Bestattungskultur

Hinter den Kulissen des größten Krematoriums Deutschlands

Sarg vor der Einäscherungsanlage, links daneben Brennt eine Flamme, die Öffnung der Anlage ist mit Ornamenten verziert
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Das Rhein-Taunus-Krematorium in Dachsenhausen ist eins der größten und modernsten Krematorien Europas.

Zwölf Särge stehen vor den Einäscherungskammern des Rhein-Taunus-Krema­toriums bei Dachsenhausen in der Nähe von Koblenz. Das Krematorium liegt mitten im Wald, zwischen Rhein, Dachsenhausen und Braubach.

In den nächsten Stunden werden die Verstorbenen in den Holzsärgen eingeäschert, ihre Überreste werden das Krematorium in einer Urne verlassen. Ein Prozess, von dem die Angehörigen in der Regel nichts mitbekommen. In den meisten Fällen holt ein Bestatter den Verstorbenen ab und bringt die Urne später zur Beerdigung mit.

Krematorium auf ehemaligem Bundeswehr-Gelände

35.000 Einäscherungen pro Jahr

  • das Rhein-­Taunus-Krematorium hat acht Einäscherungsanlagen 
  • damit ist es eines der größten in Europa
  • cira 35.000 Einäscherungen finden dort pro Jahr statt

Was im Rhein-Taunus-Krematorium mit den Verstorbenen passiert, weiß Judith Könsgen. Sie ist Mitglied der Geschäftsführung und half schon als Jugendliche im Familienbetrieb mit. Ihr Vater Karl-Heinz Könsgen hat das Krematorium in den 1990er Jahren mitfinanziert und aufgebaut.

Die Idee dazu hatte der damalige Bürgermeister der ­Verbandsgemeinde Braubach, Hans-Dieter ­Ilgner. Er suchte damals eine neue Verwendung für ein 44 Hektar großes Gelände, das die Bundeswehr damals aufgab.

Verstorbene kommen Tag und Nacht

Die Einfahrt des Krematoriums ist Tag und Nacht geöffnet, damit die Bestatter die Verstorbenen jederzeit hierher bringen können“, erklärt Judith Könsgen. Gleich bei der Ankunft ­kommen die Särge auf die Waage, denn je nach Gewicht der Verstorbenen wird eine andere Anlage für die Einäscherung benötigt. Das Krematorium ist eins der wenigen in Deutschland, in der Verstorbene mit einem Gewicht von bis zu 500 Kilogramm eingeäschert werden können.

junge Frau mit schulterlangen braunen Haaren mit schwarzer Bluse und weißer Jacke neben einer Filteranlage im Krematorium
Aaron Kniese
Judith Könsgen im Krematorium

Nach dem Wiegen geben die Bestatter alle ­notwendigen Unterlagen zu den Verstorbenen, wie beispielsweise die Totenbescheinigung, im Krematorium ab, bevor die Särge in eine Kühlkammer kommen. Hier muss ein Amtsarzt eine zweite Leichenschau vornehmen, bevor die ­Verstorbenen eingeäschert werden dürfen.

Angehörige bei der Einäscherung dabei

Einen „Dresscode“ für die Verstorbenen gibt es nicht. „Verstorbene können bei der Kremierung eigentlich alles tragen, es muss aber für die Einäscherung geeignet sein. Lederjacken zum Beispiel können nicht eingeäschert werden, denn Leder brennt nicht“, sagt Judith Könsgen. Angehörige legten häufiger auch Kuscheltiere, Briefe oder Bücher in den Sarg. ­Solange es brennbare Materialien sind, werden diese Beigaben mit eingeäschert.

Zwei der acht Anlagen sind an eine Trauerhalle angebunden. „So können Angehörige bei der Einäscherung ­dabei sein und Abschied nehmen“, erklärt Judith Könsgen. Vor den zwei Anlagen befinden sich hüfthohe Stahlsäulen mit einem Knopf in der ­Mitte. Damit können die Angehörigen die Ein­äscherung selbst starten – eine der Dienstleistungen des Krematoriums.

So funktioniert die Einäscherung

Ein Sarg wird in die Einäscherungsanlage eingefahren
Aaron Kniese
Ein Sarg wird in die Einäscherungsanlage eingefahren

Die Kammern im Inneren der Anlage sind mit feuerfesten Schamottsteinen ausgestattet. ­Diese speichern die Hitze und geben sie an ihre Umgebung ab. „Bei einer Einäscherung verbrennen die Verstorbenen nicht, die Körper entzünden sich durch die hohen Temperaturen von circa 800 Grad Celsius selbst“, beschreibt Könsgen. Zuerst entzünde sich das Holz des Sarges,  ­anschließend verdampfe das Wasser im Körper und schließlich werde das restliche organische Material ­umgesetzt. ­

Zurück bleiben Knochen und gegebenenfalls Metallgelenke, Implantate oder Zahnprothesen der Verstorbenen. An die eigentliche Einäscherungsanlage sind mehrere große Filtermaschinen angeschlossen, die das Rauchgas reinigen, das bei dem Prozess entsteht.

Was umgangssprachlich oft als „Asche“ ­bezeichnet wird, ist eigentlich der Kalkstaub der zerkleinerten ­Knochen. Dieser kommt ohne die zuvor aussortierten  Metallteile in die Urne.

Feuerbestattungen im Christentum

Wie willst du bestattet werden?

Gedanken über die eigene Beisetzung

Urnengrab, Erdbestattung oder etwas ausgefallenes: Wie möchtest du einmal beigesetzt werden?

Über alternative Bestattungen haben wir auch schon einmal geschrieben.

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Feuerbestattungen waren im Christentum lange Zeit nicht erlaubt, da der Körper eine Rückwandlung erfahren sollte. Das hat sich im ­vergangenen Jahrhundert geändert. In den 1920er Jahren akzeptierte die evangelische ­Kirche die Feuerbestattung. „Die ersten Krema­torien in Deutschland wurden Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, in Gotha und ­Heidelberg“, sagt Carmen Berger-Zell vom ­Zentrum Seelsorge und Beratung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). „Belegt ist, dass erst in der Zeit der Weimarer Republik die Zahlen der Feuerbestattungen ­zugenommen haben.“

Feuerbestattungen sind vor allem in den ­vergangenen 20 Jahren in Deutschland immer ­beliebter geworden. Laut der Gütegemeinschaft Feuerbestattungsanlagen waren 2022 insgesamt 78 Prozent der Bestattungen in Deutschland Urnenbestattungen. Zehn Jahre zuvor waren es 64 ProzentLaut EKHN-Statistik gab es 2022 insgesamt 20.245 Beisetzungen innerhalb der Landeskirche. Bei durchschnittlich 78 Prozent Kremierungen wären es rund 15.800 Urnenbestattungen gewesen. Die Verstorbenen wurden unter anderem auch in Dachsenhausen eingeäschert.

„Die Gründe für eine Einäscherung sind ­vielfältig“, erklärt Carmen Berger-Zell. „Eine ­Urnenbestattung ist preiswerter als eine Erdbestattung, ­außerdem ist der Aufwand für die Grabpflege geringer.“ Urnen könnten auch in sogenannten pflegelosen Gräbern beigesetzt werden.

Feuerbestattungen werden immer beliebter

Knochenteile in einer Metall-Wanne
Aaron Kniese
Nach der Kremierung bleibt nur der Kalk der Knochen übrig.

Judith Könsgen sieht ähnliche Gründe für die Beliebtheit der Feuerbestattungen. „Die Bestattungsrituale haben sich in den letzten 20 Jahren stark verändert, auch weil es immer weniger ­Einfluss der ­Kirchen gibt.“ Es gibt mehr Freiheiten, was die Form der ­Beisetzung angeht: beispielsweise Seebestattungen oder auch eine Beisetzung im Friedwald. ­Einerseits habe diese Entwicklung gute Aspekte, weg von einem starren Korsett und Zwang, ­andererseits ­gäbe es viele Menschen, denen die Orientierung fehle und die nach dem Wegfall von Ritualen nicht gut mit ihrer Trauer umgehen könnten, ordnet Judith Könsgen ein.

Auf dem 60 Fußballfelder großen Gelände bietet das Krematorium auch selbst verschiedene Optionen für eine Beisetzung an: klassische Urnengräber, gemeinsame Gräber für Menschen und Haustiere, anonyme Grabfelder oder auch einen „Raum der Stille“, in dem Urnen für bis zu einem Jahr lang aufbewahrt werden können.

Den letzten Lebensabschnitt verbringen viele Menschen im Alten- oder Pflegeheim, in einem Hospiz oder sie sterben in einem Krankenhaus. Wenn Bestatter sie dort abholen, müssen die ­Angehörige nicht dabei sein. Auch Beisetzungen können heute „in aller Stille“, also ohne eine Trauergemeinschaft stattfinden. Wer nicht will, muss sich mit dem Sterben nicht auseinandersetzen. Dabei ist der Tod das einzige, dass seit der ­Geburt feststeht, meint die Geschäftsführerin des Krematoriums.

Mehr Nachfrage nach pflegefreien Gräbern

„Die Gesellschaft ist mobiler geworden, die Nachfrage nach pflegefreien Gräbern ist gestiegen“, sagt Judith Könsgen. „Angehörige wohnen weiter weg und können sich selbst nicht mehr um ein Grab ­kümmern.“

Die Leitung des Krematoriums bietet regelmäßig Führungen durch die Anlage an. Wer will, kann das Innenleben aber auch über Google Streetview erkunden. Das Ziel des Angebots sei es, so Judith ­Könsgen, den Tod in der Gesellschaft wieder ­präsenter zu machen. Sterben und Trauer sollten keine Tabu-Themen sein, findet sie.