Stereotype

Vorurteile? Ich doch nicht!?

Junge Frau mit Wollmütze schaut ernst in die Kamera. Dazu die Frage: Was denkst du über mich?
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Vorurteile verbreiten sich derzeit, sagt eine neue Studie. Wie kann das sein? Und wie stark sind eigentlich die Vorurteile in dir?

Frauen mit Kopftuch sind unterdrückt, Arbeitslose sind faul, und Ukrainer kommen als „Sozialtouristen“ hierher, um Sozialleistungen zu beziehen.

Wie entstehen Vorurteile?

Glaubst du an eine oder mehrere dieser Aussagen? Falls ja, bist du nicht alleine damit. Viele glauben daran. Es handelt sich hierbei um Vorurteile.

Die Uni Leipzig hat ihre Autoritarismus-Studie veröffentlicht (PDF). Sie tut das immer in zweijährigem Abstand.

Die gute Nachricht der neuen Studie: Rechtsextreme Überzeugungen sind in unserer Gesellschaft auf dem Rückzug. Die schlechte Nachricht: Dafür verbreiten sich Vorurteile bis weit in die Mitte hinein.

Ein Mensch hat doch Vorurteile, oder er hat eben keine. Wie kann sich das verändern?

Guter Einwand. Ja, stimmt schon. Das bestätigt auch die Forschung. Es gibt Regalmeter an Studien, wonach ein Zusammenhang besteht zwischen den Vorurteilen, die ein Mensch hat, und seinen Persönlichkeitseigenschaften.

Persönlichkeitseigenschaften bedeutet: Sie treten bei einem Menschen über einen langen Zeitraum über verschiedene Situationen hinweg auf, sind also sehr stabil und nicht leicht veränderbar.

Aaaber: Auf unser Verhalten hat eben nicht nur unsere Persönlichkeit Einfluss. Sondern eben auch die jeweilige Situation.

Schwer zu kapieren. Soll das heißen, manchmal hat man Vorurteile und manchmal nicht?

Es soll eher heißen: Manchmal zeigen wir sie und manchmal nicht. Es ist so, dass wir alle gewisse Stereotype mit uns herumtragen. Wir Menschen kategorisieren nun mal unsere Umwelt und unsere Mitmenschen, das ist eine Werkseinstellung unseres Gehirns.

Frauengesicht in verschiedenen Facetten
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Wenn wir diese Stereotype dann positiv oder negativ bewerten, wird daraus ein Vorurteil. Wir assoziieren, sagt die Sozialpsychologie dazu.

Die meisten dieser Assoziationen sind uns nicht bewusst. Sie sind „implizit“, im Gegensatz zu expliziten Gehirnfunktionen, die uns bewusst zugänglich sind.

Es gibt übrigens Methoden, um solche impliziten Assoziationen sichtbar zu machen. Hast du Lust, dich selbst darauf testen? Die verbreitetste Methode dafür ist der sogenannte IAT, der „Implicite Association Test“ der Universität Harvard.

Aber wenn wir alle nun diese impliziten Assoziationen haben, warum zeigen sie sich dann bei einigen Menschen stärker als bei anderen?

Zunächst einmal haben wir ja nicht alle die gleichen impliziten Assoziationen. Und dann haben ja nicht nur die automatischen Prozesse unseres Gehirns Einfluss auf unser Handeln, sondern auch die kontrollierten. Also nicht nur unser Un-, Unter- und Vorbewusstes, sondern auch unser Bewusstes.

Soll heißen: Wir haben so etwas wie einen inneren Richter, der uns sagt, ob das, was wir denken, richtig oder falsch ist.

Diese kontrollierten Prozesse laufen aber wiederum nicht ohne Einflüsse von innen und außen ab. Ob und wie unser innerer Richter funktioniert, hängt vor allem von zwei Faktoren ab:

  • Motivation: Will ich meine Vorurteile überhaupt kontrollieren? Bin ich motiviert, ein guter Mensch zu sein, oder ist mir das piepe?
  • Verarbeitungskapazität: Diese kontrollierten Prozesse setzen kognitive Ressourcen voraus, also Gehirnkapazität.

Gehirnkapazität? Soll das etwa heißen, dumme Menschen haben mehr Vorurteile als intelligente?

Die individuelle Intelligenz ist durchaus ein Einflussfaktor, ja. Aber so einfach ist es nicht. Mit kognitiven Ressourcen ist noch mehr gemeint.

Gehirnprozesse brauchen Zeit. Diese Zeit muss man ja erst mal haben. Studien belegen, dass Menschen umso weniger Vorurteile zeigen, je mehr Zeit sie für ihre Entscheidungen bekommen. Sind wir nämlich unter Zeitdruck, greift das Gehirn auf seine automatischen Prozesse zurück.

Außerdem ist unser aller Gehirnkapazität ja beschränkt. Irgendwo ist für uns alle eine Grenze erreicht. Je nachdem, wie viele Dinge mir sonst noch so im Kopf herumschwirren, habe ich eine unterschiedliche Kapazität.

Mann mit geschlossenen Augen. In seinem Kopf scheinen Puzzle-Teile zu fehlen, sie schweben um ihn herum.
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Das heißt: Wenn mich viele Dinge beschäftigen, habe ich weniger Ressourcen, um mich mit meinen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Wenn ich mir zum Beispiel Sorgen um meine Zukunft mache, weil ich krank oder arbeitslos bin. Oder weil ich Angst vor einem Atomkrieg habe. Oder vor Corona. Oder vor der Impfung dagegen.

Und jetzt kommt wieder die Leipziger Autoritarismus-Studie von oben ins Spiel. Ihr Titel heißt „Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten“. Uns alle beschäftigen im Moment ziemlich viele unangenehme Dinge:

  • Krieg in der Ukraine
  • Preise steigen und steigen
  • Corona ist noch nicht vorbei

Nicht die besten Zeiten, um über sich und seine impliziten Assoziationen nachzudenken. Dementsprechend gewinnen sie derzeit mehr Einfluss auf unser Handeln.

Okay, verstanden. Aber wer sagt, dass an manchen Vorurteilen nicht doch etwas dran ist?

Die Logik. Wenn man sich Vorurteile systematisch anschaut, dann sieht man, dass sie eben nicht einheitlich sind. Verschiedene Völker haben verschiedene Vorurteile über ein und die selbe Gruppe. Das wäre ja nicht möglich, wenn diese Vorurteile auf überprüfbaren Tatsachen beruhten.

Der „Implicite Association Test“

Stell dir vor, du müsstest Spielkarten sortieren. Herz und Karo auf einen Haufen, Pik und Kreuz auf einen anderen. Das dürftest du ziemlich locker hinkriegen. Nun stell dir vor, du müsstest die Karten noch einmal sortieren: Herz und Kreuz sowie Karo und Pik. Du brauchst dazu sehr wahrscheinlich mehr Zeit.

Der Grund dafür ist, dass du implizite Assoziationen hast: Herz und Karo sind rot, Pik und Kreuz schwarz. Diese Assoziationen helfen dir beim Sortieren.

Der „Implicit Association Test“ (IAT) funktioniert ähnlich: Du sollst darin helle und dunkle Gesichter einerseits sowie positive und negative Begriffe andererseits auf zwei Stapel sortieren. Und anschließend umgekehrt. Der IAT misst die Zeiten, die du für diese beiden Aufgaben benötigst.

Der IAT ist in der Fachwelt nicht ganz unumstritten. Mitunter wird angezweifelt, dass er das misst, was er messen soll. Trotzdem ist er zur Erkennung impliziter Assoziationen derzeit das Standardverfahren.

Mag sein. Aber hat man denn mal wissenschaftlich untersucht, ob Stereotype nicht doch einen wahren Kern haben könnten?

Ja, hat man. Sogar ziemlich lange. Von den 1940er bis in die 1990er Jahre hinein gab es Psychologen, die diese sogenannte Kernel-of-truth-Hypothese erforscht haben. Diejenigen, die diese Hypothese vertreten haben, sind aber letztlich argumentativ ziemlich baden gegangen. Sie konnten nie erklären, warum Vorurteile abhängig von sozialen Kontexten sind.

Und übrigens auch abhängig von der Zeit. Denk mal nur daran, wie sich Vorteile innerhalb Europas seit dem Zweiten Weltkrieg verändert haben. Wie aus erbitterten Feinde Freunde geworden sind. Dadurch haben sich ja auch die Stereotype verändert, obwohl die Menschen dieselben geblieben sind.

Wie wenig an Vorurteilen dran ist, konnte man 2022 beim CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz beobachten. Er hatte gesagt, dass viele Flüchtlinge aus der Ukraine als „Sozialtouristen“ hier aufschlügen. Dass sie also herkommen, hier Sozialleistungen beziehen und dann wieder zurückfahren.

Vorurteile erkennen

Das ist ein ziemlich weit verbreitetes Vorurteil gegen alle möglichen Migrantinnen und Migranten. Im Falle von Merz' Behauptung kann es aber so pauschal gar nicht stimmen. Man kann sich nicht einfach in Kyiv in einen Bus setzen, nach Berlin fahren, hier Geld abzocken und wieder zurückfahren. Um nämlich in Deutschland Sozialleistungen zu bekommen, muss man hier seinen Wohnsitz haben.

Dieses Vorurteil ist also recht leicht zu erkennen, wenn man darüber nachdenkt. Man braucht dazu nur ein wenig Zeit.