von Corinna Willführ.
Nach den von meist jüngeren Parteimitgliedern erhobenen Vorwürfen sexualisierter Belästigungen in der Partei „Die Linke“ hat der Vorstand des hessischen Landesverbands der Partei ein Team von drei Vertrauensleuten benannt. An dieses sollen sich Betroffene von mutmaßlichen Übergriffen ab sofort wenden können. Neben der Sozialpsychologin Julia Schnepf aus dem Kreis Bergstraße und der Marburger Juristin Godela Linde gehört dem Trio Martin Schindel an, Pfarrer der Kirchengemeinde Ortenberg.
Herr Schindel, Sie sind vom Landesvorstand der hessischen Partei „Die Linke“ zum Vertrauensmann gewählt worden. Wie kam es dazu?
Martin Schindel: Die Landesvorsitzende der Linken, Petra Heimer, rief mich nach einem Mail-Kontakt an und fragte, ob ich im Auftrag des Landesvorstandes der Partei die Aufgabe eines Vertrauensmannes wahrnehmen würde.
Unsäglich, wenn junge Leute sich gegen Machos zur Wehr setzen müssen.
Warum haben Sie zugesagt?
Martin Schindel: Wenn ich politisch engagierten Menschen dazu helfen kann, dass sie sich wieder gerne engagieren und gegen sexistische Machtstrukturen zur Wehr setzen, habe ich Sinnvolles getan. Ich habe in der Presse die Beiträge über die Vorwürfe sexualisierter Gewalt in der Partei wahrgenommen und mich gefragt, was ich tun kann, um zu helfen.
Martin Schindel: Ich bin nicht Mitglied der Partei „Die Linke“ und habe auch nicht vor, das zu werden. Ich halte es aber für unsäglich, wenn junge Frauen und Männer, die sich für eine Veränderung der Gesellschaft zum Besseren einsetzen, sich gegen unangemessenes oder gewalttätiges Verhalten von Machos zur Wehr setzen müssen. Solches Verhalten und solche Strukturen müssen überall – in der Politik, in der Kirche, in der Gesellschaft – benannt und abgestellt werden.
Wie stehen Ihre Dienstherren dazu?
Martin Schindel: Ehrenämter müssen in unserer Kirche normalerweise nicht angezeigt werden, genehmigungspflichtig sind sie in keinem Fall. Ich habe dennoch den stellvertretenden Dekan unseres Dekanats Büdinger Land, Wolfgang Keller, vorab informiert.
Worin sehen Sie die vordinglichste Aufgabe des Vertrauensleute-Teams? Welchen Part sehen Sie für sich?
Martin Schindel: Unsere wichtigste Aufgabe wird es sein, Betroffenen Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen. In welcher Art und Weise das geschehen kann, richtet sich nach dem Einzelfall. Wir sind uns einig, dass unser Fokus auf der Beratung und Hilfe für Betroffene liegt, wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot. Mir ist besonders wichtig, dass ich als Pfarrer eine unbedingte Schweigepflicht habe: Allein die Betroffenen entscheiden darüber, was getan wird und was nicht.
Meiner Erfahrung nach ist das manchen Betroffenen von sexualisierter Gewalt besonders wichtig: Sie möchten die Herrschaft über ein Verfahren nicht an Polizei oder andere Institutionen abgeben, sondern über jeden Schritt selbst entscheiden. Aber es gibt noch eine weitere Aufgabe, der wir uns stellen möchten: Es sollen institutionelle und organisatorische Veränderungen in der Partei „Die Linke“ getroffen werden, damit solche Vorfälle wie die aktuell kolportierten sich nicht wiederholen können.
Während meiner Zeit als Stadtjugendpfarrer in Gießen habe ich viel Zeit und Energie dafür aufgewandt, dass wir ein Präventions- und Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt für die Evangelische Jugend erarbeitet und implementiert haben. So etwas ist, wenn man es konsequent umsetzen möchte, ziemlich kompliziert, und bedarf enormer Überzeugungsarbeit. Und benötigt, ganz nebenbei, auch Geld, und zwar dauerhaft.
Sie sind Pfarrer, eine Nähe zu Glauben und Gott ist nicht unbedingt unter Parteimitgliedern der „Linken“, also auch von den Betroffenen auf dem Hintergrund eines atheistischen Weltverständnisses, zu erwarten. Ist da ein Seelsorger überhaupt ein geeigneter Ansprechpartner?
Martin Schindel: Es gibt seit 1990 eine „Arbeitsgemeinschaft ChristInnen bei der Partei ‚Die Linke‘“ – in der Partei sind, so wie ich es wahrnehme, eine ganze Reihe von Christinnen und Christen und auch von Pfarrerinnen und Pfarrern engagiert. Aber für mich als Seelsorger ist es erst einmal völlig egal, ob ein Mensch, der ein Gespräch mit mir wünscht, meinen Glauben teilt oder nicht. In einer seelsorglichen Situation geht es ausschließlich um mein Gegenüber.
Ich habe während der letzten 26 Jahre im Pfarramt gelernt, dass Menschen sich ihre Seelsorgerinnen oder Gesprächspartner sehr genau aussuchen. Sie informieren sich oft ziemlich umfassend über die Person, die sie letztlich ansprechen. Es ist also ihre Entscheidung, ob sie mit mir sprechen möchten oder mit einer der beiden Kolleginnen, die beide ein ganz anderes Profil haben als ich. Wir ergänzen uns da, zu dritt, ziemlich gut, finde ich.