Elisabeth Steinkellners „Papierklavier“

Ein Buch über Transgender und Schönheitsideale

Diese Coming-of-age-Story ist filmreif. Sie verschweigt keine Schieflage unserer Gesellschaft und zwischen den Zeilen sensibilisiert die Autorin unmissverständlich für vermeintliches Fehlverhalten.
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Das fiktive Tagebuch der in prekären Verhältnissen lebenden Teenagerin Maia greift viele Facetten des Lebens auf und bleibt dabei angenehm gelassen.

Den richtig großen Hype um das Jugendbuch Papierklavier verdankt die Autorin Elisabeth Steinkellner vermutlich dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Die deutsche Bischofskonferenz verweigerte sich nämlich der Nominierung der zehnköpfigen Jury und ehrte die Geschichte um die 16-Jährige nicht mit einem Preis.

Im ersten Gedanken eine völlig legitime Entscheidung. Bei genauerem Hinsehen allerdings drängt sich der Verdacht auf, dass die Lebensthemen rund um die Teenagerin, ihren beiden Schwestern und ihrer alleinerziehenden Mutter zu viel Lebensrealität bereithält.

Worum geht es bei Papierklavier?

Buchcover
Beltz & Gelberg

Die Mutter der Mädchen kämpft den alltäglichen Überlebenskampf einer Alleinerziehenden. Sitzengelassen von drei Männern mit jeweils einem Kind. Unterhalt zahlt keiner der Väter. Die vierundzwanzig Stunden eines Tages reichen nicht, um allem gerecht zu werden. Job, Kinder, Anträge beim Amt, diskriminierende Kommentare von Abgesandten der Sozialberatung, die auch mal zum Hausbesuch klingeln.

So fühlt es sich an, ein Sozialprojekt zu sein

Maia ist gefragt, springt immer wieder ein und kümmert sich um ihre Schwestern. Ganz besonders dann, als die Ersatzoma Sieglinde stirbt und eine große Lücke hinterlässt. Die gut situierte Dame aus der Nachbarschaft, deren Wohnzimmer so groß ist, wie die komplette Wohnung der vier Frauen, greift der Familie immer wieder unter die Arme: finanziell, mit einem offenen Ohr und ganz besonders mit Klavierstunden für die kleine Heidi. Die überaus reflektierte Maia fragt sich da schon mal, ob der Frauenhaushalt so etwas wie ein „Sozialprojekt“ für Oma Sieglinde ist.

Neben Schule, dem Kümmern um die Schwestern und dem nervigen Nebenjob im „Saftladen“ geht es für die 16-Jährige natürlich auch um das Verliebtsein, ums Feiern und um den Rausch des Heranwachsens. Es geht um die Unwägbarkeiten des Lebens und um den Druck einer Gesellschaft, deren Normen nur die Wenigsten entsprechen.

Freundinnen hinterfragen Bedinungen für den Start ins Erwachsenenleben

Mit ihren besten Freundinnen Alex und Carla geht Maia durch Dick und Dünn. Sie ringen mit Schönheitsidealen (Maia trägt Konfektionsgröße 42 und findet sich zu dick), sie probieren sich aus (Alex hat auch mal Sex mit mehreren) und um das Thema Transgender (Carla hat einen Penis und heißt eigentlich Engelbert).

Dabei hinterfragen die drei Teens die Rahmenbedingungen, unter denen sie ins Erwachsenenleben starten und loten immer wieder aus, was sie für sich selbst ändern oder verbessern können. Ganz besonders dann lauern unangenehme Situationen oder gar Gefahren: Wie sage ich nein, wenn ich etwas nicht möchte? Wo setze ich Grenzen, wenn es um meinen Körper geht?

Sanfte Heranführung an sensible Themen von Autorin Elisabeth Steinkellner

Zwischen den Zeilen thematisiert die Autorin #MeToo und Missbrauch und verpackt diese schweren Themen pädagogisch so geschickt, dass es die Leserin sanft aber doch unmissverständlich für vermeintliches Fehlverhalten sensibilisiert.

Buch-Infos

Steinkellner, Elisabeth: „Papierklavier“; Beltz & Gelberg 2020; 140 Seiten; 14,95 Euro.

Diese Coming-of-age-Story ist filmreif. Sie greift alles auf, mit was Teenager:innen konfrontiert sind und verschweigt keine Schieflage unserer Gesellschaft.

Sehnsucht, dass die Geschichte von Maia und ihrer Familie weitergeht

Nach 140 Seiten ist Schluss. Der Wunsch des Weiterlesens aber bleibt. Zu gerne möchte ich wissen, was die vererbten Rechte an einer Komposition von Oma Sieglinde der Mutter und ihren drei Töchtern bringt. Ob sie endlich eine größere Wohnung finden. Ob das Dreier-Etagenbett seinen Dienst getan hat. Ob Heidi ihrem Talent des Klavierspielens und Komponierens wieder nachgehen kann und nicht mehr auf dem Papierklavier improvisieren muss.

Die Illustrationen sind kunstvoll und außergewöhnlich. Werden aber tatsächlich nebensächlich ob der Wichtigkeit des Geschriebenen.

Ein mutiges Jugendbuch, dass dem Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis strotzen kann.