Gehörlose

10 Fragen an eine Dolmetscherin für Gebärdensprache

Gebärdendolmetscherin und Coda Hannah Häberle macht die „I-love-you“-Geste. Die stammt eigentlich aus der amerikanischen Gebärdensprache, hat sich aber wohl international verbreitet und wird von tauben Menschen gerne als Emoji unter Beiträge, die ihnen gefallen, kommentiert. Im Deutschen bedeutet es eher „Ich mag dich/das“.
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Hannah Häberle ist Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache und erklärt, wie die dreidimensionale Sprache funktioniert.

Hannah Häberle schlägt Brücken: Zwischen der Welt der hörenden und der der gehörlosen Menschen. Als Gebärdendolmetscherin hat sie ihren Sprachwortschatz um eine Dimension erweitert. 

Warum und wie wird man Dolmetscherin für Deutsche Gebärdensprache (DGS)?

Hannah Häberle: Oft geht mit dem Wunsch, Dolmetscherin zu werden, eine tiefe Faszination für die Gebärdensprache und die Gehörlosenkultur einher. Viele Dolmetscher haben den Wunsch, zu einer inklusiven Gesellschaft beizutragen und die Teilhabe aller zu ermöglichen.

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Der beste Weg, um diesen Beruf zu erlernen, ist ein entsprechendes Studium.

Warum sind Sie DGS-Dolmetscherin geworden?

Hannah Häberle: Bei mir ist es so, dass die Deutsche Gebärdensprache meine Muttersprache ist. Ich bin in einer Familie mit gehörlosen Eltern aufgewachsen und ich könnte mir daher einen Alltag ohne die Gebärdensprache nicht vorstellen.

Da ich mein allgemeines Interesse an Sprachen mit einem abwechslungsreichen Tätigkeitsfeld verbinden wollte, habe ich mich für den Beruf der Dolmetscherin entschieden.

Muss man DGS wie andere Sprachen kontinuierlich trainieren?

Hannah Häberle: Die DGS ist eine vollwertige Sprache mit eigenständigem Vokabular und grammatikalischen Regeln. Wie bei allen Sprachen gilt es, dranzubleiben. Außerdem entwickelt sich die DGS wie andere Sprachen weiter – es gibt also immer neue Begriffe und Redewendungen zu entdecken.

Worin unterscheiden sich Deutsche Schriftsprache und DGS?

Hannah Häberle: Der offensichtlichste Unterschied liegt darin, dass die DGS eine visuelle Sprache ist – sie funktioniert in 3D. Grammatikalische Strukturen werden beispielsweise im dreidimensionalen Raum verankert.

Dazu kommt noch der Einsatz von Mimik.

Ganz besonders mag ich an der Gebärdensprache, dass Dinge teilweise viel kompakter ausgedrückt werden können, aber keineswegs an Komplexität verlieren. Spannend wird es auch, wenn es an Kunstformen wie Poesie geht. In der Gebärdensprache gibt es sogar eine ganz eigene Art, zu erzählen, die nur wenige perfekt beherrschen und die nicht eins zu eins in Lautsprache übersetzt werden kann.

So finanzieren sich Gebärdensprach-Dolmetscher*innen

Wer bezahlt einen eigentlich als Gebärdensprach-Dolmetscherin?

Hannah Häberle: Das kommt ganz auf den Auftraggeber an.

Ein paar Beispiele: Besuche beim Arzt zahlt die Krankenkasse, das Integrationsamt übernimmt die Kosten für viele Einsätze im Berufsleben wie beispielsweise Mitarbeitergespräche oder Teamrunden, und für Veranstaltungen oder Projekte im Kulturbereich gibt es manchmal Gelder von Stiftungen oder Vereinen.

Leider sind wir heute noch nicht so weit, dass Gehörlosen immer selbstverständlich ein Dolmetscher ermöglicht wird, vor allem im Privaten. Ein Besuch bei einem Vortrag oder eine Beratung beim Frisör sind beispielsweise Situationen, von denen Gehörlose ausgeschlossen sind, sofern sie nicht aus eigener Tasche Dolmetscher bezahlen möchten oder die Situationen mit Mühe selber meistern.

Was macht Ihnen an Ihrer Arbeit als Dolmetscherin Freude?

Hannah Häberle: Dass ich täglich mit unterschiedlichen Menschen und in vielfältigen Settings arbeiten kann. Diese Vielfalt ermöglicht es mir, neue Perspektiven kennenzulernen.

Außerdem kann ich Wissen aus verschiedenen Bereichen erwerben, was meine Arbeit spannend und abwechslungsreich macht.

Am meisten liebe ich allerdings Situationen, bei denen ich merke: Ich bin als Dolmetscherin zwar präsent, werde aber gleichzeitig kaum wahrgenommen, weil die Kommunikation so reibungslos verläuft. Wenn beide Parteien sich in einem Gespräch verstanden und gut repräsentiert fühlen, macht mich das glücklich.

Nicht nur für Gehörlose da

Welche Herausforderungen erleben Sie?

Hannah Häberle: Eine häufige Herausforderung ist, dass viele Hörende mich fälschlicherweise als bloßen Helfer für Gehörlose wahrnehmen, anstatt zu erkennen, dass ich auch da bin, weil sie selber leider keine Gebärdensprache beherrschen.

Was war ein besonders spannender Dolmetscher-Auftrag?

Hannah Häberle: Seit zwei Jahren arbeite ich mit dem Jungen Ensemble Stuttgart zusammen und stehe als Dolmetscherin bei Theatervorstellungen auf der Bühne. Dabei wenden wir das „Shadow Interpreting“ an, ich bin also komplett in die Inszenierung integriert. Dazu bin ich auch bei Proben dabei und bereite mich intensiv vor – diese Art des Dolmetschens ist für mich besonders spannend.

Wenn Sie ein Wort nicht kennen – wie gehen Sie damit um?

Hannah Häberle: Im Bestfall tritt diese Situation gar nicht erst ein – Vorbereitung ist da alles. Falls mir trotzdem ein Wort aus der Lautsprache unbekannt ist, kann ich es manchmal aus dem Kontext erfassen.

Wenn wir in Doppelbesetzung arbeiten, mache ich meine Co-Dolmetscherin darauf aufmerksam, dass ich Hilfe brauche. Wenn es sich nicht gerade um ein Vortragssetting handelt, habe ich auch manchmal die Möglichkeit, direkt nachzufragen.

Wenn ich eine Gebärde für einen Begriff nicht weiß, ist es oft die beste Möglichkeit, das Wort mit dem Fingeralphabet zu buchstabieren. Manchmal bekommt man dann auch direkt Feedback von der gehörlosen Person. Wenn möglich, notiere ich mir das Wort und schaue es nach dem Auftrag in einem DGS-Wörterbuch nach oder erfrage es bei gehörlosen Freunden.

Dolmetschen fordert große Konzentration

Wie stressig ist das Simultanübersetzen?

Hannah Häberle: Insgesamt erfordert meine Arbeit

  • ein hohes Maß an Konzentration,
  • die Fähigkeit, unter Druck zu arbeiten und
  • die Fähigkeit, in schwierigen Situationen ruhig und professionell zu bleiben.

Manchmal gibt es Faktoren, die das Dolmetschen erschweren, wie sehr laute Geräusche oder schlechte Lichtverhältnisse, die die Sicht auf die Gebärden beeinträchtigen können. Auch das lange Dolmetschen am Stück kann körperlich und mental anstrengend sein.

Bei Einsätzen mit einer Dauer von über anderthalb Stunden arbeiten wir deshalb in Doppelbesetzung. Mit der Zeit habe ich immer mehr gelernt, achtsam mit mir selber und meiner Kapazität zu sein. Ich muss mich selber oft daran erinnern, mich aktiv zu entspannen oder zwischendurch mal etwas zu trinken. Und was ich auf jeden Fall nie vergesse: Snacks einpacken.