Prostitution

Unsichtbare Sklaverei: Hoffnungshaus hilft im Stuttgarter Rotlichtmilieu

Hinter einer Tür lugen Frauenbeine in hohen Schuhen hervor. Das Licht ist rot.
epd-bild/Heike Lyding

Zwangsprostitution ist auch in Deutschland Realität. Wilbirg Rossrucker kämpft gegen den modernen Menschenhandel im Stuttgarter Rotlichtviertel.

Wenn du das Wort Sklaverei hörst, denkst du wahrscheinlich an die Sklaven im alten Rom oder die Menschen, die in den USA auf Baumwollfeldern schuften mussten. Aber: Auch hier bei uns in Deutschland gibt es bis heute tausende Sklaven.

Sklaven unter uns

Korrektur

Wir möchten darauf hinweisen, dass wir in diesem Abschnitt Zahlen entfernt haben. Wir danken den Hinweisgeber:innen und möchten an dieser Stelle versichern, dass wir transparent und journalistisch korrekt arbeiten. 

Sie arbeiten als Prostituierte in den Rotlichtvierteln der Republik. Die Leiterin des Stuttgarter Hoffnungshauses kennt viele von ihnen. Wilbirg Rossrucker berichtet von Frauen, die unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt werden. Dabei wird die sogenannte Loverboy-Methode eingesetzt. Man kann es nur Sklaverei nennen”, erzählt sie im Podcast Hoffnungsmensch von ihren Begegnungen. In der Folge nennt sie Zahlen in diesem Zusammenhang, sie wir nicht bestätigen oder widerlegen können. 

Hoffnung im Rotlichtviertel Stuttgart

Wilbirg Rossrucker weiß nur zu gut, unter welchen Bedingungen die Frauen arbeiten müssen.

Hoffnungshaus Stuttgart

Das Hoffnungshaus im Stuttgarter Rotlichtviertel ist ein Angebot des evangelischen Gemeinschaftsverbands „Die Apis“.

zur Website vom Hoffnungshaus

Die gebürtige Österreicherin leitet das Hoffnungshaus im Stuttgarter Rotlichtviertel. Die evangelische Einrichtung will ein Stück Hoffnung ins Rotlichtmilieu bringen.

„Wir versuchen, die Frauen zu stabilisieren für den Alltag. Wir wollen ihnen wenigstens einmal am Tag Gutes tun und ihnen vermitteln: Du bist wertvoll und von Gott geliebt - egal, was du machst.“

Aber diese Botschaft komme bei den Frauen nur schwer an. Wilbirg Rossrucker beschreibt die Fragen, die sie bewegen so: „Wie soll mich Gott lieben? Ich liebe mich doch nicht einmal selbst?!“

15-20 Freier am Tag, um zu überleben

Wilbirg Rossrucker bei der Podcastaufnahme
Hoffnungsmensch.de

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen seien von Ausbeutung geprägt. Oft wüssten sie nicht, in welcher Stadt sie sich befinden, weil sie jede Woche woanders hingebracht werden, erzählt Wilbirg Rossrucker im Podcast-Gespräch mit Pfarrer und Journalist Steffen Kern.

Zudem müssten die Frauen 100 bis 150 Euro am Tag für ein kleines Zimmer bezahlen, das ihnen der Zuhälter zur Verfügung stelle. Das sind 3.000 bis 4.500 Euro im Monat. Wilbirg Rossrucker betont: „Um ihr Leben halbwegs aufrechterhalten zu können, müssen sie 15-20 Freier am Tag bedienen. Von dem oft gezeichneten Idealbild, dass Prostituierte selbstbestimmt sind und viel Geld verdienen können, erlebe ich hier in der Stadt nichts.”

Für Wilbirg Rossrucker ist es unerklärlich, wie wir diese Form moderner Sklaverei mitten in unseren Städten dulden. „Ich habe es schon erlebt, dass eine Nummer ab 2 Uhr nachts für 8 Euro angeboten wurde. Wer absolut verzweifelt ist, weil er z.B. drogenabhängig ist, macht es schon für 5 Euro.“

Was wir den Mädchen antun, spielt offenbar keine Rolle.

„Der Tierschutz wird in unserem Land höher bewertet als der Schutz dieser Frauen”, sagt Wilbirg Rossrucker.

Wilbirg Rossrucker und Steffen Kern im Audio-Studio
Hoffnungsmensch.de
Wilbirg Rossrucker mit Steffen Kern bei der Podcast-Aufnahme für „Hoffnungsmensch“.

Forderung: „Wir brauchen ein Sexkaufverbot”

Die aktuelle Freierstudie aus dem Jahr 2022 (PDF) habe gezeigt, so Rossrucker, dass über 80 Prozent der Männer wissen, dass die Frauen ihre Arbeit nicht freiwillig machen. Trotzdem ändere sich nichts, weil die Freier nichts zu befürchten haben und es keine kriminelle Tat ist, ins Bordell zu gehen.

Deshalb fordert die Leiterin des Stuttgarter Hoffnungshauses ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell in Deutschland. Dieses Modell wurde zuerst 1999 in Schweden eingeführt. Seitdem beispielsweise auch in Norwegen, Island, Frankreich oder Israel. Es bestraft die Freier, also den Sexkauf, und nicht die Prostituierten.

Wir brauchen ein Sexkauf-Verbot, denn sonst tut sich nichts.

Wilbirg Rossrucker

Wilbirg Rossrucker vergleicht das Verhalten mit der Einhaltung der Straßenregeln: „Wenn ich durch Stuttgart fahre und weiß, dass kein Blitzer scharf geschaltet ist, dann bin ich die Erste, die ein bisschen Gas gibt.“

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Sie betont: „Wenn es keine Konsequenzen hat, ändert sich das Verhalten nicht. So ist es auch mit der Prostitution.“ Wilbirg Rossrucker geht davon aus, wenn „ich weiß: Prostitution ist verboten, dann überlege ich mir zweimal, ob ich ins Bordell gehe”.

Nordisches Modell gegen Zwangsprositution?

Das nordische Modell ist nicht unumstritten. Kritiker:innen befürchten unter anderem, dass den Frauen die Lebensgrundlange entzogen wird und das Gewerbe komplett in den Untergrund abwandert und so noch schwerer zu kontrollieren sei. Außerdem werde darin nicht zwischen Sexarbeit und sexuelle Ausbeutung unterschieden, kritisiert der Berufsverband Sexarbeit auf seiner Website. 

Berufsverband Sexarbeit über den Umgang mit dem nordischen Modell

Doch für Wilbirg Rossrucker überwiegen die Vorteile eines Sexkaufverbots. Es brauche aber flankierende Maßnahmen, wie Präventionsarbeit. „Es muss schon in den Schulen vermittelt werden, dass das so nicht weitergehen kann.“