„Die Angst, dass Lukas eines Morgens in völliger Dunkelheit aufwacht, war das Schlimmste, was ich bis dahin erlebt habe“, sagt die 37-jährige Arzthelferin. Bereits am Tag darauf erfolgte eine Not-Operation, zwei weitere Eingriffe folgten.
Die Operationen halfen, den Augeninnendruck von Lukas zu stabilisieren. Etwa sechs bis acht Prozent Sehkraft hat er heute noch und benutzt auf der Straße einen Blindenstock.
Der behandelnde Augenarzt machte die Familie auf die Frühförderung „Sichtweisen“ der Diakonie Frankfurt und Offenbach aufmerksam. Die Diakonie ist eine von mehreren Trägerinnen der Frühförderung, die sich an blinde und sehbehinderte Kinder zwischen der Geburt und der Einschulung richtet. Zwischen 130 und 160 Familien im Raum Frankfurt, Offenbach und Südhessen werden von den zwölf Mitarbeiterinnen von „Sichtweisen“ begleitet.
„Bei der Wahl einer Schule schauen wir darauf, welches die bestmöglichen Entwicklungsmöglichkeiten für ein Kind sind und wie wir dem gerecht werden können. Die Vielfalt der schulischen Angebote ist daher wichtig“, sagt Carmen Lauer, Leiterin der Frühförderung „Sichtweisen“. Knapp ein Drittel der begleiteten Kinder ist in den vergangenen Jahren an einer Regelschule eingeschult worden.
Lauer wünscht sich wohnortnahe Schulen, die alle Kinder besuchen können. „Davon sind wir aktuell aber noch weit entfernt“, sagt sie. Viele der Kinder haben neben ihrer Augenkrankheit auch weitere Beeinträchtigungen. Die Mitarbeiterinnen der Diakonie besuchen diesbezüglich regelmäßig Fortbildungen und arbeiten mit Konsiliarärztinnen zusammen.
„Neulich beim Einkaufen hat ein Mädchen Leon den Stinkefinger gezeigt. Das war eine Beleidigung, aber Leon hat das nicht verstanden“, erzählt Anna, Leons Mutter. Auch aus diesem Grund ist die 34-Jährige aktuell noch unsicher, welche Grundschule Leon später besuchen wird. Der Vierjährige besucht aktuell eine integrative Kita. Zwar einige Kilometer vom Wohnort entfernt, aber dafür fühlt er sich dort wohl.
Leon kam in der 23. Schwangerschaftswoche als Frühchen mit 670 Gramm zur Welt, nur 30 Zentimeter war er groß. „Leon hat nach der Geburt Hirnblutungen erlitten und konnte nicht selbstständig atmen. Er musste mehrere Wochen inkubiert werden“, sagt Anna. Die Ärzte sagten den Eltern, dass sie damit rechnen müssten, dass Leon nicht laufen kann.
Der interdisziplinäre Ansatz in der Arbeit von Tanja Misof wird hier besonders deutlich. So hat sie etwa Kontakt zu Physiotherapeuten und Ergotherapeuten aufgenommen, die sich heute ebenfalls um Leon kümmern. Im Alter von zwei Jahren und acht Monaten begann Leon zu laufen und auch mit dem Sprechen wird es inzwischen besser.
„Ich bin auch für das zuständig, was die Mama beschäftigt, etwa in der Erziehungsberatung“, sagt Misof. Ein Thema sei aktuell, die Essenszeiten einzuhalten. Tanja Misof arbeitet dafür mit Piktogrammen, die das Gesagte mit Bildern unterstützen. Ihr sei es wichtig, den Eltern den Schrecken zu nehmen. Sie sagt:
In der Zeitung sehen die Leute ja auch Bilder zu dem, was dort geschrieben steht.
„Ich bin sehr dankbar, weil Frau Misof Antworten für mich hat“, sagt die Mutter Anna. Denn zu dem Förderbedarf rund um Leons Einschränkungen könne sie sich mit anderen Eltern nur unzureichend austauschen.
Auch die Entwicklung von Leon beurteilt Tanja Misof positiv. „Leon macht das super. Natürlich ist er ein Kind mit Behinderung. Aber er ist heute meilenweit von dem entfernt, was ich im ersten Arztbericht gelesen habe.“