Es liegt nicht nur an Corona. Aber die Pandemie hat der Kirche in erschreckender Weise deutlich gemacht, was auf sie zu kommt. Sie verliert Mitglieder, und sie wird weniger Geld zur Verfügung haben als gewohnt. Auch die finanziell vergleichsweise potente Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) muss sich auf magere Jahre einstellen – mehr magere Jahre als die biblischen sieben.
Neu ist das nicht. Die sogenannte „Freiburger Studie“ hat der Evangelischen Kirche in Deutschland schon im vergangenen Jahr schonungslos aufgezeigt, dass ihr 2060 nur noch halb so viele Menschen angehören werden wie heute. Es könnte sogar schlimmer kommen. Denn in den beiden vergangenen Jahren ging ihre Zahl noch stärker zurück als in der Studie angenommen. Der EKHN-Synode hat daher am 21. September auf ihrer Sondersitzung einen Zwischenbericht vorgelegt, in dem gezeigt wird, wie es weitergehen soll.
Doch da herrscht allgemeine Ratlosigkeit. Zwar ist die Rede von Prioritäten und Posterioritäten – also davon, was künftig wichtig sein soll und was nicht. Doch bislang fehlt allen Beteiligten der Mut zu sagen: Das mach wir auch in Zukunft, und das lassen wir künftig sein. Dieses Zögern ist begreiflich, doch um solch schmerzliche Entscheidungen wird die Kirche nicht herumkommen.
Sie versucht ja schon nach Kräften, Ballast abzuwerfen, und will sich von einem großen Teil ihres überreichen Bestands an Gebäuden aus den fetten Jahren trennen. Auch reduziert sie die Zahl ihrer Pfarrstellen entsprechend dem Schrumpfungsprozess in der Mitgliedschaft. Allerdings missverstehen viele Pfarrerinnen und Pfarrer das nicht als Folge, sondern als Ursache des Mitgliederschwunds.
Eine Vielzahl von „Prüfaufträgen“ in der Prioritätenplanung signalisiert indes das verzweifelte Bemühen, alles auch weiterhin zu tun, nur mit weniger Mitteln. Leitgedanke für die Zukunft ist nach Darstellung von Kirchenpräsident Volker Jung, dass die Kirche sowohl nahe bei den Mitgliedern als auch nahe beim Gemeinwesen sein soll. Das sind hehre Ziele. Aber sind sie auch zu halten?
Um „dem Gemeinwesen nahe“ zu sein, bedarf es eines entsprechenden Auftritts und tatkräftigen Handelns in der Öffentlichkeit. Zwar wurden in der Corona-Krise Teilbereiche wie etwa die Bildung vorerst noch von Kürzungen verschont. Doch in naher Zukunft, so legt es das Prioritätenpapier zumindest nahe, wird der Rasenmäher weder vor der Medienarbeit noch vor den Kindertagesstätten halt machen. Zwar ist viel von Kooperation, Konzentration und Vernetzung die Rede. Doch für eine Kirche, deren gesellschaftliche Relevanz ohnehin schwindet, wird der schrittweise – und vermutlich unausweichliche – Rückzug zur Abwärtsspirale.
Und „nahe bei den Mitgliedern“? Für eine ordentliche Mitgliederkommunikation fehlen der EKHN schon jetzt die Mittel. Das Vierteljahresmagazin „echt“, das per Post in alle evangelischen Haushalten im Kirchengebiet kam, wurde vor einigen Jahren durch drei Rundbriefe pro Jahr zu wechselnden Themen und mit begleitenden Kampagnen ersetzt – die finanzielle Not macht daraus jetzt so eine Art Jahreslosung.
Künftig soll die Digitalisierung der Kirche den Zugang zu ihren Mitgliedern erleichtern. Aktuell scheitert aber schon der Versand von E-Mails am fehlenden Adressmaterial. Da ist neue Online-Portal „indeon.de“, weiterentwickelt aus dem Internetauftritt der Evangelischen Sonntags-Zeitung, nun ein Versuch, junge Menschen mit eher loser Kirchenbindung zu erreichen. Gerade diese Generation ist es nämlich, die mit erhöhter Austrittsneigung den Mitgliederschwund beschleunigt.
So fatal dies momentan auch erscheinen mag, so birgt es auch Chancen. Gegen den demografischen Wandel ist die Kirche machtlos. Die Beziehung zu ihren Mitgliedern festigen – das hat sie selbst in der Hand.
„In der Kirche fehlt der Mut“