Psychisch kranke Eltern

Mama mit Depression? Was hilft auch den Kindern?

Frau beugt sich nach vorne und hat die Hände vor dem Gesicht. Hinter ihr ist ihr kleiner Sohn, der traurig in die Kamera schaut.
gettyimages/Nadezhda1906
Das Foto zeigt nicht Franziska und ihren Sohn Jan. Franziska ging es zum Fototermin nicht gut genug.

Wenn Eltern psychische Krankheiten haben, ist das für ihre Kinder ein hohes Risiko selbst zu erkranken. Welche Präventionsangebote gibt es für Familien?

Von der Krankheit seiner Mutter bekam Julian zunächst gar nichts mit. „Es hat sich für mich normal angefühlt“, sagt der heute 15-Jährige. Seine Mutter Franziska litt an Depressionen und Panikattacken. Doch sie hielt das Familienleben noch so einigermaßen aufrecht.

Zusätzlich zur Depression: Versagensängste als Mutter

„Ich habe morgens noch Frühstück gemacht“, berichtet sie. Beide heißen eigentlich anders. „Aber als er in der Schule war, habe ich mich wieder ins Bett gelegt.“ Dabei habe stets das schlechte Gewissen an ihr genagt, ihren Sohn zu vernachlässigen, erzählt sie.

Hilfe für Eltern und Kinder: Das Bielefelder Kanu-Angebot

Kanu“ steht für: „kooperative Grundhaltung - angemessener Umgang - nicht entmutigen lassen - unterstützend in schwierigen Situationen“. Es ist ein gemeinsames Programm der Stadt und vom Evangelischen Krankenhaus Bielefeld. Das Jugendamt und die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie tragen die Kosten.

Bielefelder Kanu-Angebot

In Deutschland gibt es eine Fülle von Präventionsangeboten für Familien mit psychischen Krankheiten. Aber bei vielen davon ist unklar, ob sie helfen

Präventionsangebot für Familien mit elterlicher psychischer Erkrankung

Als Julian sieben Jahre alt war, suchte seine Mutter sich Hilfe. Sie fand sie beim Bielefelder Kanu-Angebot im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld. Dort gibt es nicht nur Hilfe für psychisch erkrankte Eltern, sondern auch Prävention für die Kinder. Damit sie nicht auch noch erkranken.

Jedes vierte Kind hat mindestens ein Elternteil mit psychischer Erkrankung

Denn Kinder von psychisch Erkrankten haben ein erhöhtes Risiko, später selbst eine psychische Störung oder eine Sucht zu entwickeln. Bei Depressionen ist dieses Risiko drei- bis vierfach erhöht, bei Schizophrenien 13-fach. Etwa jeder vierte Minderjährige in Deutschland hat mindestens ein Elternteil, das psychisch erkrankt ist. Das sind zwischen drei und vier Millionen Kindern und Jugendliche.

Prävention bei psychischen Erkrankungen

Prävention wie beispielsweise beim Bielefelder Kanu-Angebot kann helfen, dieses Risiko zu senken. Denn nicht nur Gene sind dafür verantwortlich, dass sich eine psychische Krankheit entwickelt, sondern auch Umweltbedingungen.

„Genau da setzt Prävention an“, sagt die Pädagogin Elisabeth Schmutz vom Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM). „Nicht die Erkrankung wird vererbt, sondern die Verwundbarkeit dafür. Aus der Resilienzforschung wissen wir, dass wir durch die Stärkung von Schutzfaktoren Kinder unterstützen können.“

Arme Menschen werden eher psychisch krank

So sind psychisch kranke Menschen oft von Armut und schlechten Wohnverhältnissen betroffen - und ihre Kinder natürlich auch. Die Empathie von psychisch Erkrankten und ihre Fähigkeit, angemessen auf kindliche Bedürfnisse zu reagieren, sind eingeschränkt.

Kinder können oft auch keine Kompetenzen entwickeln, das zu bewältigen, was sie erleben müssen. Sie können das Verhalten ihrer Eltern nicht einordnen, können mit niemandem darüber sprechen, auch weil innerhalb der Familien die Krankheit oft ein Tabu-Thema ist. Sie sind völlig allein gelassen.

Kleinere Kinder beziehen Erlebtes oft auf sich: Sie denken, dass es der Mama oder dem Papa schlecht ginge, weil sie nicht brav waren.

Kindesmisshandlung kommt bei Kindern mit psychisch kranken Eltern öfter vor

Das kindliche Selbstwertgefühl wird so dauerhaft nicht gestärkt. Die Wahrscheinlichkeit, Vernachlässigung, Misshandlung oder sexuelle Gewalt zu erleben, ist für Kinder mit psychisch kranken Eltern zwei bis fünf Mal so hoch wie für Kinder gesunder Eltern - alles Risikofaktoren für den Ausbruch einer seelischen Krankheit.

Präventionsangebote für Familien in Deutschland

Doch leider ist es um die Prävention vielerorts in Deutschland nicht gut bestellt. „Das absolute Grundproblem ist, dass unser Versorgungssystem individuumszentriert arbeitet“, sagt die Psychologin Silke Wiegand-Grefe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Im medizinischen Betrieb gehe es meist nur um den Patienten oder die Patientin, nicht um dessen Angehörigen. Die Problemlagen in betroffenen Familien seien außerdem oft komplex und je nach Fall unterschiedlich.

Es gibt zwar eine Fülle von Hilfsangeboten auf dem Feld der Prävention, aber das ist auch schon Teil des Problems, wie Wiegand-Grefe beschreibt: „Es ist schwer für Betroffene, passende Hilfe zu finden.“ Sie fänden sich in dem Dschungel an regional unterschiedlichen Angeboten kaum zurecht.

Leitfaden für den Umgang in den Familien

Albert Lenz/Silke Wiegand-Grefe: Kinder psychisch kranker Eltern. Hogrefe-Verlag, Göttingen 2017, 24,95 Euro.

Jugendhilfe ist kommunal verfasst“, benennt die Mainzer Pädagogin Schmutz eine der Ursachen für das bunte Angebot. „Jede Kommune entscheidet selbst, was sie finanziert.“ Und Hilfe für Kinder psychisch kranker Eltern konkurriere oft mit vielen anderen Bedarfen.

Regionale Probleme bei der Prävention

Zudem sei da noch das Präventionsparadox: Die Kinder sind in der Regel - noch - gesund, da wirkt das Problem weniger drängend. Das erfordere oft viel Überzeugungsarbeit vor Entscheidungsgremien, oft entstünden daher Hilfsprojekte aus privater Initiative. Sie seien aber meist nicht dauerhaft angelegt und „mischfinanziert mit einem Spendenanteil“, sagt Schmutz.

Zudem sind viele der bestehenden Angebote nicht wissenschaftlich validiert. Es ist also unklar, wie genau oder ob sie überhaupt helfen. „Wissenschaftliche Evidenz ist aber die Größe, an der sich die Krankenkassen bei der Finanzierung orientieren“, sagt Wiegand-Grefe.

Julian hatte Glück, dass er und seine Mutter im Raum Bielefeld wohnen, Denn das Bielefelder Kanu-Angebot ist schon bei seiner Entstehung wissenschaftlich begleitet worden. Kinder und Eltern trainieren dort in Gruppen ihre Fähigkeiten. Es gibt Eltern-, Kind- und Familiengespräche, und Patenschaften bieten den Kindern emotionale Bezugspersonen, von denen sie Zuneigung und Wertschätzung erfahren.

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Julians Pate heißt Christopher, er ist Jura-Student. Zusammen gehen die beiden beispielsweise zum Klettern. „Wir haben den besten Paten überhaupt erwischt“, lobt Franziska. Überhaupt sei sie dankbar für die Hilfe im Kanu-Angebot.

Standardisierte Präventionsangebote für Familien mit psychisch kranken Eltern

Wer nicht in Bielefeld wohnt, hat aber unter Umständen weniger Glück. Lösungsansätze für eine Verbesserung der Prävention gibt es. „Man müsste die Angebote, bei denen wissenschaftlich gesichert ist, dass sie wirken, flächendeckend anbieten“, sagt die Hamburger Psychologin Wiegand-Grefe. „Zugleich müsste man mehr forschen, um mehr Angebote zu validieren.“ 

Außerdem brauche es Lotsensysteme, die Familien helfen, passende Hilfsangebote zu finden. Die Mainzer Psychologin Schmutz sagt: „Es braucht Kooperation und Vernetzung der Akteurinnen und Akteure vor Ort.“

Franziskas Panikattacken seien mittlerweile weg, erzählt sie, die Depression sei nicht mehr so stark. Und ihr Verhältnis zu Julian sei heute gut, sagen sowohl Mutter als auch Sohn. „Ich kann sie manchmal im Spaß provozieren“, berichtet Julian. „Diese Ebene hatten wir früher gar nicht.“