Hilfsprojekt

Ukrainekrieg: Wie Kinder aus Waffen Instrumente bauen

Junger Mann spielt auf einer Geige, die aus einem Raketenkopf gebaut wurde
ART HELPS
Eine Geige aus russischen Kriegswaffen

Musikinstrumente aus russischem Kriegsschrott helfen Jugendlichen dabei, ihre Trauma durch den russischen Angriffskrieg zu bewältigen.

von Lisa-Marie Grimmer

Ein kleines Gedankenexperiment: Stell dir vor, du bist zwischen acht und 18 Jahren alt. Dein Alltag ist eigentlich ganz normal. Du gehst zur Schule, machst Hausaufgaben, triffst deine Freund:innen. Aber trotzdem ist alles anders. Regelmäßig ertönen Alarmsignale aus deinem Smartphone. Manche Nächte verbringst du in einem Bunker. Menschen, die dir wichtig sind, wurden getötet oder schwer verletzt.

Kinder und Jugendliche im Ukrainekrieg

Während du deinen Alltag lebst, kämpfen dein Vater, dein Cousin, ein Nachbar oder andere Männer, die du kennst an der Front. Außerdem musstest du vielleicht fliehen und vieles, das dir wichtig ist, blieb zurück.

Es ist schwer, sich das wirklich vorzustellen, oder? Aber so geht es Kindern und Jugendlichen in der Ukraine. Der russische Angriffskrieg betrifft und belastet ihr Leben in vielerlei Hinsicht seit rund zwei Jahren – bei manchen auch schon länger.

Kunst gegen Krisen: Wofür sich „ART HELPS“ einsetzt

Zweite Hilfe für Menschen in Kriegs- und Krisenregionen

„ART HELPS“ veranstaltet Kunstworkshops, die abhängig vom jeweiligen Projekt kreatives Denken fördern, Ängste abbauen oder dabei helfen, traumatische Erfahrungen zu überwinden. Die Organisation ist unter anderem in Südafrika, Brasilien, dem Irak, der Ukraine und in Deutschland aktiv.

Bei dieser seelischen Belastung im Alltag setzt die gemeinnützige Stuttgarter Organisation „ART HELPS“ an. Seit 2011 engagieren sich die Künstler:innen weltweit für Kinder in Krisen. Dabei geht es der Initiative vor allem um die „zweite Hilfe“. Während die „erste Hilfe“ auf Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf zielt, möchte „ART HELPS“ Menschen in aussichtslosen Situationen Hoffnung geben. Das Mittel der Wahl ist dabei Kreativität.

Resistruments: Von der Rakete zur Geige

In der Ukraine engagiert sich „ART HELPS“ seit 2018. Derzeit bauen die Helfer:innen dort einen sogenannten Creative Hub – eine Art Treffpunkt, an dem Kreativprojekte durchgeführt werden – auf. Der Workshop „RESISTRUMENTS“ war der erste, den die Initiative am Hub umgesetzt hat. Der Kern der Aktion steckt schon im Namen, der sich aus den Wörtern „Widerstehen“ und „Instrumente“ zusammensetzt.

Kinder und Jugendliche bauten aus Kriegsschrott Musikinstrumente. Tom Lupo, Gründer von „ART HELPS“, erklärt: „Kunst und Kreativität können hässliche oder menschenfeindliche Dinge in etwas Wundervolles verändern. Das machen wir mit diesem Projekt, dass wir aus Waffen, aus Kriegsschrott, Instrumente bauen.“

Tom Lupo hält eine Geige und Rasseln, die aus Waffen gebaut wurden
ART HELPS
Tom Lupo

Die Idee für den Workshop entstand, nachdem Partnerorganisationen und Bekannte von den großen Mengen Kriegsabfall in den Frontgebieten berichtet hatten. „ART HELPS“ bat daraufhin, einige dieser Sachen nach Kiew zu bringen. In der ukrainischen Hauptstadt entstand daraus anschließend Kunst.

Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. „Wir haben Rohre gehabt, aus denen ist eine Art Didgeridoo entstanden. Aus großen Blechen haben wir Schlaginstrumente gemacht. Eigentlich ist ein ganzes Schlagzeug entstanden. Wir haben eine Violine, wenn man die umdreht, sieht man den Gefechtskopf einer riesigen Rakete, die auch irgendwo eingeschlagen ist“, beschreibt Lupo einige der entstandenen Instrumente.

Mit Instrumenten aus Kriegsschrott zu 200.000 Klicks

Xylophon aus Kriegswaffen
ART HELPS

Während des Workshops wurden die Jugendlichen im Alter zwischen acht und 18 Jahren von Expert:innen wie Geigenbauer:innen, Musiker:innen, Tontechniker:innen und Kunsttherapeut:innen unterstützt. Zusammen mit diesen bauten die jungen Menschen Instrumente wie die erwähnte Geige aus einem Raketenkopf oder eine Gitarre aus einem alten Kanister.

Dabei konnten sie kreativ die eigenen Stärken erforschen. „Die sehen dann auch, was sie wirklich besonders gut können. Kosta zum Beispiel hat die ganz schwierigen Sachen geflext und es hat ihm sehr viel Spaß gemacht, diese schweren Metalle zuzuschneiden. Da findet jeder seinen Platz und am Ende ist es wie eine kleine Familie, die da entsteht“, berichtet Lupo.

Schlagzeug in einem zerbombten Kiewer Vorort
ART HELPS

Nach dem Bau sollten die Instrumente an einem besonderen Ort zum Einsatz kommen. „ART HELPS“ fuhr mit den Kindern und Jugendlichen in den vom Krieg zerstörten Kiewer Vorort Borodjanka, um dort ein Musikvideo zu drehen. Inmitten von Ruinen spielten die jungen Musiker:innen ein vom Starviolinisten Yury Revich exklusiv komponiertes Stück. Der daraus entstandene Clip hat auf YouTube inzwischen mehr als 200.000 Aufrufe.

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Ob die Jugendlichen zuvor bereits ein Instrument beherrschten, spielte beim „RESISTRUMENTS“-Workshop keine Rolle. Teilnehmende mit Vorwissen brachten die anspruchsvolleren Objekte wie Geige und Cello zum Klingen, andere trugen zum Beispiel mit Schlaginstrumenten zum gemeinsamen Sound bei.

Instrumente aus Kriegswaffen gehen auf Reisen

Junger Mann spielt auf Gitarre aus Kriegsschrott
ART HELPS

Ein paar der Instrumente hat Lupo nach dem Workshop mit nach Deutschland gebracht. Dort sollen sie im Rahmen verschiedener Veranstaltungen, beispielsweise kleiner Konzerte, auf den Krieg in der Ukraine aufmerksam machen.

Aber auch in der Ukraine selbst geht das Engagement von „ART HELPS“ weiter. In Kiew entstehen am Creative Hub bereits neue Projekte für traumatisierte Kinder und Jugendliche. Derzeit nehmen nach Angaben der Organisation monatlich rund 570 Kinder sowie 140 Erwachsene an ihren kunsttherapeutischen Programmen in der Ukraine teil.

Zum Projekt „RESISTRUMENTS“ soll 2025 zudem eine Doku veröffentlicht werden.

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