Orte des Gedenkens im öffentlichen Raum sind immer auch Orte von Kontroverse. Nahe der Europäischen Zentralbank (EZB) auf dem Philipp-Holzmann-Weg treffen sich regelmäßig Menschen, die zu lateinamerikanischen Klängen tanzen. Sie legen dort die flotte Sohle auf historischen Beton.
Sie alle hat die Nachricht nicht erreicht, dass die Organisatoren bis auf weiteres die Tanzveranstaltungen auf dem Erinnerungsort für deportierte Frankfurter Jüdinnen und Juden nahe der ehemaligen Großmarkthalle aussetzen wird. In einem Gespräch mit dem Kulturdezernat, das den Kontakt und das Gespräch suchte, sicherten die Organisatoren zu „bis auf weiteres nicht mehr zu Tanzveranstaltungen auf dem Gelände der Erinnerungsstätte einzuladen.“ Dies bestätigt die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft, Ina Hartwig.
Sie kann sich keinen besseren Ort vorstellen und vermutet hinter der aktuelle Debatte mehr: „Wir tanzen jetzt schon so lange hier. Ausgerechnet jetzt, wo die Maßnahmen gegen Corona wieder anziehen, sollen wir von hier verjagt werden. Und dann wird die Gedenkstätten-Karte gezückt.“ Ihre Mitstreiterinnen stimmen ihr zu. „Wir bewegen uns im öffentlichen Raum, der nicht offensichtlich als Gedenkstätte erkennbar ist.“
Tanzen ist Integration und Lebensbejahung
Theresa Gehring vom Jüdischen Museum Frankfurt kann den Unmut der Tänzerinnen und Tänzer durchaus verstehen. Dennoch: „Als die Gedenk- und Erinnerungsstätte an und in der ehemaligen Großmarkthalle geplant und umgesetzt wurde, war es konkrete Absicht, den Teil im öffentlichen Raum dezent und unaufdringlich zu gestalten.“
Das bedeute allerdings nicht, diesem Ort ohne Respekt und Würde begegnen zu können. „Ganz im Gegenteil soll er Teil des Alltags und Teil unserer Erinnerungskultur sein“, sagt Gehring.
Klar war auch, so Gehring, dass Kontroversen, so wie das aktuelle Beispiel, nicht ausbleiben werden. Exemplarisch hierfür steht das Berliner Holocaust-Mahnmal. Auf und um die 2.711 Stelen wird Yoga praktiziert, Selfies geschossen, Fangen gespielt.
„Diese Situationen schaffen aber auch Dialog. In Berlin und jetzt auch in Frankfurt. Wir stellen dabei immer die Frage, wie wir erinnern wollen. Und das ist gut so“, findet Gehring
Sie hat die Veranstalter der Latin-Tanz-Abende am Hafenpark an das Kulturdezernat vermittelt. Stadträtin Hartwig lädt zu einem Runden Tisch. Gemeinsam mit anderen beteiligten Ämtern und den Initiatoren des Freilufttanzens soll ein alternativer Ort im Stadtgebiet gefunden werden.
Hartwig stellt klar, dass der bisherige Ort nicht zur Debatte steht: „Tanzveranstaltungen, wie sie in den letzten Wochen auf dem Gelände der Erinnerungsstätte stattgefunden haben, sind mit der Würde des Ortes nicht vereinbar, ebenso wenig mit dem Respekt vor den Opfern der ersten Massendeportationen aus Frankfurt, derer hier gedacht wird.“
Sie ergänzt: „Gleichzeitig ist es essentiell, den Menschen in der Stadt die Möglichkeit zu geben, den öffentlichen Raum ohne Konsumverpflichtungen zu nutzen und individuell anzueignen – gerade nach den Einschränkungen, die die Pandemiesituation in den vergangenen Monaten bedeutete.“
Daher sind das Kulturamt, die Organisatoren und beteiligten städtischen Ämter auf der Suche nach geeigneten alternativen Räumen in der Stadtlandschaft. „Wir haben bereits Kontakt zu einem der Organisatoren aufgenommen, der sich für dieses Angebot offen gezeigt hat“, sagt Hartwig.
Am Philipp-Holzmann-Weg verklingen die südamerikanischen Klänge und die Tanzschuhe werden weggepackt. Der Erinnerungsort hält wieder Einzug in alltägliches Treiben. Menschen, die auf dem Weg zum Main an einem Zitat inne halten, um dann in Gedanken weiterzuschlendern.