Alles nur Aberglaube?

An Schutzengel glauben? Bringt das was?

Eine Frau mit Engelsflügeln in einer Straßenbahn
pexels/Anastasiia Shevchenko
Mehr als die Hälfte der Deutschen glaubt an Schutzengel.

Der Glaube an Engel ist ungebrochen. Schutzengel stärken bei Krankheit, Prüfungen oder einer ungewissen Zukunft. Wirklich.

Stell dir vor: Deine Nachbarin muss überraschend ins Krankenhaus. Eine Operation steht an. Kurz bevor das Taxi sie abholt, klingelt die Frau von gegenüber bei ihr. Sie macht nicht viele Worte. Es ist ihr ein Bedürfnis, der Freundin für die Operation noch etwas mit auf den Weg zu geben.

Aus ihrer Handtasche fischt sie einen kleinen Engel aus Holz.

So ein Schutzengel kann doch nicht schaden.

Deine Nachbarin ist gerührt. Sie wird den Engel mit ihrer Hand fest umklammern, wenn das Pflegepersonal sie in den OP-Saal schiebt.

Glaube an Engel nicht nur christliche Tradition

In fast allen Kulturen, im Islam, im Judentum finden sich Schutzbringer. Schutzengel als Helfer Gottes stehen in christlicher Tradition.

Für Psychotherapeut und Religionspsychologe Sebastian Murken ist nicht entscheidend, ob Gott wirkt oder nicht, viel wichtiger ist etwas anderes:

Der Glaube an Gott, der kann sehr wohl wirksam sein.

Sebastian Murken

Der Glaube bringe eine positive Erwartungshaltung, eine positive Wahrnehmungseinstellung mit und bewirke so letztlich einen „hochwirksamen Placebo-Effekt, da gibt es gar keinen Zweifel“.

Und genauso sei es auch mit Schutzengeln.  

Warum helfen Schutzengel in der Tasche?

Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Goethe-Universität Frankfurt am Main David Käbisch
Goethe-Universität Frankfurt

David Käbisch als praktischer Theologe versucht das Engelphänomen zu verstehen. Er versucht herauszufinden, warum Menschen Engel brauchen

Warum reicht es nicht, dass sich Freunde, Familienmitglieder oder Kollegen vor schweren Operationen oder Prüfungen einfach die Hand reichen, sich tief in die Augen schauen und sich von Herzen Glück wünschen? „Weil es ein allgemein menschliches Bedürfnis ist, dass alles, was unanschaulich ist, anschaulich und konkret gemacht werden muss“, sagt Käbisch. 

Historisches Angeber-Wissen über Engel

Teil 1

In der Bibel übrigens gibt es keine Engelverehrung. Der Theologe Claus Westermann schreibt: „Auch haben die Engel, die Boten Gottes der biblischen Erzählungen, keine Geschichte. Die Boten Gottes kommen, verweilen einige Augenblicke und verschwinden spurlos.“

Wo gibt es eigentlich keine Engel?

  • Malereien in Kirchen
  • in der Werbung für Autos
  • auf der Packung vom  Frischkäse
  • auf Buch-Covern
  • als Schlüsselanhänger
  • ganze Kalender 
  • aufgedruckt auf Kleidung…

Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Engel sind nahezu allgegenwärtig.

David Käbisch sieht Engel als Mittlerwesen, die zwischen Gott und den Menschen vermitteln. „Die Tendenz von Individualisierung von Religion heißt eben auch, dass jeder sich seine eigenen Objekte der Anbetung schafft“, so der Theologe. 

Schutzengel haben eine Hand am Menschen, eine am Himmel

Für den Mainzer Religionspsychologen Sebastian Murken sind die Engel längst „ein selbstverständlicher Bestandteil der Alltagskultur“ geworden. Er spricht sogar „von einem Engelboom in den vergangenen 20 Jahren“.

Schutzengel sind treue Begleiter.
gettyimages/piranka

Glaube an Engel hilft beim Visualisieren

Für ihn sind all die Schutzbringer eine wichtige Brücke: Sie helfen Menschen, in dieser Welt mit der Energie oder dem, was auch immer auf der anderen Seite existiert, in Verbindung zu gelangen. Und sie alle haben mehr Kraft als ein einzelnes Wort: „Weil wir sinnliche Menschen sind und ein Gedanke oder ein Wort allein nicht so tragfähig sind“, sagt Murken.

Engel im Christentum

Teil 2

Martin Luther sah im Engel die anschauliche Gegenwart Gottes, die den Menschen schützend zur Seite stand. Während sie in der katholischen Kirche immer wichtig waren, war das in der evangelischen anders. Protestant:innen haben früher Engel als Volksfrömmigkeit und Aberglaube abgetan. Sie galten sogar als okkult. Heute nicht mehr.

Engel sind beliebter als Gott

„Die Idee, dass jeder einen Engel für sich hat, ist natürlich viel sympathischer, als dass da ein Gott sein soll, der gleichzeitig überall auf der Welt für alle da sein soll“, so Religionswissenschaftler Murken. „Sie haben sich als aufgeladene spirituelle Symbole sehr von einem christlichen Glauben oder von christlichen Inhalten abgelöst.“

Schutzengel und Gott als Zuversichts-Pille 

Bei den Christen habe früher gegolten: „Der Mensch ist der Diener Gottes.“ Heute habe sich das völlig umgekehrt und die Schutzengel „sind letztlich die Dienstleister des Menschen, wenn sie richtig genutzt werden“, sagt der Psychologe. Und so kann sich jeder seinen eigenen Engel aussuchen. 

„Gott kommt durch die Hintertür ins Spiel“

Einen Grund für diese Entwicklung sieht der Frankfurter Theologe David Käbisch in einem Gottesbild, das für ihn schlichtweg zu sehr belastet ist. Daran, dass Gott ein alter Mann mit weißem Bart sei und von einer Wolke aus die Geschicke der Welt lenke, glaube wohl kaum einer mehr.

Gott ist in unserer Gesellschaft deutlich negativer konnotiert.

David Käbisch

„Engel dagegen werden deutlich positiver wahrgenommen“, sagt er.

Aufgabe der Engel in der christlichen Tradition

Dennoch sei in der christlichen Tradition völlig klar, dass Engel nicht unabhängig sind, sondern von Gott geschickt werden, um eine Botschaft zu überbringen, aber auch um zu retten: „Gott kommt so immer durch die Hintertür ins Spiel.“

Für ihn ist das Gespräch über Engel eine Form, „um über Ängste und Sorgen, aber auch um über Hoffnungen und Erwartungen“ zu sprechen.

Engel erlauben Glauben

Außerdem erleichtern Engel das Gespräch über Glauben: „Ich erkenne an, dass es im Leben auch etwas gibt, was unverfügbar ist.“ Zum Beispiel weiß die Nachbarin nicht, ob ihre Freundin die Operation übersteht, aber sie hat so die Hoffnung, dass nichts passiert.

Wie stehst du zu Engeln?

Vielleicht hast du auch schon einmal einen Schutzengel geschenkt bekommen? Oder du hast eine ganz besondere Beziehung zu Engeln? Schreib mir doch deine Geschichte. Gerne direkt als Mail in die indeon-Redaktion oder über unsere Social-Media-Kanäle über: 

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