Polyamorie

Polyamore Menschen berichten von ihren Erfahrungen

Die drei Frauen an einem Geländer
epd-bild/Uwe Anspach
Lara, Julia und Elena (von links) leben polyamor.

Polyamorie bedeutet mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben. Wir haben mit Menschen gesprochen, die polyamor leben.

Auf ihrem Miniatur-Profilbild auf Instagram wird es ganz schön eng. So gerade passen die vier Frauen Elena, Julia, Lara und Viviane auf das Foto. Ihre drei Kinder und die Katzen sind nicht dabei.

Polyamorie - Drei Rasierer im Bad
Gettyimages/Punkbarby
Polyamorie - mehr als einen Partner lieben, heißt zum Beispiel: Drei Rasierer im Bad.

Die jungen Frauen im baden-württembergischen Rhein-Neckar-Kreis leben in einer polyamoren Beziehung. Auf Instagram zeigen sie unter dem Namen „happypolyfamily“ mehr als 20.000 Followern ihren Alltag. Julia ist mit Viviane verheiratet. Sie führt aber auch eine Beziehung mit Elena und Lara. Lara und Elena sind ebenfalls verheiratet. Die Kinder haben Julia und Viviane mit in die Beziehung gebracht.

Stefan Ossmann: Polyamorie basiert auf Liebe

Na, kommst du noch mit? Klingt bestimmt erst einmal kompliziert. Und ein bisschen ungewohnt. Die Frauen leben polyamor, von poly (mehrere) und amor (Liebe). Der Österreicher Sozialwissenschaftler Stefan Ossmann definiert Polyamorie als „eine einvernehmliche Beziehung zwischen mehr als zwei Personen, basierend auf emotionaler Liebe und intimen Praktiken über einen längeren Zeitraum hinweg“.

Begriff Polyamorie kommt aus den USA

Entstanden ist der Begriff in den 1990er-Jahren in den USA. Die ersten Menschen, die den Begriff Polyamorie verwendet haben, lassen sich dem queer-feministischen Umfeld zuordnen. Wie viele Menschen in Deutschland und weltweit heute polyamor leben, ist nicht genau bekannt. Ossmann, der an der Universität Wien seine Doktorarbeit über das Thema schreibt, unterscheidet zwischen zwei Formen:

  • Menschen, die polyamorös empfinden und
  • Menschen, die tatsächlich polyamor leben.

Etwa fünf Prozent der Menschen leben polyamor

Das dürften gerade einmal fünf Prozent sein, schätzt der Experte. Der Anteil der geouteten Personen sei noch niedriger. Zumal in manchen islamisch geprägten Ländern eine solche Beziehungsform als Todsünde gelte. Und auch hierzulande fehle es nach wie vor an Akzeptanz.

Polyamorie vs. Polygamie

Polyamorie ist von Polygamie (Vielehe) zu unterscheiden, bei der meist ein Mann eine Ehe oder eheähnliche Beziehung mit mehreren Personen des anderen Geschlecht führt. In den meisten Ländern ist Polygamie verboten. Auch von einer offenen Beziehung oder Swingern, wobei es in der Regel nur um sexuelle Kontakte zu anderen geht, unterscheidet sich Polyamorie.

Polyamore Beziehungen sind Ehe nicht gleichgesetzt

So sind polyamore Beziehungen juristisch gesehen in den meisten Ländern bislang nicht gleichgestellt zu monogamen Partnerschaften. In den USA verlangen Polyamoristen schon seit langer Zeit die Anerkennung ihrer Lebensform. In den Niederlanden haben vor einigen Jahren mehrere Tausend Menschen eine Petition für die gesetzliche Anerkennung der Beziehungsform unterzeichnet. 

In Deutschland hatte die Piratenpartei 2010 die Forderung nach einer Gleichstellung polyamorer Beziehungen in ihr Grundsatzprogramm aufgenommen und kämpft unter dem Motto „Die Homo-Ehe ist nicht genug“ nach wie vor für die Akzeptanz verschiedener Beziehungsformen. 

Polyamorie, Polygamie, Offene Beziehung und Swinger

Du kannst Polyamorie nicht mit Polygamie (Vielehe) gleichsetzen. Bei der Polygamie hat meist ein Mann eine Ehe oder eheähnliche Beziehung mit mehreren Personen des anderen Geschlecht (es gibt da noch weitere Unterscheidungen, die ich hier jetzt mal vernachlässige).

Während es in Afrika und in Asien Länder gibt, in denen Polygamie toleriert, erlaubt oder auch verbreitet ist, ist es in Deutschland verboten. Eine Doppelehe kann sogar mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Das deckt sich auch mit der Position der Vereinten Nationen. Das UN-Menschenrechtskomitee hat erklärt, dass „Polygamie die Würde von Frauen verletzt“ und abgeschafft werden müsse, „wo immer sie existiert“. 

Auch von einer offenen Beziehung oder Swingern, wobei es in der Regel nur um sexuelle Kontakte zu anderen geht, unterscheidet sich das Konzept der Polyamorie, wie Stefan Ossmann aus Wien betont.

Polyamorie ist gekennzeichnet von Freiwilligkeit und Gleichberechtigung.

Stefan Ossmann

Und: Es gibt verschiedene Formen von Polyamorie.

Verein für polyamore Menschen

Während Elena, Julia, Lara und Viviane eine feste Vierer-Beziehung in einem Haushalt führen, geht etwa Christopher Gottwald andere Wege. Der 51-Jährige wohnt in Berlin mit einer Frau zusammen.

Beide führen aber außerhalb der eigenen vier Wände noch andere „kleine“ Beziehungen, wie der Medienbeauftragte des 2008 gegründeten Vereins „Das Polyamore Netzwerk“ erklärt. „Ich flirte einfach super gern.“ Er genieße die Freiheit und möchte auch sein Gegenüber darin nicht beschränken.

Der ausgebildete Schauspieler merkte schon als Jugendlicher, dass die traditionelle Mann-Frau-Beziehung nichts für ihn ist: „Ich war damals oft verliebt und immer hat sich die Frau früher oder später neu verliebt und mich verlassen. Da hab ich mir gedacht: Muss das sein!?“

Damals habe ihm eine Plattform gefehlt, auf der er sich mit anderen hätte austauschen können. Nun gibt er selbst Workshops zu dem Thema. Das regelmäßige Poly-Treffen des Vereins findet zwei bis dreimal jährlich statt – nach eigenen Angaben mit meist mehr als hundert Teilnehmenden.

OkCupid gilt als beliebte Dating-Plattform

Sex & Gender

Neben dem biologischen Geschlecht (Sex), gibt es auch das soziale Geschlecht. Das nennt sich Gender. 

Ansonsten vernetzen sich Poly-Menschen zum Beispiel über lokale Facebook-Gruppen. Als bekannte Kennenlern-Börse gilt „OkCupid“. Dort können User zwischen 22 verschiedenen Geschlechtern und 13 sexuellen Ausrichtungen auswählen. Außerdem gibt es Optionen für Nicht-Monogamie.

Polyamore Partnerschaften stellen bekannte Rollenbilder in Frage. Was fehle, seien positive Vorbilder, sagt der Sozialwissenschaftler Ossmann. In der Öffentlichkeit seien eher abschreckende Beispiele bekannt wie der ehemalige Gründer der Kommune I aus Berlin und späterer Dschungelcamp-Kandidat Rainer Langhans, der in den 1970er-Jahren mit fünf Frauen zusammen lebte.

Es fehlen positive Poly-Vorbilder.

Stefan Ossmann

Auch Christopher Gottwald erzählt: „Ich weiß von vielen polyamor lebenden Menschen, dass die das zurückhalten, weil sie Angst haben, ihren Job zu verlieren.“

Das Vierergespann Elena, Julia, Lara und Viviane kennt abwertende Kommentare – allerdings nur in den Sozialen Netzwerken, wie sie betonen. Im realen Leben würden etwa die Eltern anderer Kinder eher locker reagieren. Da wären höchstens die Kleinen verwundert, fast schon ein wenig neidisch, und würden ihre Kinder fragen: „Warum habt ihr so viele Mütter?“

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Pfarrer thematisiert Polyamorie auf Instagram 

Auf Social Media gewinnt Polyamorie mehr an Sichtbarkeit. Neben „happypolyfamily“ geben auch einige andere polyamore Paare und Familien Einblicke in ihr Leben. Das beobachtet auch der evangelische Pfarrer Jörg Niesner, der sich wissenschaftlich-theologisch mit Polyamorie beschäftigt und das Thema auf seinem Instagram-Kanal aufgegriffen hat.

Die Bibel gibt keine monogame Ehe vor.

Jörg Niesner

Die User:innen waren verwundert, dass ein Theologe die Thematik aufgreift und nicht per se verurteilt, wie der Gemeindepfarrer aus Laubach bei Gießen erzählt. Er betont: „Die Bibel gibt keine monogame Ehe vor.“ Sie präsentiere vielmehr eine erstaunliche Bandbreite unterschiedlicher Beziehungsmodelle.

„Ich stelle mir eine polyamore Beziehung, in der es klare und faire Absprachen gibt, mitunter eher mit dem christlichen Glauben vereinbar vor, als solche monogamen Beziehungen, in denen es große Machtgefälle gibt“, sagt Niesner. Er ergänzt aber: „Ich glaube nicht, dass wir in Kirche nun alle anfangen müssen, über Polyamorie zu predigen.“ Wichtiger sei ein selbstverständlicher Umgang mit Menschen in anderen, alternativen Beziehungs- und Familienmodellen

Eifersucht ist eine Herausforderung in polyamoren Beziehungen

Nur die Eifersucht, geben polyamore Paare zu, sei so eine Sache. „Man muss schon sehr gesettelt sein, glücklich mit sich selbst“, ist Christopher Gottwald überzeugt. Auch Elena von „happypolyfamily“ war anfangs eifersüchtig: „Ich hatte Angst, ersetzt zu werden“, schreibt sie unter einen Instagram-Post zum Thema. „Heute passiert mir das nur noch selten. Ich spreche dann mit der betroffenen Person drüber. Es gibt mir Sicherheit, dass ich meine Unsicherheit aussprechen kann.“

Polyamorie - ein Beziehungsmodell der Zukunft? 

Seminarleiter Christopher Gottwald sieht in Poly-Beziehungen Zukunftspotenzial – zum Beispiel auch für Menschen mit Behinderung, Seniorinnen und Senioren. Er erzählt: „Ich kenne einen Menschen im Rollstuhl. Der meinte mal zu mir: Ich habe in der monogamen Welt kaum eine Chance auf eine Beziehung. Die Menschen haben Angst sie müssten mich den Rest ihres Lebens pflegen." Die Person, von der Gottwald berichtet, wäre schließlich mit mehreren Partnerinnen polyamore Beziehungen eingegangen und konnte dadurch wieder Sexualität leben.