Kirche positioniert sich zum Ukraine-Krieg
Warnende Stimmen kommen zu einem guten Teil auch aus den Kirchen. Spielen die Kirchen eine fruchtbare Rolle in dieser Debatte?
Deitelhoff: Die Kirchen sind ein Spiegel der gesellschaftlichen Debatte. Obwohl sie sich sehr schnell sehr klar gegen den russischen Angriffskrieg positioniert haben, ist ihr Streit darüber, was daraus eigentlich folgt, derselbe, der auch in der Gesellschaft geführt wird. Also ob man für die militärische Bearbeitung eines Konflikts einstehen kann oder im Sinne eines grundlegenden Pazifismus auf ein Ende der Gewalt hinarbeiten muss. Es spricht für die Kirchen, dass sie dieser Spiegel sind, dass sie die Pluralität der Gesellschaft so in sich tragen. Ich erlebe die Art, wie die Kirchen debattieren, als sehr wohltuend. Das ist ein großer Unterschied zu der Respektlosigkeit und mangelnden Anerkennung von Positionen, die wir in öffentlichen Debatten teilweise erleben: dass man sich wechselseitig als Kriegstreiber oder Traumtänzer abqualifiziert zum Beispiel.
Und wie bewerten Sie die Positionen innerhalb der Kirche inhaltlich?
Deitelhoff: Ich will Leuten wie Margot Käßmann nichts in den Mund legen. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie davon ausgeht, dass Putin selbst in Bedrängnis ist und nach Auswegen sucht. Demnach müssten wir zeigen, dass wir in der Lage sind, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und ihm damit einen Anlass zu geben, selbst den Krieg zu stoppen. Ich bin sehr skeptisch, dass es so kommen würde. Wenn wir die Waffenhilfe für die Ukraine einstellten, würde Russland vermutlich das ganze Land einnehmen.
Ich glaube nicht, dass Käßmann hier Recht hat. Aber ich bin ihr für ihre Position dankbar, weil sie mir die Gelegenheit gibt, meine eigenen Argumente immer wieder zu überdenken. Dieser Krieg hat uns nicht nur rational, sondern auch emotional in seiner Gewalt. Das kann dazu führen, dass wir, wenn wir erst einmal eine Position haben, sehr schnell selbstgerecht werden.
Wie stehen die Chancen auf Frieden?
Wie könnte Ihrer Meinung nach eine friedliche Koexistenz mit Russland erreicht werden? Mit einem Russland, das Ihr Kollege Carlo Masala als „Raubtierstaat“ bezeichnet hat?
Deitelhoff: Wenn man sich momentan den russischen Staat und seine Eliten anschaut, dann haben wir es mit einem System zu tun, in dem seit Jahren alle, die an einer Verständigung interessiert waren, nach und nach entfernt und durch Hardliner ersetzt worden sind.
Die Wahrscheinlichkeit, mit diesem Russland ein belastbares Abkommen schließen zu können, halte ich für sehr gering.
Worum es jetzt vermutlich geht, ist, dass man die Ukraine so lange militärisch, finanziell und ökonomisch unterstützt, um gegen Russland bestehen zu können. Bis man eine Lage erreicht hat, in der man einen Abschluss oder eine Pause der militärischen Handlungen erreichen und danach festigen und absichern kann, auch um Russland vor weiteren Abenteuern abzuschrecken.
Das heißt, ein Abkommen mit Russland ist nichts wert, solange man es nicht dazu zwingen kann, sich daran zu halten?
Deitelhoff: Richtig. Das ist allerdings in fast allen Friedensabkommen so und hat unter anderem damit zu tun, dass die Parteien, die ein solches Friedensabkommen aushandeln, das zu Hause an eine aufgestachelte Bevölkerung verkaufen müssen, die durch das Leid des Kriegs traumatisiert sind und wenig Neigung hat, Kompromisse einzugehen. Im Falle Russlands kommt hinzu: So wie dessen Regierung über den Westen spricht, über liberale Demokratien, über alles, was nicht konform mit der russischen Vorstellung ist, ist mit ihr keine friedliche Koexistenz so einfach denkbar, ohne zumindest, dass man robuste Sicherheit schafft.
Kein Frieden, der zur direkten Versöhnung führt
Demnach wäre der effektivste Weg zum Frieden, die Ukraine so weit zu unterstützen, dass sie die russischen Fähigkeiten zum Angriff so weit degradieren kann, dass es nicht mehr gefährlich ist?
Deitelhoff: Das wäre natürlich kein Frieden, der direkt wieder zur Versöhnung führt. Das wäre erst einmal ein Ende der Kampfhandlungen. Und dann werden diese beiden Staaten und auch ihre Gesellschaften für lange Zeit voneinander getrennt sein müssen. Ein Zusammenleben wird es vermutlich nicht geben können nach all dem, was in diesem Konflikt passiert ist. Aber ja, ich glaube tatsächlich, dass wir uns auf eine lange militärische Unterstützung der Ukraine einstellen müssen.
Was könnten die Kirchen denn noch beitragen, um mit dieser Situation umzugehen?
Deitelhoff: Sie die Position des unbedingten Pazifismus in die Debatte. Zeigen aber auch, dass manüber die Haltung in diesem Krieg natürlich streiten, mit guten Gründen unterschiedlicher Meinung sein und deswegen nicht moralisch abqualifiziert werden darf. Fast gerät ein wenig aus dem Blick, dass die Kirchen natürlich auch eine seelsorgerische Funktion haben. Wir brauchen Zuspruch, wir brauchen Trost, wir brauchen ein offenes Ohr in diesem Konflikt, und dafür sind die Kirchen da. Und natürlich geht es auch darum, die Kontakte nicht abreißen zu lassen, so wie die Kirchen den Kontakt zur Russisch-orthodoxen Kirche nicht abgebrochen haben. Das sollte übrigens auch die Politik tun. Sie sollte die Hand in Richtung Russland ausgestreckt lassen, und nicht nur mit einer Pistole darin. Die Botschaft an Putin sollte sein: „Wenn du dich umentscheidest, wird das zu deinen Gunsten sein“.