Ausstellung in Frankfurt

Frauen mit Glatze: Ihr seid toll!

Rahel Welsen indeon Thumb
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Mit 30 fallen Rahel ihre Haare aus. Die Diagnose: Alopecia Areata – kreisrunder Haarausfall. Damals ein Schock. Heute nicht mehr.

Promi-Frauen mit Alopecia

  • Jada Pinkett Smith (spätestens seit dem Ohrfeigen-Eklat ihres Mannes Will Smith bei der Oscar-Verleihung 2022 weiß das wahrscheinlich jede:r)
  • Tyra Banks (Model)
  • Jeana Turner (Model)
  • Viola Davis (Schauspielerin)
  • Jesy Nelson (Sängerin)

Konzentriert beugt sich Rahel Welsen über den Spiegel. Pudert sich, zieht den Kajal-Strich nach: „Ich will ja nicht glänzen wie eine Speckschwarte“. Die Fotografin achtet auf ihr Aussehen. Auch wenn sie keine Haare hat. Oder gerade deshalb.

Alopecia areata mit 34 Jahren

Eine Weile hat es gedauert, bis sich die 44-Jährige an ihre Glatze gewöhnt hat. Angefangen hat alles 2012, wie die gebürtige Freiburgerin in ihrem angemieteten Atelier in einem Darmstädter Hinterhof erzählt. „Das war ein längerer Prozess. Ich hatte immer wieder kahle Stellen am Hinterkopf“. Ihre Friseurin sagte damals: „Das wächst wieder nach!“ Doch nichts tat sich. Im Gegenteil: Die Löcher wurden größer. Rahel versteckte ihre wenigen Haare unter Mützen.

Auch die Ärzte konnten ihr kaum helfen. Die Diagnose: Alopecia Areata – kreisrunder Haarausfall – war zwar schnell gemacht, die Therapievorschläge waren ernüchternd. Behandlungen, wie zum Beispiel mit Kortison, waren für Rahel keine Option. Zu riskant die Nebenwirkungen: „Ich wollte meinem Körper nicht mit Chemie vollpumpen“, sagt die sportliche Frau

Ich hatte immer wieder kahle Stellen am Hinterkopf

Immunsystem stößt Haarwurzel ab

Alopecia Areata ist eine Autoimmunerkrankung, die mit rundlichen, haarlosen Stellen an der Kopfhaut beginnt. Das Immunsystem stößt die eigenen Haarwurzeln ab. Manchmal fallen auch Augenbrauen und Wimpern aus, bei Männern die Barthaare.

Alopecia Areata

Alopecia Areata (Kreisrunder Haarausfall) ist eine Haarerkrankung, die typischerweise mit einer oder mehreren rundlichen, haarlosen Stellen im Bereich der Kopfhaut beginnt. Ursache ist ein Autoimmungeschehen: Das körpereigene Immunsystem richtet sich gegen Bestandteile der Haarwurzeln, das diese irrtümlicherweise als fremd erkennt. Die Haare fallen in Folge einer sich um die Haarwurzel herum abspielenden Entzündungsreaktion aus. 

Quelle: Universitätsklinikum Würzburg

1,5 Millionen Menschen in Deutschland betroffen

Laut des Vereins „Alopecia Areata Deutschland“ sind mehr als 1,5 Millionen Menschen der Bevölkerung hierzulande betroffen. Häufig tritt die Erkrankung erstmals bei jungen Menschen in Erscheinung. Betroffen sind Männer und Frauen. Die genauen Ursachen sind nicht bekannt. Bei 20 Prozent der Patienten ist mindestens eine andere Person in der Familie ebenfalls betroffen.

Erst nach monatelangem „Versteckspiel“, wie Rahel es selbst bezeichnet, griff die Künstlerin zum Rasierer: „Ich stand abends vorm Spiegel und hab mein Gesicht mit einem Tuch gewaschen. Dabei ist ein Viertel von der Augenbraue einfach weggewesen“, erinnert sich die Frau, hält kurz inne und schüttelt fassungslos den Kopf: „Da hab ich gedacht: Ok, jetzt ist Feierabend. Jetzt muss ich was machen, sonst bring ich mich um.“  

Ich warne die Leute vor, dass ich keine Haare habe.

Keine Perücke für Rahel

Kaum waren die Haarreste ab, fühlte Rahel sich befreit, wie sie sagt. Jetzt war es offensichtlich für alle: Rahel hat keine Haare mehr. Sollen die Leute doch gucken, hat sie sich gedacht. Bis heute hadert die Designerin manchmal mit dem Moment, in dem sie im Winter ihre Mütze auszieht: „Ich warne die Leute dann vor, dass ich keine Haare habe.“ Eine Perücke war für Rahel keine Option. Viel zu lästig, wie sie sagt.  

Viele denken bei einer Glatze an Krebs

Anders als bei einer Chemotherapie wachsen die Haare beim kreisrunden Haarausfall in aller Regel nicht nach. Viele Menschen denken bei einer Frau mit Glatze sofort an eine Krebserkrankung, wie Rahel berichtet: „Einmal kam eine fremde Frau im Café auf mich zu und fragte: Geht’s Ihnen gut? Als ich ihr dann von meiner Diagnose erzählt hatte, sagte sie: Achso, dann ist ja gut. Ich dachte schon, Sie haben Krebs.“

Ausstellung „GLATZE ZEIGEN“

Geholfen hat Rahel die künstlerische Aufarbeitung des Themas. Vor einigen Jahren begann sie, Frauen zu porträtieren, die auch am kreisrunden Haarausfall leiden und Glatze tragen. Bis in die Schweiz ist sie für einige Gespräche und Fotos gefahren.

Das Ergebnis des Projekts zeigt die „Unwort des Jahres“-Fotografin Ende März in einer Ausstellung im Haus am Dom in Frankfurt. Dort lernen die Besucherinnen und Besucher Frauen wie die 34-jährige Linda aus Berlin kennen, die seit ihrem 18. Lebensjahr an Haarausfall leidet.

Kandidatin mit Glatze bei Germanys next Topmodel

Gleichzeitig gibt es inzwischen immer wieder Frauen, die sich bewusst für eine Glatze entscheiden. „Diversity“ heißt der Trend etwa in der Modelwelt. So schaffte es die Einzelhandelskauffrau Julia F. aus Schweinfurt 2020 bei der Casting-Show „Germanys next Topmodel“ unter die besten Kandidatinnen.

Auch das  internationale Topmodel Jeana Turner zeigt der Welt stolz ihre Glatze. Unter Hashtags wie #glatzengirl oder #baldisthenewsexy präsentieren sich Frauen auf Instagram. Auf auf der Bilder-Plattform „Pinterest“ finden Userinnen Tipps fürs Glatze-Styling.

„Lockdown-Glatze“

Einige Frauen entschieden sich während der Corona-Pandemie für die „Lockdown-Glatze“. Eine von ihnen war die Juso-Politikerin Hanna Rerichhadt. Weil damals alle Friseure geschlossen hatten, schien ihr eine Glatze die praktikabelste Lösung. Was auf ihren Twitter-Post folgte, waren viele Likes, aber auch Häme und Hass, besonders von Männern.

Lange Haare als Schönheitsideal

Lange Haare bei Frauen gelten nach wie vor als Schönheitsideal. In den großen monotheistischen Religionen gilt das Frauenhaar als Symbol weiblicher Sexualität, wie der Religionswissenschaftler und Haar-Experte Gerhard Staguhn in seinem Buch „Und ewig lockt das Haar“ schreibt. Noch heute verbergen etwa verheiratete ultraorthodoxe Frauen im Judentum aus Gründen der Sittsamkeit ihre Haare unter einer Perücke.

Hilfe bei Alopecia

Der Verein Alopecia Areata Deutschland setzt sich aus ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen, die zwischen Betroffenen und Selbsthilfe­gruppen, Ärzten, Krankenkassen und Perückenfirmen vermitteln.

Rahel steht zur ihrer Glatze. Ganz egal sei es ihr aber bis heute nicht, was andere von ihr denken. Manchmal habe sie das Gefühl, dass Menschen auf der Straße über sie reden könnten. Wieder lange Haare zu haben, kann sich Rahel aber nicht mehr vorstellen, sagt sie, als sie sich alte Fotos von sich ansieht: Damals hatte sie schulterlanges, leicht lockiges, dunkelbraunes Haar.

Trendfrisur „Buzzcut“

Ihr Wunsch wäre ein sogenannter „Buzccut“ – ganz kurz geschorene Haare. „Mit einem Augenzwinkern stellt der radikale Look gängige Schönheitsideale in Frage – und ist deshalb beliebter denn je“, heißt es über den Frisurentrend auf der Internetseite der Haarkosmetikmarke „Schwarzkopf“.

Es sind nur Haare!

Vor einiger Zeit hat Rahel sich doch zu einer „Schwermetallausleitung“ durchgerungen. Dabei wird dem Körper geholfen, Schwermetalle schneller auszuscheiden. Ein wenig habe die Behandlung geholfen, sagt Rahel. Ihre Augenbrauen und Wimpern sind inzwischen wieder komplett da. Das könnte allerdings auch an ihrem seelischen Zustand liegen. Rahel lebte lange Zeit in einer schweren Beziehung. Heute hat sie einen neuen Freund, ist glücklich.

„Bei einer Glatze liegt der Fokus auf dem Gesicht“

Nur ungern spricht Rahel bei ihrem Haarverlust von einer Krankheit, nennt es lieber „Phänomen“. „Es sind nur Haare“, betont die Designerin und zuckt mit den Achseln. Beim Durchstöbern der Portraits für die Ausstellung auf ihrem Laptop tippt sie auf eines der Bilder: „Bei einer Glatze liegt der Fokus vielmehr auf dem Gesicht.“ Die 20-jährige Julie mit kahlem Kopf lächelt mit ihren großen, grünen Augen in die Kamera.

Ulrike macht ihren Kopf zum Kunstwerk

Ulrike mit Glatze und Tattoos
privat
Ulrike hatte die Nase voll von ihrem Haarausfall und rasierte sich eine Glatze.

Ulrike: Ich habe lange unter diffusem Haarausfall gelitten und alles Mögliche ausprobiert an Mittelchen bis hin zu Cortison. Ich habe so gut es ging versucht zu kaschieren, es war eine Quälerei.

Bis ich eines Tages genug hatte und zum Rasierer griff und die Reste entfernte. Es war ein befreiendes Gefühl. Zunächst trug ich Perücke, gerade auf der Arbeit, gerade dort war es auch sehr lästig. Ich bin Altenpflegerin. Mir kam meine Glatze zu nackig vor, verstärkt wurde das Gefühl dadurch ,dass man als Frau ohne Haare immer als krank gesehen wird.

Mein Mann sagte eines Tages weil ich Tattoos mag und auch welche habe: "Lass dir doch eine schöne Tätowierung machen!" Gesagt, getan. In 4x4 Stunden entstand mein neuer Kopfschmuck. Nun brauche ich nur noch gegebenenfalls bei Zugluft ein Bandana. Dennoch, da es erst seit einem Jahr fertig ist, bin ich immer noch in der Eingewöhnungsphase.
 

Gabriele berichtet uns von Beschimpfungen

Gaby trägt eine Perücke
privat
Gabriele geht nicht ohne Perücke aus dem Haus. Zu groß die Angst vor blöden Blicken oder Kommentaren.

Die Nachricht von Gabriele hat uns traurig und wütend zugleich gemacht. Gabriele bewundert Rahel für ihren Mut, sich die Haare abrasiert zu haben. Über ihre Erfahrungen schreibt sie:

Gabriele: Ich könnte das nicht. Ich habe seit meinem 6. Lebensjahr keine Haare mehr. Wurde so sehr beschimpft und ausgelacht, dass ich mir heute mit 54 auf keine Art und Weise vorstellen könnte ohne Perücke zu gehen. Nie und nimmer. Erst vor kurzen hat eine ehemalige Arbeitskollegin mich wieder als "Glatzenpepi" beschimpft. 

Als Kind wurde ich ausgelacht.

Ich hatte immer Angst, dass es meine Kinder auch mal haben könnten. Aber nein - zum Glück nicht und mein Enkelkind auch nicht. Ich bin so stark im Leben nur bei dieser Sache leider nicht.

Hast auch du Haarausfall?

Hast du auch mit Haarausfall zu tun? Vielleicht sogar mit Alopecia areata? Wie gehst du damit um? Erzähl uns davonSchreibe eine E-Mail oder melde dich über unsere Social-Media-Kanäle auf:

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