Ukraine-Krieg

Jüdische Flüchtlinge finden Zuflucht bei Chabad-Gemeinde

Sasha & Valentin fliehen aus der  Ukraine in die  jüdische Gemeinde nach Frankfurt
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5.000 jüdische Geflüchtete sollen Schätzungen zufolge aus der Ukraine nach Deutschland kommen. In Frankfurt kümmert sich die Chabad-Gemeinde um die Menschen.

Jüdische Flüchtlinge in der Frankfurter Chabad-Gemeinde
Julian Held

Es riecht nach Mittagessen in den Fluren des Gemeindezentrums der jüdischen Chabad-Gemeinde im Frankfurter Westend. Männer mit Kippa eilen die Treppen rauf und runter, von oben hallt Kinderlachen durch die Gänge. Einiges ist los in diesen Tagen.

Chabad-Gemeinde Frankfurt hilft Geflüchteten 

„Das ist noch ruhig im Vergleich zu den vergangenen Wochen“, berichtet Sterni Havlin von der Gemeinde. Die Lehrerin und Frau des Rabbiners ist gerade im Gespräch mit einer jungen Frau. Sasha Malik ist vor vier Wochen mit ihren beiden Kindern Valentin und Margarita aus Mykolajiw in der südlichen Ukraine geflohen, wie Havlin übersetzt. Ihren 31-jährigen Mann musste Sasha zurücklassen. Er lebt noch in ihrem Haus, das durch den Krieg teilweise zerstört wurde. Nur über WhatsApp steht das Paar in Kontakt.

Juden in der Ukraine

Die Ukraine war und ist eines der wichtigsten Zentren jüdischen Lebens weltweit. Viele der Juden in Deutschland haben ihre Wurzeln dort, haben vor Ort noch Angehörige. Nach den aktuell geltenden Regelungen der Bundesregierung kann jede:r von ihnen nach seiner Einreise in Deutschland einen Antrag auf Zuwanderung stellen.

Die kleine Familie ist eine von vielen, die in der orthodoxen Chabad-Gemeinde einen Zufluchtsort gefunden haben. Die Gemeindemitglieder bieten Sprachkurse und ein warmes Mittagessen für Geflüchtete an, kümmern sich um die Kinder. Einige der geflüchteten Familien sind bereits in Wohnungen untergebracht, Sasha und die Kinder wohnen noch in einem Hotel in der Nähe des Hauptbahnhofes.

3.500 jüdische Geflüchtete in Deutschland

Deutschlandweit sind nach Angaben der Jüdischen Gemeinde Berlin von Mitte März bislang etwa 3.500 jüdische Flüchtlinge angekommen. Viele davon werden von der Gemeinde selbst versorgt und betreut. Die Hilfsbereitschaft ist enorm. Ein Großteil Mitglieder jüdischer Gemeinden sind nach dem Fall der Sowjetunion selbst geflohen.

Vor einigen Wochen hatte das Bundesinnenministerium eine Anordnung für vereinfachte Zuwanderungsregeln für ukrainische Juden erlassen. Im Unterschied zum bisherigen Verfahren können Juden aus der Ukraine Anträge auf Zuwanderung jetzt auch in Deutschland stellen. Bisher musste dies im Herkunftsland bei der Deutschen Botschaft geschehen.

Wer Sasha Malik sieht, glaubt kaum, was hinter der jungen Mutter liegt. Sie trägt ein modisches, bodenlanges Kleid mit Leoparden-Print, hat ihre blonden langen Haare zu einem Dutt gebunden. Sie  lacht viel, erzählt, zeigt Fotos und Videos ihrer Flucht auf dem Handy. Auch die beiden Kinder, der 3-jährige Valentin und seine 7-jährige Schwester Margarita, kurz „Rita“, machen einen fröhlichen Eindruck.

Das sind unsere Brüder und Schwestern.

Sterni Havlin

Familie versteckt sich in Mykolajiw im Bunker

Valentin schiebt im Spielzimmer Autos hin und her, flitzt um die kleinen bunten Tische, serviert seiner Mutter einen Holz-Pilz aus der Spielküche. Nur vom Spielzeug-Gewehr hält er Abstand, wie Sterni Havlin erzählt: „Das scheint ihm nicht geheuer zu sein.“ Für die 43-jährige Mutter von neun Kindern ist die Hilfe für die Geflüchteten selbstverständlich: „Das sind unsere Brüder und Schwestern“, sagt sie und streicht dem kleinen Valentin durchs blonde Haar.

Pessach

Das jüdische Pessachfest erinnert an den biblisch überlieferten Auszug der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. In diesem Jahr wird es vom 15. bis zum 23. April gefeiert. Weil bei der Flucht keine Zeit mehr blieb, den Brotteig aufgehen zu lassen, wird Pessach auch das „Fest der ungesäuerten Brote“ 🍞🍞 genannt.

Zehn Tage lang verbrachte die Familie Malik im Bunker. Sasha zeigt Bilder und Videos von der Zeit. Eng an eng sitzen sie auf dem kargen Boden, haben dicke Jacken, Mütze und Schal an. Mit einem Bus konnten sie schließlich über die Slowakei nach Deutschland flüchten. „Ich wusste nicht, wo es hingeht“, erzählt Sasha. Weil ihre jüdische Heimatgemeinde in engem Kontakt mit der Frankfurter Chabad-Gemeinde stand, landete die ukrainische Familie schließlich in der Mainmetropole.

Familie feiert Schabbat und Purim 

Bereits am ersten Freitag nach ihrer Ankunft feierte Sashas Familie gemeinsam mit Familie Havlin Schabbat. Auch Purim, das jüdische Freudenfest, musste nicht ausfallen. Stolz zeigt die Mutter Fotos ihrer beiden verkleideten Kinder. Tochter Rita hatte ihre hellblonden Haare seitlich zu zwei Zöpfen geflochten – mit blauen und gelben Haargummis – die Nationalfarben der Ukraine.

Die Gemeinschaft und die Gebete seien besonders wichtig für die geflüchteten Jüdinnen und Juden, berichtet Rabbiner Yosef Havlin, der gerade im Innenhof mit ein paar anderen Gemeindemitgliedern eine Regenplane über einen langen Tapezier-Tisch spannt. Die Gemeinde verteilt seit einigen Tagen Lebensmittel-Tüten für Bedürftige in Vorbereitung auf das Pessach-Fest, das am Abend des 15. Aprils beginnt. In diesem Jahr nehmen auch viele geflüchtete Familien aus der Ukraine das Angebot an.

Gebete geben ein Gefühl von Heimat.

Rabbiner Yosef Havlin

Geschichten von "Nazi-Deutschland"

Auch Sasha packt sich ein paar Matzen und eingelegte Gurken aus einer Tüte in den Kinderwagen. Gerade in Deutschland gelandet zu sein, war für Sasha im ersten Moment seltsam, wie sie erzählt: „Meine Oma hat die Blockade von Leningrad überlegt und hat mir damals schlimme Sachen über die Deutschen erzählt. Dass sie Juden töten. Als Kind habe ich davon manchmal Albträume gehabt“.

Die sonst so aufgeweckte Frau hält kurz inne und schluckt. „Aber die Zeit hat sich geändert. Und ich bin dankbar, dass Deutschland den Juden jetzt hilft.“ Heute seien Russland und Putin in die Rolle der Nazis geschlüpft, sagt Sasha. Dann werden ihre Gesichtszüge wieder weicher: Sie fühle sich wohl in Deutschland, sei froh über den Kontakt zu anderen Jüdinnen und Juden. Trotzdem hofft die junge Frau, dass der Krieg in ihrem Heimatland bald aufhört und sie zurück kann.

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