Interview

Frauenrechte im Jemen, Inklusion in Deutschland: Ein Leben des Kampfes

Samah Al-Shaghdari in Hamburg lächelt in die Kamera. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl an der Alster.
Irina Linke
Samah Al-Shaghdari vom arabischen Amal-Team in Hamburg hat einen Podcast produziert, der sich ganz besonders an Geflüchtete mit Behinderung richtet.

Der Podcast von Samah Al-Shaghdari hilft Geflüchteten mit Behinderung auf arabisch in Deutschland besser klar zu kommen. Sie sitzt selbst im Rollstuhl.

von Julia Gerlach (Amal Berlin)

Liebe Samah, als erstes möchte ich Dich bitten, dich vorzustellen: Wer ist Samah Al-Shaghdari?

Samah Al-Shaghdari: Samah Al-Shaghdari ist eine Journalistin, Schriftstellerin, Menschenrechtsaktivistin und Dichterin. Samah, das bin ich.

Journalistin aus dem Jemen mit dem Rollstuhl geflüchtet

Ich drücke meine Gefühle und Lebenserfahrungen am liebsten in Poesie aus.

Was ist Amal?

Auf Amal können Geflüchtete in Deutschland Nachrichten und Artikel in ihrer Muttersprache lesen. Hier schreiben Journalist:innen im Exil auf Arabisch, Persisch und Ukrainisch. Es gibt Ableger in Berlin, Hamburg und Frankfurt.

Ich habe Dokumentarfilme gemacht und als Regisseurin gearbeitet. Zuletzt habe ich einen Animationsfilm produziert. Es geht um Genitalverstümmelung im Jemen.

Seit drei Jahren arbeite ich als Redakteurin bei Amalin Hamburg und mache Lokaljournalismus für Menschen wie mich. Wir schreiben über alles, was in Hamburg und Deutschland wichtig ist in den Muttersprachen der Geflüchteten. Na ja, und dann habe ich noch diesen Podcast gemacht.

Aktivistin für die Rechte von Geflüchteten mit Behinderung in Deutschland

Du warst schon im Jemen sehr aktiv, hast dich für Frauenrechte und für Freiheit eingesetzt und bist eine der bekanntesten Aktivistinnen der Revolution von 2011.

Samah Al-Shaghdari: Ich begann meine Karriere mit der Verteidigung der Frauenrechte durch Poesie2010 erschien mein zweiter Gedichtband. Ich hatte ihn Gott gewidmet, was den Zorn einiger religiöser Kreise hervorrief. Sie fanden, dass es eine Beleidigung ist, wenn eine Frau ihr Buch Gott widmet.

Diese Fatwa (religiöse Entscheidung von islamischen Gelehrten, Anm. der Redaktion) führte zu Morddrohungen. Aber ich arbeitete weiter, ohne nachzugeben. 

Situation in Jemen

2011 war die jemenitische Revolution Teil des sogenannten Arabischen Frühlings, einer Reihe von Protesten und Aufständen in mehreren arabischen Ländern. Viele Menschen forderten mehr Demokratie, weniger Korruption und bessere Lebensbedingungen. 2015 hat der sogenannte Jemen-Konflikt sich weiter zugespitzt. Laut der Vereinten Nationen herrscht in dem Land die größte humanitäre Krise weltweit. 

Mehr Infos zum Jemen bei der Bundeszentrale für politische Bildung

 

Im Jahr 2011 war ich eine der prominentesten weiblichen Stimmen in der jemenitischen Revolution. Ich engagierte mich vor allem für bessere Gesetzgebung für Frauen. Es ging um das Verbot der Ehe minderjähriger Mädchen und Änderungen im Familienrecht, um Frauen beim Sorgerecht besserzustellen.

Nachdem ich durch die Fatwa zur Ungläubigen erklärt wurde, wandte ich mich der Medienarbeit zu und gründete 2011 die „Sawt“-Stiftung, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte. Die Vorwürfe gegen mich wurden stärker und ich musste schließlich den Jemen verlassen.

2011 spielten im Jemen Frauen eine große Rolle beim Aufstand gegen das Regime von Ali Abdullah Salah. Wie waren deine ersten Erfahrungen in Deutschland?

Samah Al-Shaghdari: In Deutschland hatte ich anfangs mit vielen Behinderungen zu kämpfen, darunter auch mit psychischen und sozialen Herausforderungen. Das inspirierte mich dazu, einen Podcast zu erstellen, der darauf abzielt, das Bewusstsein für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu schärfen. Ich dränge zugleich in Gesprächen mit Politiker:innen und Jurist:innen darauf, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern

Mir wurde klar, dass die Herausforderungen, vor denen ich und Menschen wie ich stehen, nicht nur mit Ausgrenzung und zum Teil auch Rassismus zusammenhängen. Es geht hier auch um das Bewusstsein, welche Möglichkeiten und Rechte Geflüchtete mit Behinderungen haben und wie sie diese wahrnehmen können. Hier setze ich mit meiner Arbeit, meinem Engagement und auch mit meinem Podcast an.

Mit meinem Podcast will ich Menschen inspirieren

Um genau diesen Podcast „Du bist nicht allein“ soll es in diesem Interview gehen. Wie bist du auf die Idee gekommen und worum geht es?

Samah Al-Shaghdari: Es ist eine Herzensangelegenheit. Ich habe den tiefen Wunsch, meine schwierigen Erfahrungen zu teilen und anderen zu helfen, die so wie ich mit Behinderung nach Deutschland kommen.

Geflüchteten mit Behinderung helfen

Geflüchtete mit Behinderung sind eine Gruppe, die mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Es geht mir darum, ihnen zu sagen, welche Rechte sie haben und welche Möglichkeiten sich auftun.

Ich will ihnen auch ein Beispiel geben, dass man es schaffen kann. Das Ganze sollte dann natürlich noch einzigartig, attraktiv und angenehm zu hören sein. Das ist mein Anspruch. 

Oha, das ist ein großer Anspruch. Wieso braucht es gerade jetzt einen solchen Podcast? 

Samah Al-Shaghdari: Aus meiner Sicht gibt es mehrere Gründe, warum dieser Podcasts wichtig ist:

  • Es geht darum, Menschen zu sensibilisieren.
  • Durch verlässliche Informationen werden die Menschen in die Lage versetzt, sich besser an der Gesellschaft zu beteiligen.
  • Ich biete marginalisierten Stimmen eine Plattform und fördere damit hoffentlich gesellschaftliche Veränderungen.
  • Es geht letztendlich auch darum, politisches Umdenken anzuschieben. 

Handicap International

Handicap International kümmert sich um Menschen, die eine Behinderung haben. Die Organisation hilft bei Katastrophen, stellt Hilfsmittel und setzt sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung ein.

Website von Handicap International

Du bist bei Handicap International aktiv. Bitte erzähl uns darüber.

Samah Al-Shaghdari: Ich arbeite ehrenamtlich bei der Organisation Handicap International. Ich beteilige mich an einem Projekt zu Rechten von behinderten Geflüchteten.

Wir entwickeln Strategien, um Einfluss auf die Gesetzgebung und Entwicklung von Förderprogrammen für Geflüchtete mit Behinderung und Menschen mit Einschränkungen allgemeinzu nehmen. Es geht um die Verbesserung der Integration in die Gesellschaft.

Wir bieten Schulungen und Sensibilisierungsmaßnahmen an.

Viele Akteure sind daran beteiligt, dass Integration gelingen kann: Die Politik, die Gesellschaft und auch die Betroffenen. Fangen wir mit dem ersten Akteur an: Was sollte die Bundesregierung deiner Meinung nach tun, um das Leben von Geflüchteten mit Behinderungen zu verbessern? 

Samah Al-Shaghdari: Die Regierung sollte mehr Richtlinien entwickeln, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Sie brauchen die gleichen Chancen bei Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung.

Programme und Initiativen, die das Leben von Menschen mit Behinderung erleichtern, brauchen außerdem mehr Budget.

Es gibt gelungene Beispiele aus dem Ausland. Solche könnten wir hier in Deutschland übernehmen und zudem Forschungs- und Innovationsprojekte in diesem Bereich mehr fördern.

Geflüchtete mit Behinderung besser integrieren

Wie kann die Gesellschaft Geflüchtete mit Behinderung besser integrieren?

Samah Al-Shaghdari: Psychologische und soziale Unterstützung sind entscheidend. Auch ehrenamtliche Initiativen sind sehr wichtig. Das Thema muss in die Lehrpläne an den Schulen und stärker in der Gesellschaft diskutiert werden. Nur so können junge Menschen verstehen: Wie vermeide ich Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und Geflüchteten? Wie gehe ich auf Augenhöhe mit ihnen um?

Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Geflüchtete mit Behinderung in Deutschland leben. Von Handicap International wissen wir jedoch, dass sie zum Teil mit großen Schwierigkeiten konfrontiert sind und sich oft alleingelassen fühlen.

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Wie können Menschen mit Behinderung dazu beitragen, dass sie sich besser in die Gesellschaft integrieren?

Samah Al-Shaghdari: Menschen mit Behinderungen müssen sich mehr in die Gesellschaft hineinbewegen, sich informieren und mehr interagieren. Nur so können sie ihre Situation verbessern, ihre Rechte wahrnehmen und in der Gesellschaft aktiv sein.

Sie müssen sich über verfügbare Unterstützung und Ressourcen informieren und sich möglichst mit lokalen Gemeinschaften und Nichtregierungsorganisationen vernetzen.

Kurz gesagt: Sie müssen aktiv werden.

Was ist das Lebensziel von Samah Al-Shaghdari?

Samah Al-Shaghdari: Mein Ziel ist es, andere zu inspirieren. Ich will mich für Gerechtigkeit und Gleichheit einsetzen. Ich möchte eine positive Veränderung bewirken und einen Eindruck hinterlassen, von dem andere in Zukunft profitieren können, sei es durch Poesie, journalistische Arbeit oder Doku-Filme.