Mitgliedszahlen der Kirche

Der evangelische Patient - Tipps zum Gesunden

Der evangelische Patient
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Woran krankt die Evangelischen Kirche? Weniger Kirchenmitglieder und die Verantwortlichen scheinen gelähmt. Die Autoren Klaus Douglass und Fabian Vogt empfehlen folgende Therapie.

„Das haben wir schon immer so gemacht.“ Dieser Satz strotzt vor Bequemlichkeit und zeigt, wie verfahren Standpunkte sein können. Und ehe man sich versieht, ist man wie gelähmt. So sehen die Autoren Klaus Douglass und Fabian Vogt ihre Kirche. Und präsentieren Rezepte, die dem evangelischen Patient helfen können.  

Buchcover
Evangelische Verlagsanstalt Leipzig

Dabei sind Klaus Douglass und Fabian Vogt Pfarrer und sie sind Freunde. Zusammen gearbeitet haben sie in der innovativen evangelischen Kirchengemeinde in Niederhöchstadt bei Frankfurt. In ganz Deutschland bekannt geworden ist die Gemeinde mit ihrem besonderen Gottesdienst „Go special“.

Die beiden sind auch Buchautoren, meistens getrennt, manchmal auch gemeinsam. So wie beim jüngsten Projekt „Der evangelische Patient“. Untertitel: „Die Kirche: eine Heilungsgeschichte“.

Die Kirche ist krank, die Pfarrer möchten ihr helfen

Immer weniger Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, weniger Ehrenamtliche, abnehmende Finanzen. Die Kirche ist krank und das Pfarrer-Duo möchte ihr gesunden helfen. Womit? Kurzgesagt: mit dem Glauben.

Es gelte, die richtigen Fragen zu stellen. Es helfe nicht, zu fragen, ob Jesus über das Wasser gegangen sei. Die Frage müsste vielmehr lauten: „Kann dieser Jesus auch mir helfen, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht? Und: Kann er meiner Kirche helfen?“

Der Heilungsplan soll Anregung sein, nicht Verriss der Kirche

Fabian Vogt
privat
Fabian Vogt

Die beiden wollen den Ast, auf dem sie sitzen, nicht absägen. Fabian Vogt arbeitet unter anderem als Pfarrer für Kommunikationsprojekte in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau (EKHN). Klaus Douglass leitet die Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung (midi) in Berlin. Die Heilungsgeschichten mit ihren entsprechenden Therapievorschlägen verstehen sie als Anregung, nicht als Verriss.

Gesundwerden ist nichts für Weicheier

An zwölf Heilungsgeschichten des Neuen Testaments machen sie exemplarisch fest, was sie darunter verstehen. Den Reigen beginnt der Gelähmte am Teich von Betseda (Johannes 5,1-15). Seit 38 Jahren ist er krank, hat sich daran gewöhnt, nicht mehr aufstehen zu können.

Jesus fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Dumme Frage, mag man denken. Was denn sonst? Aber natürlich ist die Frage sehr berechtigt. Der Kranke müsste seinen Status aufgeben, er müsste sich anstrengen. Gesundwerden ist nichts für Weicheier.

Aus Bequemlichkeit: 40 Jahre lang liegt die Frau im Bett

Die Autoren setzen eine Geschichte aus England dazu. Eine 34-jährige Frau bekommt eine Grippe. Der Arzt verordnet ihr, im Bett zu bleiben, bis er wieder nach ihr schaut. Nach einigen Tagen ist sie wieder mopsfidel.  Der Arzt aber taucht nicht auf. Sie bleibt im Bett, wie der Doktor es verordnet hat.

Klaus Douglass
privat
Klaus Douglass

Die Frau stellt fest, dass es ganz angenehm ist, liegen zu bleiben und sich von der Mutter umsorgen zu lassen. Als diese nach einigen Jahren stirbt, übernimmt ihr Schwager die Betreuung. 40 Jahre lang geht das so. Dann endlich kommt ein neuer Arzt. Er stellt fest, dass die mittlerweile 74-Jährige kerngesund ist. Sie ist dick geworden, die Muskeln schwach.

Nach einem guten halben Jahr ist sie dann aber doch so weit, aufstehen zu können. Mit 78 stirbt sie. Klingt schrägt. Klaus Douglass schwört Stein und Bein, dass die Geschichte stimmt.

Das haben wir doch schon immer so gemacht.

Die Autoren ziehen Analogien zur Kirche. Es sei ja bequem, sich festzulegen auf einen Standpunkt, auf bestimmte Umstände oder eine bestimmte Rolle oder eben auf das Bett der Tradition: „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder einer bestimmten Theologie: „Das, was wir machen, funktioniert zwar nicht, ist aber theologisch richtig.“ Und ehe man sich versieht, sei man wie gelähmt.

Der Mann am Teich von Betseda hat feste Vorstellungen davon, wie seine Heilung zu bewerkstelligen sei. Darauf geht Jesus aber gar nicht ein. Alte Rezepte wirken nicht, der Gelähmte soll Neues ausprobieren. Jesus sagt schlicht: „Nimm deine Matte und geh!“ Er ermuntert den Mann, der kraft- und mutlos ist: Du kannst das!

Auch die Kirche hat ihre Kraft verloren

Als kraftlos bezeichnen die Autoren auch die Kirche, nicht nur wegen steigender Austrittszahlen oder schwindender Finanzkraft. Unter den Protestanten kenne kaum jemand mehr die Bibel oder lebe gar mit ihr – bis in die Kirchenvorstände hinein. „Es ist mit Händen zu greifen, dass unsere Kirche ihre Kraft verloren hat“, schreibt Douglass. Das mache sie als evangelischen Patienten vergleichbar mit dem Gelähmten vom Teich.  

Wer erwartet eigentlich, dass Gott im Gottesdienst spürbar und erfahrbar wird?

Die Autoren stellen nicht nur Diagnosen, sondern haben auch einen Koffer dabei mit medizinischem Gerät und Medikamenten. Heilung sehen sie in erster Linie in den drei großen B’s: Berührung, Begegnung, Beziehung.

Menschen ließen sich berühren, man müsse es nur versuchen. „Spirituelles wird immer nur der Pfarrperson zugeschrieben“, moniert zum Beispiel Fabian Vogt. „Warum haben wir so wenig Spirituelles auf der Tagesordnung einer Kirchenvorstandssitzung?“, fragt Klaus Douglass. Und weiter: „Wer erwartet eigentlich, dass Gott im Gottesdienst spürbar und erfahrbar wird?“

In der Spiritualität sehen die beiden den wichtigsten Schlüssel für die Zukunft der Kirche. Kirchenvorstände sollten sich wieder als geistliche Gremien begreifen.

Niemand hat von sich aus offene Ohren für Gott

Dabei handele es sich keineswegs um eine natürliche Fähigkeit, sondern das müsse erlernt werden. Mehr denn je bräuchte Kirche Menschen mit einer „mystagogischen Kompetenz“ (Mystagogen waren in der Antike die Priester, die in die Mysterien einführten).

Die beiden Pfarrer denken an Lehrerinnen und Lehrer des Gebets, Meditationsanleiter und Lobpreisleiterinnen, Menschen, die zeigen, wie man die Bibel lesen kann.  Aber vor allem bräuchten Menschen Heilung. Niemand habe von sich aus offene Ohren für Gott.

Auferstehung ist kein Thema, aber das Benutzen von Plastikgeschirr

Die evangelische Kirche neige dazu, Vielfalt zu akzeptieren, weil sie gerne von allen gemocht werden wolle. Nur bei politischen Inhalten werde es schärfer. Natürlich müsse Kirche auch politisch sein. „Aber was ist das für eine Prioritätensetzung, wenn man in unserer Kirche die Auferstehung Jesu durchaus in Frage stellen kann, aber sofort energischen Widerspruch erfährt, wenn man ausnahmsweise Plastikgeschirr benutzt?“, fragt Fabian Vogt.

Protestantismus wird eher politisch denn als geistlich wahrgenommen 

Die evangelische Kirche erwecke oftmals den Eindruck, dass sie theologische Konflikte eher scheut. Es werde kaum deutlich, worin sich ihre Botschaft von der einer politischen Partei unterscheide. Es habe mit dem Vielfalts-Dilemma und der Vernachlässigung der ur-eigenen Kernkompetenz zu tun, dass der Protestantismus heute eher politisch denn als geistlich wahrgenommen werde.

Sie schlagen vor:

  • Der Kirchenvorstand soll über den Glauben reden.
  • Pfarrerinnen und Pfarrer müssen Menschen sprachfähig machen
  • Es braucht geschützte Räume zum Üben
  • Menschen sollen in Berührung mit Jesus kommen

Für ein Jahr den kirchlichen Betrieb stilllegen

Buch-Infos

Klaus Douglass/Fabian Vogt: „Der evangelische Patient - Die Kirche: eine Heilungsgeschichte“; Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2021; 216 Seiten; 15 Euro.

Und eine kleine Utopie wagen sie auch: Ein Jahr den gesamten kirchlichen Betrieb stilllegen und zwei Dinge tun: intensiv beten und die Menschen eingehend befragen: Was wollt ihr, dass Jesus euch tut? Was braucht ihr wirklich? Was sind eure tiefsten Sehnsüchte und Bedürfnisse – und wie können wir als Kirche Jesu Christi euch helfen?

Pfarrerin will nicht mehr kirchliches Sahnehäubchen sein

Ihr Grundrezept lautet: eine große Dosis Glauben. Praktische Beispiele dafür bieten sie auch, zum Beispiel die Pfarrerin, die keine Lust mehr hatte, als kirchliches Sahnehäubchen runde Geburtstage von Seniorinnen und Senioren zu verzieren. Sie erscheint jetzt nur noch, wenn sie auch eine Andacht halten darf. Bislang habe noch keiner abgesagt. „Im Gegenteil, die Leute freuen sich, dass die Pfarrerin das tut, wofür sie da ist: Sie redet von Gott.“