Gesellschaft

„Minderwertig? Nein, anders!“ Warum Autismus kein Makel ist

Andreas Croonenbroreck vor zwei Monitoren, mit Grafik-Tablet, zweit Tastaturen und einem Midi-Keyboard
privat

Viele Autist*innen kämpfen mit Vorurteilen und Ablehnung. Doch sie sind nicht schwach, sondern nehmen die Welt anders wahr. Andreas erklärt, warum mehr Akzeptanz nötig ist.

von Charlotte Mühlhan

Stell dir vor, du bist ein verwirrtes kleines Kind. Alles um dich herum ist dir zu viel, vor allem die anderen Menschen. Unter Gleichaltrigen bist du ein Außenseiter, die Erzieherinnen scheinen nur wenig Verständnis für dich. So ging es Andreas Croonenbroeck. Er habe oft vor Angst geschrien und geweint.

Eine prägende Erinnerung aus seiner Kindheit beschreibt er so: „Die Erzieherinnen haben mich mit einem Tisch und Stuhl in den Flur gesetzt und zwei Gläser vor mich hingestellt.“ Sobald er die beiden Gläser vollgeweint habe, dürfe er nach Hause gehen, sagten sie. Was damals niemand wusste: Andreas hat das Asperger-Syndrom.

Leben mit Autismus: schwierige Kindheit

Was ist Autismus?

Autismus beschreibt als Überbegriffneurologische Auffälligkeiten in der Entwicklung. Autist*innen haben meist Schwierigkeiten in der Kommunikation und im sozialen Miteinander. Die Entwicklungsstörung ist angeboren und zeigt sich oft schon in der frühen Kindheit, wird mehrheitlich aber erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.

Die Versuche, sich den gesellschaftlichen Normen anzupassen, führten bei ihm zu depressiven Phasen.

Für Andreas Croonenbroeck ist das inzwischen lange her. Erst als er 37 Jahre alt ist, erhält er die Diagnose Asperger-Syndrom. Das ist eine Form von Autismus. Inzwischen arbeitet der 47-Jährige als selbstständiger Grafikdesigner, Journalist und Buchautor

Autismus in der Arbeitswelt

Schon bevor er die Diagnose erhielt, passte Andreas seine Arbeit an seine Bedürfnisse an.

Wie gehe ich mit Menschen mit Autismus um?

Menschen mit Autismus können schnell gestresst sein. Sie haben oft Probleme damit, Mimik und Emotionen zu erkennen. Geräusche, grelles Licht und Gerüche können sie ablenken. Deswegen: 

  • schaffe eine ruhige Umgebung
  • vermeide Augenkontakt, wenn es dein Gegenüber auch tut
  • lass Small-Talk weg
  • frage, was deinem Gegenüber unangenehm ist
  • nimm Rücksicht

Er machte sich als Grafikdesigner selbstständig, um sich Freiräume zu schaffen. Ein Großraumbüro und ständige Meetings seien für ihn ein Alptraum. Er kommuniziert gern per E-Mail, weil er so Zeit hat, seine Gedanken zu ordnen und zu formulieren.

Telefonieren ist schwieriger, weil er dann spontan reagieren muss, was ihm schwerfällt. „Manchmal ist es einfach nicht möglich, spontan zu antworten“, erzählt Andreas. In solchen Fällen verschiebt er das Gespräch auf später oder versucht, es per E-Mail zu klären. Er hat gelernt, kreative Lösungen zu finden, um seine Ziele zu erreichen. Diese Fähigkeit, Probleme auf eigene Weise zu lösen, sei eine besondere Stärke vieler Autist*innen, sagt er.

Andreas sitzt auf einer Couch auf einer Terasse
privat
Andreas sitzt auf einer Couch auf einer Terasse

Späte Diagnose

Die Diagnose war ein Wendepunkt in seinem Leben. Nun hatte er eine Erklärung dafür, warum er sich anders verhält als andere Menschen. Dabei ist die Dunkelziffer bei der Diagnose hoch. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht heute davon aus, dass weltweit ein Prozent der Kinder autistisch sind. Wie viele Erwachsene es gibt, ist unklar, denn sie haben gelernt, ihre Besonderheiten zu überspielen.

Heute lebt Andreas mit seinem 18-jährigen Pflegesohn in einer Wohnung bei Tübingen. Sein Sohn ist ebenfalls autistisch und so begegnen die beiden einander voller Verständnis.

Vom Leben ohne Filter hat er auch im Alpha & Omega Podcast erzählt ⏬

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Buch: Dialog. Gespräche über Autismus

Andreas Croonenbroeck, Claus Dick: Dialog. Gespräche über Autismus, BoD - Books on Demand, 24,95 Euro.

Einsatz für Autismus

Andreas will verhindern, dass Menschen im autistischen Spektrum „ständig als minderwertig angesehen“ werden. Besonders ärgert es ihn, wenn politische Akteur*innen Autismus negativ darstellen. So griff die FDP-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Europawahlkampf den scheidenden Kanzler Olaf Scholz an, indem sie ihm autistische Züge unterstellte.

Als ehemaliger Chefredakteur der Zeitung „Autismus verstehen“ und als Buchautor setzt sich Andreas dafür ein, dass Menschen mit Autismus mehr Rechte erhalten und stärker in der Gesellschaft sichtbar sind. Er wünscht sich mehr Verständnis und Akzeptanz und ist überzeugt, dass alle profitieren, wenn Autist*innen ihre Fähigkeiten und Talente entfalten können.