Documenta fifteen

Antisemitismus und Kunst: Macht es die Documenta richtig?

Renate Haller
Kommentar von Renate Haller

Die „Judensau“ in Wittenberg bleibt, aber auf der Documenta in Kassel wird ein antisemitisches Bild abgehangen? Ist das so in Ordnung?

Antisemitismus auf der „documenta fifteen“, einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen. Und das im Land der Shoa. Die Forderungen, welche der Verantwortlichen zuerst ihren Hut nehmen müssen, überschlagen sich. Es gibt Dringenderes.

Antisemitismus-Vorwürfe schon vor Beginn der Kunstausstellung Documenta

Es ist absurd. Monate vor der Eröffnung der „documenta fifteen“ stand der Vorwurf des Antisemitismus im Raum. Der Grund: Die Einladung von Künstlern, die die Bewegung „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) unterstützen. BDS ruft international zum Boykott Israels auf. Der Deutsche Bundestag stuft die Bewegung als antisemitisch ein.

Documenta-Verantwortliche machen Fehler

Alles falsch, keinerlei Hinweise auf Antisemitismus, hieß es daraufhin mehrfach vonseiten der Documenta und der Politik. Reflexhaft abwiegeln statt genauer hinsehen. Ein schwerer Fehler, wie nun die ganze Welt weiß.

Ein zehn mal zehn Meter großes Plakat wird auf der Documenta in Kassel abgebaut.
Andreas Fischer/epd
Erst abgehängt, dann abgebaut. Das Werk „Peoples Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi wurde wegen antisemitischer Bildinhalte von der „documenta fifteen“ entfernt.

Antisemitische Bildsprache auf der Documenta

Das zehn mal zehn Meter große Bild „Peoples Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi ist abgehängt. Das Wimmelbild zeigt unter anderem einen Mann im Anzug mit haifischartigen Reißzähnen, rot unterlaufenen Augen, Schläfenlocken und SS-Runen am Hut. Ganz klar eine antisemitische Bildsprache.

Sollte man zumindest denken. Aber: Das Bild sei Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt, geschaffen aus den Erfahrungen mit der Militärdiktatur in Indonesien und keinesfalls antisemitisch gemeint, so die Künstler.

Shoa ist Teil der deutschen Geschichte

Nun ist es sicher so, dass die Sensibilität in Deutschland zu Fragen von Antisemitismus eine andere ist als in Indonesien oder anderswo. Die Schoah und das Bewusstsein, dass Deutsche verantwortlich sind für den Tod von rund sechs Millionen Juden, ist unauslöschlicher Teil der deutschen Geschichte.

Künstlerinnen und Künstler, die in diesem Land ausstellen, sollten das wissen, Kunstfreiheit hin oder her. Alles andere würde bedeuten, sie als naiv hinzustellen. Warum die Leitung der Documenta die frühen Vorwürfe nicht zum Anlass genommen hat, genauer hinzuschauen, das ist eine ganz andere Frage.

Sprechen, erklären, zuhören. Das ist dringend notwendig in der Auseinandersetzung mit den Künstlern und Künstlerinnen, die angetreten sind als Stimme des globalen Südens. Was genau wollen sie mit ihrem Werk sagen? Warum trägt ein Mann Schläfenlocken und damit eine religiöse Haartracht, wenn es um Gewalt und Militarismus geht?

Diskussion mit den Künstlern

Portraitbild von dem israelischen Soziologen Natan Sznaider
wikimedia/Pinhas stern
Der Soziologe Natan Sznaider hat die Shoa überlebt. Er ist Professor an der Akademischen Hochschule in Tel Aviv.

Natan Sznaider, Soziologe aus Israel, gehörte vergangene Woche zu denjenigen, die weitergehende Erklärungen der Künstler forderten. Allerdings wünschte er sich die Diskussion zwischen Künstlern und Besuchern der Documenta vor dem Bild.

Sznaider hält es für falsch, dass es abgehängt wurde. Antisemitismus sei ein integraler Bestandteil der Moderne, sagte er laut Evangelischem Pressedienst in Kassel: „Es ist eine Illusion, dass man Antisemitismus aus dem öffentlichen Raum entfernen kann.“

Nicht gewöhnen an antisemitische Schmierereien

Damit hat er insofern recht, als dass wohl immer wieder antisemitische Schmierereien, Äußerungen und Schriften im öffentlichen Raum auftauchen werden. Allerdings muss man sie entfernen, alles andere wäre ein Tabubruch. Zu groß ist die Gefahr, des sich daran Gewöhnens, des Abstumpfens.

Wittenberger Relief „Judensau“ verhöhnt die Juden

4 große Stolpersteine als Mahnmahl in einem Quadrat angeordnet
epd-bild/Norbert Neetz
Mahnmal gegen die mittelalterliche „Judensau“, einem Schmäh- und Spottbild auf die Juden, an der Stadtkirche St. Marien in der Lutherstadt Wittenberg

Das widerspricht auch nicht dem Urteil des Bundesgerichtshofes, die sogenannte „Judensau“ an der Wittenberger Stadtkirche hängen zu lassen. Das Schmährelief verhöhnt die Juden. Nur entstammt es dem Mittelalter, einer Zeit, in der Hass auf Juden weit verbreitet und gesellschaftlich noch nicht geächtet war.

Menschenverachtender Irrweg

Das Bild in Kassel hingegen war möglicherweise ein Versuch, antisemitische Klischees wieder gesellschaftsfähig zu machen. Die Schmähplastik in Wittenberg ist zu sehen als ein Mahnmal für menschenverachtende Irrwege, die zu unsagbarem Leid geführt haben. Daraus sollten nicht nur Deutsche lernen.

Darf Kunst antisemitisch sein?

An der Documenta erhitzen sich die Gemüter: Wie frei darf Kunst sein? Ja, das Werk der indonesischen Künstlergruppe hat die Debatte um Antisemitismus in der Kunst befeuert. Aber wir wollen weiter denken: Was denkst du: Was darf Kunst? Schreib uns seine Meinung gerne über unsere Social-Media-Kanäle: 

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