Zukunft der Kirche

Wie kann Kirche mit weniger Mitgliedern überleben?

Kristian Fechtner zum Mitgliederschwund der Kirchen
privat

Sollte sich die Kirche angesichts weniger Mitglieder abkapseln? Genau davor warnt der Mainzer Theologe Kristian Fechtner.

Die Kirche darf sich nicht abkapseln. Der Mainzer Theologe Kristian Fechtner warnt angesichts sinkender Mitgliedszahlen vor einer Wagenburg-Mentalität. „Wir werden nicht verhindern können, dass die Kirche kleiner wird, aber wir werden alles dafür tun, dass sie nicht kleinlicher wird“, zitierte er den Theologen Heinz Zahrnt in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Kirchenstatistik

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat im vergangenen Jahr 36.796 Mitglieder verloren. Damit nahm der Mitgliederschwund um 2,5 Prozent gegenüber dem Rückgang von 2,2 Prozent im Jahr 2019 weiter zu, wie die Kirche mitteilte. Ende 2020 zählte die EKHN 1.446.971 Mitglieder in ihren 1.103 Kirchengemeinden, ein Jahr zuvor waren es noch 1.483.767 Mitglieder gewesen. Die Gründe: Sterbefälle, Austritte, Wegzüge und die die pandemiebedingte geringere Zahl der Taufen.

Auch deutschlandweit haben die großen christlichen Kirchen Mitglieder verloren. 2020 sank die Zahl der Angehörigen der evangelischen Kirche auf rund 20,2 Millionen (2019: 20,7), rund 22,2 Millionen Menschen waren noch in der katholischen Kirche (2019: 22,6).

Die Kirche müsse mit beispielhaftem Handeln ihre Haltung und Kompetenz in ethische Konflikte einbringen, etwa in Fragen des Sterbens oder in der Anwaltschaft für Geflüchtete. Dann gewinne sie gesellschaftliche Akzeptanz.

„Wenn die verspielt wird, wird die Volkskirche nicht mehr funktionieren.“ Außerdem müsse die Kirche ihren Erfahrungsschatz für den Einzelnen an Wendepunkten seines Lebens erschließen.

Corona-Krise beschleunigt den Mitgliederschwund der Kirche

Die Mitgliederzahlen der Kirchen werden nach den Worten des Mainzer Theologen noch schneller schrumpfen als in der Freiburger Studie von 2019 prognostiziert. Die Forscher um den Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen schätzten, dass die beiden großen Kirchen bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder und Einnahmen verlieren.

Portraitfoto von Kristian Fechtner
Johannes Gutenberg Universität Mainz

Aktuell führten die durch die Corona-Pandemie erzwungenen Kontaktbeschränkungen dazu, dass mehr kirchenferne Mitglieder über ihren Austritt nachdächten, sagte Fechtner. Außerdem steckten die großen Kirchen seit einigen Jahren in einer Vertrauenskrise, weil sie, etwa beim Umgang mit sexuellem Missbrauch, als reformunwillig oder -unfähig wahrgenommen würden. Mancherorts erscheine nun nicht das Verbleiben als Mitglied begründungspflichtig.

Kirche soll sich auf wenige qualitativ hochwertige Angebote spezialisieren

Als Konsequenz müssten die Kirchen ihre Aktivitäten verringern, erklärte Fechtner. „Die Frage ist: Wird die Reduktion zu einer Konzentration kirchlicher Arbeit führen?“ Die Kirche werde nicht mehr die ganze Palette ihrer Arbeit an jedem Ort vorhalten können.

Sie werde Angebote beispielhaft machen, müsse aber deren Qualität hochhalten. „Es wird nicht mehr darauf ankommen, wie viele Gottesdienste sonntags gehalten werden, sondern ob in einer erreichbaren Entfernung gute, anmutige Gottesdienste angeboten werden“, sagte Fechtner.

Kirche braucht nicht nur Pfarrer:innen vor Ort

Warum Menschen aus der evangelischen Kirche austreten

Einer Untersuchung zufolge treten Menschen überwiegend dann aus der evangelischen Kirche aus, wenn sie selbst distanziert zum christlichen Glauben stehen oder wenn sie die Kirchensteuer sparen wollen. Zu diesem Ergebnis ist eine Pilotstudie der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Evangelischen Kirche von Westfalen gekommen. 

Die Zukunft der Kirche liegt nach den Worten des Theologen daher nicht ausschließlich in den Ortsgemeinden. „Eine Unterstützungskultur jenseits der Ortsgemeinden ist unverzichtbar.“ Sonst gingen fachliche Qualität und Innovationskräfte verloren. Außerdem wollten auch Menschen, die wenig oder keinen Kontakt zur Ortsgemeinde hätten, eine kirchliche Begleitung etwa bei der Hochzeit oder Bestattung. „Es braucht Gelegenheitsstrukturen, die quer zu den Ortsgemeinden liegen“, sagte Fechtner. So richteten manche evangelische Landeskirchen Agenturen für kirchliche Feiern an den Wendepunkten des Lebens ein.