemand kann aus irgendwelchen Gründen bevorzugt werden. Zum Beispiel, weil er privatversichert ist, besonders viel Geld hat oder irgendwelche behandelnden Ärzte kennt. So zumindest die Annahme: Was entscheidet ist das Modell für die Notsituation.
Doch ethische Richtlinien, philosopisch-theologische Gedankenspiele und rationale Argumente werden am Ende eins doch niemals können: Die Trauer, den Schmerz und die empfundene Schuld über den Verlust eines geliebten Menschen rechtfertigen oder gar heilen. Genau das ist Teil des von Schmidt beschriebenen Dilemmas.